„Ich muß mich wundern“, sagte Ben Brighton gedehnt. „Ehrlich gesagt, ich wäre nicht erstaunt gewesen, wenn er uns doch noch auf eins der Unterwasserriffe hätte aufbrummen lassen.“
„Ich denke, er ist froh, seine Haut retten zu können“, entgegnete Hasard. „Jedenfalls hätten wir ohne ihn mindestens drei oder vier Tage gebraucht, um Abo zu erreichen. Aber wahrscheinlich lag es auch an der guten Bewachung, daß er so prächtig gespurt hat.“
Ben Brighton lächelte versonnen.
Schritte näherten sich. Stenmark enterte behende über den Niedergang zum Achterdeck auf und meldete sich zur Stelle.
„Sag ihm, daß ich mit seinen Lotsendiensten zufrieden bin“, erklärte Hasard. „Ich habe Grund, ihn für einiges zu entschädigen. Von den Ängsten, die er wegen Batuti und Arwenack ausgestanden hat, wollen wir nicht reden. Aber er hat seine Schaluppe und eine Menge weiterer Fahrzeuge verloren. Und ganz unschuldig waren wir nicht an der Entwicklung der Dinge. Verklare ihm noch einmal, daß wir den Runenstein nicht absichtlich umgestürzt haben. Um die Sache zu einem guten Ende zu bringen“, Hasard zog ein Leinensäckchen aus der Tasche, das mit Silbertalern gefüllt war, „soll er dies als Entschädigung erhalten.“
„Aye, Sir“, sagte Stenmark, der große Augen bekommen hatte. Achselzukkend nahm er das Geldsäckchen, reichte es dem Finnen und begann, die Worte des Seewolfs zu übersetzen.
„Fairneß ist ja ganz schön“, murmelte Ben Brighton, „aber meinst du nicht, daß dies ein bißchen zuviel des Guten ist?“
„Nein“, widersprach Hasard, „vergiß nicht, daß der Runenstein für die Finnen ein Heiligtum war. Und wenn wir zehnmal beteuern, daß wir das Ding für eine Felsnase gehalten haben und sie als Poller für unsere Trosse benutzten – sie werden uns das in hundert Jahren nicht glauben.“
Stenmark war mit seiner Übersetzung fertig, und der Finne nuschelte etwas in seinen Bart. Weiter vermied er es, die Engländer anzusehen.
„Was sagt er?“ fragte Hasard.
„Ob er jetzt abhauen kann“, erwiderte Stenmark mit hochgezogenen Schultern, als müsse er sich für die Schroffheit des Finnen entschuldigen.
„Kann er“, sagte Hasard kurz entschlossen.
Stenmark übersetzte, und der bärtige Finne verwandelte sich in einen geölten Blitz. Während er schon losrannte, stopfte er das Geldsäckchen unter seinen Gurt. Mit langen Sätzen hastete er über Quarterdeck und Kuhl und dann die Stelling hinunter. Augenblicke später war er im Menschengewirr an Land verschwunden.
„Glaubst du, der ist dankbar?“ knurrte Ben Brighton. „Der lacht sich eins ins Fäustchen über deine Gutmütigkeit. Wenn du mich fragst, ein Tritt in den Hintern wäre der bessere Lohn für ihn gewesen.“
„Mag sein, daß du recht hast. Aber es geht mir auch darum, daß wir hier keinen unnötigen Ärger kriegen. Schließlich wollen wir freundschaftliche Handelsbeziehungen anknüpfen. Deshalb müssen wir als Engländer einen guten Eindruck hinterlassen, nicht zuletzt wegen der künftigen englischen Handelsfahrer. Die wollen auch gern gesehen sein, wenn sie die Ostsee anlaufen.“
„Das sehe ich ein. Aber ich sage dir, dieser bärtige Strolch ist ein ganz ausgekochtes Schlitzohr. Dein guter Wille ist bei ihm garantiert an der falschen Adresse.“
Eine halbe Stunde später war der bärtige Halunke aus der einsamen finnischen Inselwelt so gut wie in Vergessenheit geraten. An Bord der „Isabella IX.“ standen wichtigere Dinge zur Debatte. Jene Dinge nämlich, die die Männer beschäftigten, seit der Hafen von Abo in Sichtweite aufgetaucht war.
Ihre Gedanken bewegten sich auf einem schon genau festgelegten Kurs. Und der führte über die Stelling hinunter zur Pier, von dort aus weiter in die winkligen Hafengassen und in die gastlichen Häuser, die es dort zuhauf gab. Von letzteren hatten die Männer der „Isabella“-Crew eine ziemlich genaue Vorstellung. Denn zumindest in dieser Hinsicht konnte sich ein finnischer Hafen kaum von allen anderen Häfen der Erdkugel unterscheiden.
Der Seewolf spürte diese freudige Stimmung, die von seinen Männern Besitz ergriffen hatte. Er hatte sie auf der Kuhl versammelt, und da war jenes Leuchten in ihren Augen. Einige tuschelten miteinander und bemühten sich, nur nicht zu laut zu sein. Andere warteten schweigend und gespannt auf die Entscheidung des Kapitäns.
Hasard blickte in die Runde und empfand leises Bedauern. Wie seine Entscheidung auch ausfiel, für einen Teil der Crew würde es eine Enttäuschung sein. Nach der Schinderei der vergangenen Tage hatten sie sich die Abwechslung an Land redlich verdient.
Da gab es nur wenige Männer an Bord, die nicht darauf fieberten, sich in das brodelnde Leben der Hafenstadt zu stürzen – wie der Kutscher etwa, ein ruhiger und in sich gekehrter Mann, dem das wilde Vergnügen nicht viel bedeutete. Ähnlich verhielt es sich mit Ben Brighton. Durch seine unerschütterliche Besonnenheit hatte er die Seewölfe in manch heikler Situation davor bewahrt, den klaren Blick zu verlieren. Die Verantwortung als Hasards Stellvertreter stand für Ben an erster Stelle aller Überlegungen – was aber nicht bedeutete, daß er ein Kind von Traurigkeit war, wenn es wirklich einmal einen Grund zum Feiern gab.
Jene drei, die sich stolz grinsend im Vordergrund aufgebaut hatten, stachen ins Auge, und so hatten sie das auch beabsichtigt.
„Sehe ich richtig?“ sagte der Seewolf, der sich an der Schmuckbalustrade des Quarterdecks aufgebaut hatte. Er heftete seinen Blick auf Edwin Carberry, den bulligen Profos, der sein Rammkinn schon wieder herausfordernd in den Wind reckte.
„Wie meinst du das, Sir?“ Carberry verschränkte die Arme vor dem mächtigen Brustkasten und tat, als gäbe es den leuchtend weißen Verband nicht, der seinen Kopf wie ein Turban zierte. Er deutete auf Luke Morgan und Old Donegal Daniel O’Flynn, die neben ihm standen. „Sind wir etwa gemeint?“
„Da du dich schon angesprochen fühlst, Mister Carberry“, entgegnete Hasard betont energisch, „gibt es über diese Frage wohl keinen Zweifel mehr.“
Ben Brighton wandte sich ab, legte die Hände auf den Rücken und maß das Quarterdeck mit langsamen Schritten, um sein Lächeln zu verbergen.
Der Kutscher, Koch und gleichzeitig Feldscher an Bord der „Isabella“, drängte sich in den Vordergrund und zeigte anklagend auf die drei Männer.
„Sir, ich weise ausdrücklich darauf hin, daß Mister Carberry, Mister O’Flynn und Mister Morgan gegen meine Anordnung verstoßen. Alle drei haben Order, die Krankenkammer nicht zu verlassen.“
„Sei nicht so pingelig, Knochenflikker“, knurrte Luke Morgan, dessen linke Schulter dick verbunden war.
„Sehen wir etwa krank aus, was, wie?“ grollte Ed Carberry.
„Ich am allerwenigsten“, erklärte Old O’Flynn und reckte die Brust heraus. Nachdem Ferris Tucker ihm ein neues Holzbein angefertigt hatte, waren da nur noch der verstauchte linke Fußknöchel und die Platzwunde am Hinterkopf – Lächerlichkeiten, die man nach seiner Meinung längst vergessen konnte.
„Was soll das denn heißen?“ fauchte Luke Morgan ihn an. „Wird für dich etwa ein Extrasüppchen gekocht, Donegal?“
„Nun bleib mal auf den Planken, Kleiner“, sagte der alte O’Flynn bissig. „Dir haben die Finnen einen Pfeil durch die Schulter gejagt, und Edwin haben sie einen zu tiefen Scheitel gezogen. Ist das was anderes als meine kleinen Kratzer oder nicht?“
Carberry wandte sich ihm mit scheinbarer Freundlichkeit zu.
„Jetzt paß mal gut auf, Großvater. Wenn du meinst, daß du hier aus der Reihe tanzen mußt, dann ramme ich dich unangespitzt zwischen deine Planken. Klar?“
Old