Er wußte ja auch nichts von den bisherigen Abenteuern dieser beiden Gruppen, deren Aufgliederung er in Damiette selbst vorgenommen hatte. Sein Entschluß, unter der Küste zu segeln – wenn auch mit Fahrtverlust –, beruhte auf der durchaus richtigen Überlegung, möglichst viel Höhe zu gewinnen, um nicht zu dicht an Kap Bon, Tunis und Bizerta zu geraten.
Denn das war eine „windige Ecke“, was die Seeräuber und Küstenhaie betraf, zumal diese durchaus in der Lage waren, mit schnellen Aufklärern die Straße von Sizilien zu überwachen. Hinzu kam noch, daß Hasard und seine Männer jetzt das „Flaggschiff“ des Priatenoberführers Uluch Ali segelten, ein Schiff, das unter den Kumpanen des großen Beylerbeys Ali sicherlich bestens bekannt war.
Dieser Umstand bereitete Hasard Sorge, auch wenn diese Zweimastfeluke mit den beiden Drehbassen mittschiffs ein respektables, gesundes Schiff war. Nach dem Gefecht am Abend des 11. Juni mit Uluch Ali und dessen Kerlen war der Seewolf zwar in den Besitz dieses „Flaggschiffes“ gelangt, aber Uluch Ali – verletzt allerdings, doch wohl nicht in Lebensgefahr – und einige seiner Kumpane hatten sich mit einem Beiboot absetzen können.
Erreichten sie die Küste Nordafrikas, was durchaus denkbar und logisch erschien, dann bestand die Möglichkeit, das Uluch Ali Kamelreiter nach Tunis jagte, um seine dort sitzenden Schnapphähne zu alarmieren und auf den Seewolf anzusetzen. Alis Einflüsse und Machtvollkommenheit entlang der Küste von Bengasi bis nach Tunis und weiter durften nicht unterschätzt werden.
Hasard war weit davon entfernt, diese Gefahr gering einzuschätzen. Er hatte mit Uluch Ali ja schon vor Jahren seine Erfahrungen gesammelt. Damals, 1580, hatte der Mann versucht, ihn aufs Kreuz zu legen, doch der Seewolf hatte nicht nur Godefroy von Manteuffel, seinen Vater, aus der Gewalt des Piraten befreit, er hatte Uluch Ali auch einen Denkzettel verpaßt, an den dieser sich zeitlebens erinnern sollte. Er hatte sogar angenommen, ihn damals tödlich verletzt zu haben, doch das hatte sich als Täuschung herausgestellt. Uluch Ali war ein unheimlich zäher und harter Knochen.
Das neuerliche Treffen mit dem Kerl war für Hasard genauso überraschend gewesen wie für Uluch Ali selbst. Mit einemmal waren die alten Wunden wieder aufgerissen, Hasard mußte an seinen Vater denken und an all das, was sich damals im Mittelmeer zugetragen hatte.
Hätte er jetzt auch noch gewußt, daß Ben Brighton und im gewissen Sinn auch Old Donegal Daniel O’Flynn dem alten Oberschnapphahn kräftig auf die Zehen getreten waren, dann hätte er wahrscheinlich sogar den Weg durch die Straße von Messina vorgezogen, um die windige Ecke um Tunis noch mehr zu meiden.
Aber es war ihm ja nicht bekannt, daß Ben und dessen Gruppe einen Schatz aus dem gesunkenen Wrack der venezianischen Galeone „San Marco“ geborgen hatten – vier kostbare Kisten, die sich jetzt an Bord der Sambuke befanden. Die Sarazenen hatten versucht, Ben die Truhen wieder abzujagen, waren jedoch gescheitert. In Bengasi aber hatte es erneut Ärger für die Seewölfe gegeben, denn Old O’Flynn war von Uluch Ali erkannt und von seinen Schergen überwältigt worden. Es hatte schon fast an ein Wunder gegrenzt, daß der Alte doch noch aus dem Kellergefängnis entwischt war. Uluch Ali hatte wieder einen Denkzettel empfangen, doch alles das sollte Hasard erst sehr viel später erfahren.
Vorerst war er auf reine Spekulationen angewiesen, was das Schicksal seiner Männer betraf. Was war aus ihnen geworden? Würde ihnen die Heimreise bis nach England gelingen? Hatten sie Glück oder Pech gehabt? Herrgott, war es denn nicht geradezu vermessen, daran zu glauben, daß sie eines Tages wirklich in Plymouth bei Plymson in der „Bloody Mary“ oder im Haus des Doc Freemont wieder zusammentrafen? Hasard machte es sich nicht leicht, immer wieder geisterten seine Gedanken zu den Männern der „Isabella“, und so manches Mal verfluchte er sich selbst wegen seines Entschlusses, in den Kanal der Pharaonen gesegelt zu sein, um nach dem erhofften Seeweg nach Indien zu suchen. Damit hatte das Unheil begonnen.
Die Feluke folgte dem Verlauf der Südküste Siziliens und hielt auf die Ägadischen Inseln zu. Noch rechneten die Männer nicht im entferntesten damit, daß Hasard, aber vor allem Dan O’Flynn ein unerwartetes Wiedersehen mit Juan de Faleiro bevorstand. Eben diesem de Faleiro hatte Dan seinerzeit den Brustschuß verpaßt – vor fünfzehn Jahren, als sich die Sache an Bord der „Tortuga“ ereignet hatte. Auch das hatte de Faleiro bis heute nicht vergessen. Er haßte Hasard und Dan, wie er überhaupt alle Engländer verfluchte und verdammte.
Juan de Faleiro hatte sich langsam erhoben und blickte der „Mercure“ nach, bis nicht einmal mehr deren Mastspitzen an der Kimm zu erkennen waren.
Im verblassenden Dämmerlicht drehte er sich jetzt zu Marchais und Louis um und sagte: „Steht endlich auf. Auf was wartet ihr? Wollt ihr ewig da herumsitzen?“
„Hier im Sand sitzt es sich gut“, erwiderte Marchais feindselig. „Es ist weich und warm. Was Besseres könnte ich mir im Moment nicht vorstellen.“
„Wir haben keine Zeit zu verlieren“, sagte der Spanier barsch.
Louis grinste höhnisch. „Die Zeit spielt von jetzt an keine Rolle mehr. Wir kommen von hier nicht mehr weg, vorläufig jedenfalls nicht. Es gibt nicht mal ein bißchen Holz, aus dem wir ein Floß bauen könnten. Schwimmen bis nach Sizilien ist nichts, weil es im Wasser von Haien nur so wimmelt, falls du das nicht wissen solltest. Tiburónes, verstanden, de Faleiro?“
„Ja. Aber wir müssen ein Lager für die Nacht errichten. Es wird kalt, sobald die Sonne ganz untergegangen ist.“
„Und wenn schon“, sagte Marchais, dem tatsächlich alles gleichgültig zu sein schien. „Das ist doch egal. Sterben werden wir schon nicht.“
„Und den Arsch frieren wir uns auch nicht ab“, fügte Louis grinsend hinzu.
„Wir müssen eine Höhle suchen“, sagte de Faleiro mit wachsendem Zorn. „Ich habe keine Lust, die Nacht hier auf diesem häßlichen Stück Strand zu verbringen. Vielleicht finden wir auch etwas dürres Holz, mit dem wir ein Feuer entfachen können.“
„Holz genügt nicht“, erklärte Louis träge. „Was uns fehlt, sind Zunder und ein Feuerstein. Wie willst du das besorgen, de Faleiro?“
„Ihr werdet danach suchen!“
„Wir?“ Marchais’ Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt. „Dir geht’s wohl nicht gut, was? Du bildest dir wohl auch ein, daß wir jetzt loslaufen und nach einer Höhle Ausschau halten, wie?“
„Ja, das erwarte ich von euch.“
Louis spuckte de Faleiro vor die Füße. „Da, das ist alles, was du im Moment von uns erwarten kannst.“
„Entschuldige dich dafür!“ schrie de Faleiro ihn an, und das Echo seiner Worte tönte von den kahlen Inselfelsen wider. „Wie kannst du dir so etwas anmaßen?“
Marchais war plötzlich auf den Beinen und rückte auf den Spanier zu.
„Jetzt hab ich aber wirklich die Schnauze voll von dir, du Kastanienfresser!“ zischte er. „Hör mit dem Geschrei auf, ich kann’s nicht mehr ertragen. Und spiel dich hier nicht als Capitan auf, das ist nicht angebracht. Von dir nehmen wir nämlich keine Befehle entgegen, kapiert?“
Nein, das begriff Juan de Faleiro in seiner grenzenlosen Borniertheit nicht. Er konnte nicht anders, er mußte auch jetzt noch den Vorgesetzten hervorkehren. Die beiden Franzosen waren für ihn „nur“ Vordecksleute und hatten nichts zu sagen.
Marchais und Louis indessen – für ihren Verrat selbst einsichtslos – sahen ausschließlich in de Faleiro den Grund für ihre jetzige miese und aussichtslose Lage. Er war der Sündenbock, an dem sie all ihre Wut ausließen. Klug wäre es von de Faleiro gewesen, jetzt erst einmal zurückzustecken. Aber er dachte nicht daran. Er ballte die Hände zu Fäusten, schleuderte Marchais einen saftigen spanischen Fluch an den Kopf, und nun platzte diesem endgültig der Kragen.
Marchais fiel über de Faleiro her, und da sprang auch Louis mit rauhem Lachen vom Sand auf und eilte seinem Kumpan zu Hilfe. Mit vereinten Kräften rangen sie den Spanier nieder und deckten ihn mit Hieben ein. Jeder Schlag wurde