Couteau wollte nach einem greifen, doch der blieb stehen, hob kampfeslustig die Schere und ging zum Angriff über, als er die Hand dicht vor sich bemerkte. Dann zuckte die Schere vor und schnappte zu.
„Nicht mit mir, Freundchen“, sagte der Franzose lachend. Blitzschnell griff er mit der anderen Hand zu und hob den Dwarsläufer hoch.
Sie bestaunten ihn gründlich von allen Seiten. Es war ein prachtvolles Exemplar.
„Calaloo“, sagte Mel grinsend, „jede Menge, bis zum Erbrechen. Jetzt müßte es noch ein paar Inseln mit Tomaten, Knoblauch und Zwiebeln geben, alles schön dicht beisammen. Dann könnten wir gleich abkochen. Helft mir mal, die Jolle ins Wasser zu schieben. Ich kann es kaum erwarten, bis der erste Bursche am Haken hängt.“
Ein paar der Dwarsläufer flüchteten in Sandlöcher, ins Wasser oder unter das Grün des Dickichts, als die Tritte der Männer in ihren unmittelbaren Nähen erklangen und den Boden erschütterten. Andere ließen sich überhaupt nicht stören.
Sie schoben die Jolle ins Wasser und gaben ihr einen kräftigen Stoß. Langsam driftete sie ins Meer hinaus, und Mel Ferrow spießte erwartungsvoll seinen ersten Köder auf den Haken.
Das Fischchen zappelte noch und erweckte die Neugier anderer, die größer waren und auf leichte Beute lauerten. In der Nähe der kleinen Landzunge war das Wasser tief und klar. Mel konnte weit hinuntersehen. Tief unter ihm wuchsen ein paar Korallenstöcke, dann war wieder fast weißer Grund zu erkennen, und darüber jagten verzerrte Schatten.
Gleich darauf verspürte Mel den Ruck an der Angelschnur, ein Zerren, ein weiterer Ruck. Er schlug den Haken an und gab Lose, fierte die Leine ein bißchen und hielt sie wieder fest.
Dann begann er einzuholen, und bald darauf hatte er den ersten Zackenbarsch im Boot. Er war mittelgroß, ein prächtiger Fisch, der wild herumsprang. Ein Jagdhieb mit dem Knauf des Messers, und der Zackenbarsch hörte auf zu zappeln und zu leben.
Den zweiten fing er schon ein paar Minuten später. Diesmal war es ein Exemplar, das etwa soviel wog wie ein zehnjähriger Junge.
„Calaloo!“ brüllte Mel erfreut und warf einen Blick zum Strand, wo Roger und sein Freund den Dwarsläufern nachrannten und sie einfingen.
Ein paar von ihnen verließen auch schon wieder heimlich die Körbe und eilten mit ihrem merkwürdigen Gang ins Wasser. Aber Couteau fing sie schnell wieder ein und legte die Bastmatten darüber, die mit Steinen beschwert wurden.
Der vierte Zackenbarsch, etwas später folgte der fünfte. Mel Ferrow war selig. Das ließ sich prächtig an und versprach, ein voller Erfolg zu werden. Er fühlte sich so wohl wie lange nicht mehr.
Da waren der leuchtende Strand, der blaue Himmel, das herrliche klare Wasser und die laue Brise, die sanft über seinen Körper strich.
Er beschloß spontan, eine Art „Krabben-Kurierdienst“ einzurichten und öfter mal hierher zu segeln, um für den notwendigen Nachschub zu sorgen.
Der sechste Zackenbarsch zappelte am Haken. Er war reichlich klein, zappelte und tobte aber stärker als die anderen. Mel gab noch etwas Leine nach. Im selben Augenblick gab es einen harten Ruck an der Leine, durchs Wasser jagte ein Schatten, in der Tiefe brodelte es, und die Leine wurde ihm fast aus den Händen gerissen.
Neugierig starrte der Engländer ins Wasser und zuckte zusammen.
Da war wieder das Ziehen im Magen, die Verkrampfung und sekundenlang panische Angst, die jedoch schnell verging.
Am Haken hing ein Hai, kein Zweifel, und den hatte der zappelnde Barsch angelockt. Der Hai hatte sich sein Opfer geschnappt, zugebissen in seiner furchtbaren Freßgier und den Zackenbarsch samt Haken verschluckt. Jetzt hing er selbst dran.
Die Verkrampfung war vorbei. Mel konnte wieder durchatmen, doch ihm blieb keine Zeit, sich den Hai anzusehen. Das fürchterliche Monster unter dem Boot begann jetzt zu toben, um sich von dem Haken und der Schnur zu befreien. Die Schnur hielt, den eisernen Vorlauf schaffte auch der wütende Riesenfisch nicht.
Und dann zog er los, daß Mel die Schnur durch die Hände glitt. Jetzt flammte in dem Engländer der alte Haß auf die Haie wieder auf. Sein Gesicht war leidenschaftlich gerötet. Der Hai sollte nicht mehr von der Leine gehen.
Es gelang ihm gerade noch im letzten Augenblick, ein paar Törns der Angelschnur um den vorderen Poller zu legen, bevor die Leine ganz ausrauschte und mitsamt dem Hai verschwand. Dann hielt er fest und wartete ab, wie der große Fisch sich weiter verhalten würde.
Der Hai zog los und zerrte die nicht gerade leichte Jolle hinter sich her. Mel sah seinen Schatten unter Wasser, der gut und gern seine zwei Yards maß. Vielleicht erschien er unter Wasser auch größer, als er war, oder es war umgekehrt. Das war Mel jedoch egal. Er hatte das mörderische Biest am Haken und ließ es ziehen. Einmal mußte es ja seine Kräfte erschöpfen.
Roger feuerte gerade eine besonders hartnäckige Riesenkrabbe in den Korb und drehte sich um.
Zu seiner Verblüffung sah er, daß die Jolle mächtig Fahrt aufnahm, obwohl kein Segel gesetzt war. Mel stand im Boot und hielt eine Leine. Er warf keinen einzigen Blick zurück.
„Was ist denn mit dem los?“ fragte Roger verdattert. „Da ist doch gar keine Strömung, und dennoch prescht die Jolle nach Norden ab.“
Grand Couteau starrte ebenso verblüfft auf die Jolle mit dem entschwindenden Mel Ferrow. Achtlos ließ er die Krabbe in den Sand fallen, die er gerade in den Korb werfen wollte.
„Der hat was am Haken“, sagte er fassungslos.
„Die Wassermänner schieben ihn bestimmt nicht“, murmelte Roger. „Aber die Zackenbarsche können doch keine Jolle …“
Er brach schluckend ab. Fassungslos blickten sie ins Wasser vor der Jolle. Dort schien es einmal kurz zu brodeln, dann schoß der tobende Hai aus dem Wasser, drehte sich halb und klatschte in sein Element mit Wucht und Getöse zurück. Die Dreiecksflosse schnitt sofort wieder unter, als das Biest auf Tiefe ging.
„Ein Hai – mein Gott“, sagte Roger. „Der hat tatsächlich einen Hai am Haken. Ausgerechnet er, der Haie so innig liebt.“
„Warum kappt der Kerl denn nicht die Leine?“ schrie Grand Couteau. „Der will hier wohl den Helden spielen?“
Er lief weiter zum Strand hinunter, gefolgt von Roger Lutz und legte beide Hände an den Mund. Dann brüllte er aus vollen Lungen: „Die Schnur, Mel! Kapp die verdammte Schnur!“
„Ja, weg damit!“ brüllte auch Roger. „Hau sie durch, Mel!“
Couteau raufte sich fast die Haare.
„Der sture Hund hört uns nicht einmal!“ schrie er. „Der reagiert überhaupt nicht.“
„Der will nicht hören“, sagte Roger, „denn jetzt ist er in seinem Element. Das große Hai-Fieber hat ihn wohl wieder gepackt. Für den ist das eine reine Leidenschaft, fast ein Vergnügen.“
Die Jolle zog weiter nach Norden, während Mel ihnen den Rücken zuwandte und an der Leine hantierte.
„Schießen“, sagte Couteau, „vielleicht hört er den Schuß, wenn wir mit Musketen ballern.“
„Der hört nicht mal Kanonendonner“, erwiderte Roger abwinkend. „Außerdem umkurvt er da drüben das kleine Inselchen.“
„Wir rufen trotzdem noch mal“, entschied Couteau.
Beide brüllten zusammen aus vollem Hals und sahen der Jolle nach, die sich in ziemlich rascher Fahrt auf das Inselchen zubewegte. Sie beschrieb einen kleinen Bogen.
Mel Ferrow reagierte überhaupt nicht. Mit wachen Sinnen starrte er konzentriert ins Wasser.
Die Jolle jagte, wie von Geistern getrieben, weiter durch das Wasser, führte den angeschnittenen Bogen sauber aus und