Zehn Musketen krachten auf dem Achterdeck, die Garbe traf voll in den Trupp der Meuterer. Zwei, drei Gestalten stürzten, andere brüllten vor Schmerz und hielten sich ihre blutenden Wunden. Marcela Buarcos blieb wie durch ein Wunder unversehrt und warf sich hin. Sie robbte auf den Planken wieder zum Vorschiff zurück und suchte hinter dem Fockmast Deckung.
Denn inzwischen hatten Alentejo und seine Männer das Achterdeck verlassen und warfen sich den Aufrührern mutig entgegen. Verstärkung erhielten sie von den loyalen Seeleuten und den Auswanderern, die inzwischen durch eine der Luken auf das Hauptdeck gestiegen waren. Was unten geschehen war, hatte die meisten davon überzeugt, daß es an der Zeit war, mit dem Gesindel aufzuräumen. Ramón Vega Venteja hatte für alle Passagiere gehandelt und entschlossen sein Leben eingesetzt. Und auch der alte Seemann hatte versucht, den Aufstand zu verhindern. Jetzt lagen sie wie leblos auf den Planken. Es brach sowohl den Frauen als auch den Männern das Herz, wie Sabina und Pablito um ihren Vater weinten. Die Wut auf Marcelas Bande war größer als alle Bedenken.
So kämpfte ein starker Trupp gegen die Meuterer, und Alentejo ließ sofort Musketen und Pistolen an alle verteilen, die keine Waffen hatten. Es krachte und knallte, und die Kugeln flogen den Meuterern um die Ohren.
Mit einer derart schnellen und heftigen Reaktion hatte selbst Marcela nicht gerechnet. Sie kauerte mit verkniffenem, haßerfüllten Gesicht hinter dem Fockmast. Langsam hob sie die Muskete. Die Situation war verzweifelt, aber noch nicht aussichtslos. Sie wußte, was sie zu tun hatte.
Sie war nicht nur eine ausgekochte und mit allen Wassern gewaschene Hafenhure, sondern auch ein skrupelloses Flintenweib. Ihre Erfahrungen waren mannigfach. Sie war bereits mit Philipps II. Soldaten mitmarschiert und wußte, wie man in einem Kampf vorging. Auch kannte sie sich mit allen Waffen aus.
Ihr ursprüngliches Vorhaben, das Achterdeck mit dem Ziel zu stürmen, in die Waffenkammer zu gelangen, war an dem erbitterten Widerstand von Kapitän und Schiffsführung gescheitert. Hinzu kam die Unterstützung durch die Mannschaft und die Auswanderer – auch das hatte sie in ihre Berechnungen nicht mit einbezogen. Sie verfluchte Ramón und alle anderen, die zum Achterdeck hielten. Dann zielte sie mit der Muskete auf Kapitän Alentejo.
Die Meuterer hatten unterdessen das Vorschiff geentert und verschanzten sich. Wie Rascón an Bord der „San Sebastian“ ließ Alentejo die Schotten zum Achterdeck verriegeln und verrammeln. Der Hohn der Situation wollte es, daß auf der „Almeria“ nahezu alles genauso verlief wie auf der „San Sebastian“, wo jetzt eine Kampfpause eingetreten war.
Aber etwas war doch anders – dafür sorgte Marcela. Noch hatte man sie nicht hinter dem Fockmast entdeckt.
Alentejo enterte in diesem Moment auf das Achterdeck zurück, verharrte an der Schmuckbalustrade und rief den Meuterern zu: „Ergebt euch! Es hat keinen Sinn, daß ihr euch auflehnt! Euer Unternehmen ist zum Scheitern verurteilt! Seid vernünftig!“
Die Kerle im Vordeck lachten nur. Marcela schob den Lauf der Muskete fast behutsam noch ein Stück weiter vor. Sie hielt die Waffe gegen den Mast gepreßt und hatte auf diese Weise mehr Sicherheit beim Zielen, etwa so, als habe sie eine Gabelstütze zum Auflegen der Muskete zur Verfügung.
Alentejo stand hochaufgerichtet da, die Chance war günstig. Marcela drückte ab. Der Schuß krachte, eine Feuerlanze fuhr aus der Mündung, und die Kugel erreichte Kapitän Juan Alentejo, bevor er sich in Deckung werfen konnte.
Stöhnend brach er hinter der Balustrade zusammen und hielt sich mit einer Hand die blutende Schulter. Im Vordeck lachten und grölten die Kerle. Sie pfiffen schrill und schrien „Hurra“, und Marcela grinste wie der Teufel persönlich. Sie ließ die Muskete sinken und zog sich langsam zurück, flach auf die Planken gepreßt, damit sie kein Schußziel bot.
Der Erste Offizier stieß einen Fluch aus und stürzte an eine der achteren Drehbassen. Er schwenkte sie in ihrer Gabellafette herum und zielte auf das Vordeck.
„Feuer her!“ brüllte er. „Jetzt schieße ich das Vorkastell kurz und klein!“
Alentejo hatte sich halb aufgesetzt und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Balustrade. Er hatte gewaltige Schmerzen, es brauste in seinem Kopf, schwarze Schleier wallten vor seinen Augen auf und ab. Doch er war noch halbwegs bei Besinnung. Er hob die Hand und winkte ab.
„Señor“, sagte der Steuermann zum Ersten. „Der Capitán will nicht, daß Sie feuern.“
Der Erste ließ von der Drehbasse ab und eilte zu Alentejo. Er kniete sich neben ihn, sah die Schulterwunde und sagte: „Señor, es ist die einzige Möglichkeit, mit diesem Pack aufzuräumen. Lassen Sie mich schießen.“
„Nein.“ Alentejos Gesicht war schmerzverzerrt.
„Wo steckt der Feldscher?“ schrie der Erste Offizier.
„Hier!“ Der Mann enterte in diesem Augenblick aufs Achterdeck. Er untersuchte Alentejos Wunde nur kurz, dann sagte er: „Sie haben Glück gehabt, Señor Capitán. Kein Knochen ist verletzt. Aber die Kugel steckt. Ich muß sie herausholen.“
„Gut“, sagte Alentejo gepreßt. Er blickte zu seinem Ersten. „Sie übernehmen in der Zwischenzeit das Kommando. Aber es wird nicht mit den Stücken gefeuert. Das ist ein Befehl. Ich will nicht mein eigenes Schiff zerstören.“
Wie Gomez Rascón gehörte er zu jenen Kapitänen, denen es eine Qual war, wenn ihr Schiff in irgendeiner Weise beschädigt wurde. Sturmschäden und Brüche von Masten und Spieren nahmen sie hin, weil es in ihren Augen höhere Gewalt war, etwas Unabwendbares also. Das Schiff aber mit eigener Hand zu zerschießen – das gab es für sie nicht.
Der Erste Offizier, der Feldscher und zwei andere Männer hoben Alentejo vorsichtig hoch und transportierten ihn in die Kapitänskammer des Achterkastells. Musketenschützen an der Querbalustrade sicherten mit ihren Waffen zur Back hin und waren bereit, auf alles zu feuern, was sich dort bewegte.
Marcela hatte sich jedoch inzwischen ganz in Sicherheit gebracht. Sie war zum vorderen Geländer der Back gekrochen, hatte sich zwischen zwei Traljen hindurchgezwängt und ließ sich auf die Galionsplattform fallen. Von hier aus betrat sie durch das Schott das Vorkastell. Die Kerle empfingen sie mit großem Hallo, ließen sie hochleben und reichten ihr einen Becher Wein.
Sie trank, ließ den Becher wieder sinken und sagte: „Der Kapitän ist erledigt. Er überlebt die Blessur nicht. Wenn er krepiert ist, haben wir gute Chancen, das Achterdeck zu erobern, denn dann herrscht dort mehr Verwirrung.“
„Es ist nur eine Frage der Ausdauer“, sagte einer der Meuterer.
„Und wir haben Zeit genug“, sagte ein anderer.
„Eben“, sagte Marcela. „Von der ‚San Sebastian‘ kriegen wir auch keinen Ärger. Dort scheinen die Meuterer gewonnen zu haben. Sonst wäre der Kahn bereits bei uns längsseits gegangen, und Capitán Rascón hätte seinem werten Kollegen Alentejo geholfen.“
„Das stimmt“, sagte der Kerl, der den alten Seemann niedergeschlagen und auf Ramón Vega Venteja gefeuert hatte. Er hieß Moreno. „Und wenn wir Glück haben, kriegen wir von den anderen sogar noch Unterstützung.“
„Dann wäre der Sieg endgültig unser“, sagte Marcela. „Aber auch so brauchen wir uns nicht zu sorgen. Wir schaffen es schon, das hochnäsige Pack zu erledigen. Wir haben zwar nicht viele Waffen, aber wir haben den Proviant und das Wasser.“
Die Kerle lachten und füllten wieder die Becher. Sie hatten ein Faß Wein ins Logis gerollt und angestochen. Sie feierten ihren Triumph – etwas voreilig zwar, aber doch mit berechtigtem Optimismus.
Juan Alentejos Appell an die Vernunft der Meuterer war völlig sinnlos gewesen, das erkannten auch die Männer und Frauen, die sich im Achterdeck verschanzt hatten. Die Bande würde sich durch nichts entmutigen lassen, sie war weit davon entfernt, aufzugeben oder