Roy Palmer
1.
Kein Mensch wußte, wo die „Caribian Queen“ ankerte, niemand hatte sie bisher in ihrem Versteck in der geschützten Bucht einer der Islas de Mangles entdeckt. Aber diese Tatsache war nicht geeignet, die Stimmung der Crew von Galgenstricken und Schlagetots zu heben. Unmut hatte sich ausgebreitet, es gärte an Bord. Die Langeweile begann gefährlich zu werden. Auch der Rum, den Cariba aus der Kneipe „Yerba Buena“ geholt hatte, war längst aufgebraucht.
Abhilfe tat also not, es mußte etwas geschehen. Caligula hatte seine Augen überall, aber es kostete ihn viel Einsatz, die Kerle im Zaum zu halten. Es hatte Streit und Schlägereien gegeben, es wurde gemurrt und geflucht. Caligula ahnte, daß sich die Stimmung zu einer Meuterei entwickeln konnte, es roch geradezu danach.
Man schrieb den 15. April 1594. Jetzt war nahezu ein Monat vergangen, seit Caligula den Kreolen Cariba im Auftrag der Black Queen an der Südküste von Kuba an Land gesetzt hatte. Cariba sollte einen gewissen Don Juan in Havanna aufsuchen. Dieser Mann – so war in der Kaschemme „Yerba Buena“ erzählt worden – befand sich auf der Jagd nach Philip Hasard Killigrew, dem Erzfeind der Black Queen und ihrer Piraten.
Cariba hatte Don Juan den Standort der Schlangen-Insel verraten sollen. Durch diese Hinterlist hoffte die Queen auf Umwegen dem Bund der Korsaren jenen tödlichen Stoß zuzufügen, der ihr versagt gewesen war. Sie hatte ihre Niederlage immer noch nicht verwunden. In ihrem grenzenlosen Haß tat sie alles, was in ihren Kräften stand, um den Gegner doch noch zu vernichten. Die Chance war günstig, aber von Cariba war kein Lebenszeichen mehr eingetroffen.
Was war geschehen? Längst hatten die Black Queen und Caligula den Kreolen zurückerwartet. Aber er tauchte nicht mehr auf. Er schien spurlos verschwunden zu sein.
„Ich verstehe das nicht“, sagte Caligula, als er auch an diesem Vormittag wieder am Krankenlager der Queen in der Kapitänskammer des Zweideckers hockte, wie er das regelmäßig zu tun pflegte. „Da ist was faul. Cariba, dieser Hurensohn, hätte längst zurück sein müssen.“
Die Queen richtete sich halb in ihrer Koje auf. „Für sein Ausbleiben gibt es eine sehr einfache Erklärung“, sagte sie gepreßt.
„Das Geld?“
„Ja. Die sechs Golddublonen, die ich ihm im voraus zugesteckt habe, könnten für ihn ein Anreiz gewesen sein, zu desertieren.“
„Aber er weiß, daß du ihn verfolgen wirst“, sagte Caligula. „Daß er auch mich und die gesamte Crew am Hals hat und wir nicht ruhen werden, bis wir ihn gestellt und getötet haben.“
„Vielleicht war seine Angst, in Havanna festgenommen und in den Kerker geworfen zu werden, größer.“ Ihre dunklen Augen nahmen einen harten Glanz an. „Und vergiß nicht, daß Casco und er oft die Köpfe zusammengesteckt haben. Ist dir das etwa entgangen?“
„Nein. Du meinst, sie wollten gemeinsam meutern oder einfach abhauen, weil sie die Nase voll hatten?“
„Vielleicht. Zuzutrauen ist den Hunden alles.“
„Ja, das stimmt.“ Caligulas Gesicht war ernst und nachdenklich. „Trotzdem, ich kenne Cariba genau. Bei ihm ist die Gier größer als die Angst vor irgend jemandem oder irgend etwas. Ich habe es mir schließlich überlegt, ob wir ihn allein losschicken dürfen oder nicht. Er ist auf die restlichen Golddublonen versessen, die du ihm versprochen hast.“
„Würdest du die Hand für ihn ins Feuer legen?“ fragte sie.
„Nein.“
„Also. Welche Garantie haben wir, daß er wirklich den Auftrag ausgeführt hat?“
Keine Garantie – Caligula mußte es eingestehen. Die Queen hatte recht. Man konnte den Kerlen nicht mehr trauen. Kerle wie Casco – ein bulliger Typ mit Stiernacken, verknorpelten Ohren und zerschlagener Nase, ein Kreole wie Cariba – warteten nur auf eine günstige Gelegenheit, die „Caribian Queen“ im Stich zu lassen oder eine Bordrebellion anzuzetteln.
Ob sie aber wirklich wagten, sich offen gegen die Queen aufzulehnen? Caligula hatte sich diese Frage oft gestellt. Er bezweifelte es, aber er mußte andererseits auch der Realität ins Auge blicken. Die Black Queen war immer noch stark geschwächt. Es fehlte ihre regierende Hand an Bord, das harte, unduldsame Regime, mit dem sie die Meute unterwarf.
Caligulas Kommando war da etwas anderes. Er war hart und brutal – aber nur das. Zu ihm blickten die Kerle nicht fasziniert und mit leicht verklärtem Blick auf, er hatte nicht das Charisma der Queen. Außerdem wußte sie die Kerle mit ihren weiblichen Reizen in ihren Bann zu ziehen, obgleich sie sich nie mit jemand anderem als mit Caligula eingelassen hatte. Er war der einzige, der mit ihr die Koje hatte teilen dürfen.
„Denken wir einmal logisch“, sagte sie. „Cariba sollte diesem Sonderbeauftragten der spanischen Krone die Lage der Schlangen-Insel auf einer Seekarte zeigen. Das war alles. Danach sollte er wieder verschwinden.“
„Das hätte mit dem Marsch nach Havanna, einem zweitägigen Aufenthalt und dem Rückmarsch zur Südküste allenfalls vier, fünf Tage gedauert“, sagte Caligula. „Aber jetzt sind an die vier Wochen verstrichen – und nichts.“
Sie rutschte an den Rand ihrer Koje und ließ die Beine baumeln. Die Hände stützte sie auf, den Kopf ließ sie – auch noch ein Zeichen der Schwäche – leicht hängen. Caligula registrierte mit einem raschen Seitenblick wieder einmal, wie erschreckend abgemagert und knochig sie war. Sie wirkte skeletthaft und kaum noch fraulich. Ihre Brüste hingen schlaff herab, das Gesicht war eingefallen, die Haare waren ungewaschen und zerzaust. War sie überhaupt noch die Black Queen von früher?
„Ich weiß, was du denkst!“ zischte sie plötzlich. „Daß mir ein Fehler unterlaufen ist. Oder? Immerhin war es meine Entscheidung, und du hast zugestimmt, weil dir nichts anderes übrigblieb.“
„Das stimmt nicht ganz.“
Sie lachte verächtlich auf. „Bleiben wir ehrlich, Caligula. Ich werde wegen der verdammten Warterei langsam verrückt, verflucht noch mal. Es muß was geschehen. Wenn Cariba in den nächsten zwei Tagen nicht zurückkehrt, fangen wir an, ihn zu suchen.“
„Mit dem Schiff? Wahnsinn.“
„Dann müssen wir uns eben etwas anderes einfallen lassen. Ich werde auch nach wie vor den Verdacht nicht los, daß Cariba, dieser Bastard, einfach mit den Dublonen in der Tasche abgemustert hat.“
Caligula ballte die Hände zu Fäusten. „Wenn das wirklich stimmt, kann er auf was gefaßt sein. Er wird es bereuen, der Hund, das schwöre ich dir. Wir finden ihn, und wenn wir ihn bis ans Ende der Welt suchen müssen.“
„Den Auftrag hat er ja ohnehin nur maulend übernommen.“
„Ja. Dreck, die Dublonen sind also verloren.“
„Es besteht aber auch noch die andere Möglichkeit“, murmelte sie. „Daß nämlich die Spanier Cariba gefangengesetzt und gefoltert haben. Das wäre weitaus übler für uns. Auf Dauer hält er dem peinlichen Verhör nicht stand.“
„Da bin ich auch sicher“, sagte Caligula. „Aber was heißt das schon? Sie haben ihn gepiesackt, na schön. Er hat nichts anderes getan, als jammernd und stöhnend zu verraten, warum er nach Havanna gegangen ist. Eben, um den Schlupfwinkel