Seewölfe - Piraten der Weltmeere 291. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954396887
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dachten aber beide daran, welchen Wahnsinn ein derartiges Unternehmen bedeutete. Der Feind hatte jetzt drei Schiffe: die „Hornet“, die „Fidelity“ und den schwarzen Segler, der uneinnehmbar wie eine Festung zur See war, zumal er aus geradezu unerhört hartem Holz gebaut zu sein schien. Dieser Dreierverband würde die „Louise“ und die „Coquille“ in einem zweiten Anlauf zweifellos versenken.

      Verstärkung brauchte Yves Grammont, doch woher sollte er sie nehmen? Die vier Schiffe, die er aus Saint Nazaire zurückerwartete, würden wohl erst auf Mordelles eintreffen, wenn alles vorbei war. Deren Besatzungen würden dann höchstens noch die Leichen zählen können, die im Meer schwammen.

      So stand der bärtige Bretone vor einem unlösbaren Problem. Hätte er nach den Geboten der Vernunft gehandelt, wäre er unverzüglich an Bord seiner Schiffe gegangen und hätte Kurs aufs Festland genommen. Dort lag die Rettung, und sein Heil durfte er nur noch in der Flucht suchen.

      Doch der Haß war größer. Mordelles, der Hauptschlupfwinkel der Freibeuterbande, war zwar eine schwelende Stätte der Niederlage, aber Grammont konnte und wollte nicht aufgeben.

      Und Terry? Nun, der hielt nur nach einer Möglichkeit Ausschau, sich Grammonts Gelder unter den Nagel zu reißen. Hatte er dieses Ziel erreicht, würde er zusehen, sich schleunigst abzusetzen, ohne einen nachhaltigen Schaden davonzutragen. Was dann aus seinen Kumpanen werden würde, war ihm völlig egal.

      „Achtung“, sagte Ferret plötzlich. „Da kommen sie.“

      Die Piraten lenkten ihre Blicke in die von ihm angegebene Richtung – und da sahen sie alle die „Louise“ und die „Coquille“ in den grauen Schleiern der Morgendämmerung. Wie Gespenster schlichen sie heran und nahmen Kurs auf die Felsenbucht, die Zufluchtsstätte, an der sie wieder ankern konnten.

      „Die „Louise“, immer noch von Saint-Jacques geführt, befand sich in einem leidlich guten Zustand. Schlimm hatte es die Zweimast-Karavelle „Coquille“ getroffen. Sie krängte nach Backbord und schien Wasser zu ziehen. Ein Bild des Jammers war das.

      Grammont stöhnte leise auf, als er die Karavelle wie ein todwundes Tier in die Bucht einlaufen sah. Er litt fast körperlich unter diesem Anblick.

      Narr, dachte Easton Terry und grinste nun doch höhnisch, als er sicher sein konnte, daß ihn niemand beobachtete. Auch deine Stunde hat bald geschlagen, Grammont, vielleicht stirbst du noch heute.

      Pierre Servan und Jean Bauduc waren an Bord der „Coquille“ seit sie ihre beiden Dreimast-Galeonen im Gefecht verloren hatten. Bauduc, der Mann mit den drei Pistolen im Waffengurt, hatte eine Blessur davongetragen, die anfangs noch harmlos gewirkt hatte, sich jetzt aber als lebensgefährlich herausstellte.

      Er hockte auf der Kuhlgräting der Karavelle und hielt sich den Leib. Der schnauzbärtige Servan bemühte sich um ihn. Er hatte seinen breitkrempigen schwarzen Hut abgenommen und fächelte dem Kampfgefährten damit Luft zu – als ob das etwas nutzte!

      „Halt durch, Jean“, sagte er. „Wir sind gleich da. An Land können wir dich besser verarzten als hier auf dem verdammten Kahn. Du kriegst gleich einen Verband, der dir guttun wird.“

      „Und die Kugel?“ fragte Bauduc, der nur mit Mühe ein Stöhnen unterdrükken konnte.

      „Sie steckt nicht. Sie ist glatt durchgegangen. Rede dir nichts ein.“

      Bauduc schloß die Augen und öffnete sie wieder, er blickte an Servan vorbei und sah wieder die Gestalten der Toten auf dem Oberdeck der Karavelle liegen. Gerade wurde eine der Leichen durch die bedrohliche Schräglage des Schiffes in Bewegung gesetzt. Sie rollte gegen das Backbordschanzkleid, ihre Arme schlenkerten wie die Glieder einer Marionette, es war ein grausiger Anblick.

      Bauduc nahm die Hand vom Leib, das Blut quoll darunter hervor. Er zwang sich dazu, so ruhig wie möglich zu sprechen.

      „Gaukeln wir uns nichts vor, Pierre“, sagte er. „Es ist aus. Die Schmerzen werden immer schlimmer. Gleich werde ich schreien wie verrückt.“

      „Hör auf, Mensch, du bist ja nicht ganz richtig im Kopf.“

      „Doch, Pierre. Du mußt mir helfen.“

      „Ich werde dir die Wunde ausbrennen.“

      „Nein. Du verpaßt mir eine Kugel.“

      „Niemals!“ stieß Servan entsetzt hervor. „Das kannst du von mir nicht verlangen. Ich bin doch dein bester Freund.“

      „Eben deshalb. Du mußt mich erschießen, Pierre.“

      „Sei still!“

      „Wenn du es nicht tust, bitte ich Grammont darum. Er wird mich verstehen. Er sieht gleich, wie übel ich zugerichtet bin.“

      Servan beugte sich über ihn und nahm ihm die Pistolen ab – vorsichtshalber.

      „Laß uns erst mal mit Grammont sprechen“, sagte er heiser. „Er wird dir diesen Unsinn schon ausreden. Willst du dich nicht lieber hinlegen?“

      „Nein, es ist besser, wenn ich hier sitzen bleibe.“

      „Wie du willst.“ Pierre Servan wandte sich ab und trat ans Schanzkleid der Steuerbordseite. Er mußte aufpassen, daß er nicht ausglitt und stürzte. Die „Coquille“ zog Wasser wie verrückt. Ein paar Männer waren unter Deck und suchten nach den Lecks. Zwei hatten sie auch schon gefunden und notdürftig abgedichtet, aber es mußte noch mehr geben. Immer wieder tauchten sie in das Seewasser, das dort unten jetzt schon brusthoch stand, und tasteten die Wegerung ab.

      Servan überlegte, ob er Grammont und den anderen, die oben bei den Grotten standen, zuwinken sollte. Aber es bestand kein Grund dazu. Daß die Schiffe die Bucht erreicht hatten, sahen sie ja. Eifriges Gestikulieren war nur angebracht, wenn man einen Sieg davongetragen hatte und triumphierend in den Schlupfwinkel zurückkehrte.

      So blieb alles stumm, und kaum ein Mann rührte sich, auf den Schiffen wie an Land. Es war eine spukähnliche Szene. Nach der „Coquille“ lief auch die „Louise“ unter dem Kommando von Saint-Jacques in die Bucht ein. Beide Schiffe drehten bei, dann fielen die Anker an ihren Trossen, klatschten ins Wasser und senkten sich dem Grund entgegen.

      Erst jetzt gab Servan seinem Anführer Grammont ein Zeichen, daß es um Bauduc schlecht bestellt war. Ein Boot wurde abgefiert und an Land gepullt. Grammont stieg ein und ließ sich an Bord der „Coquille“ bringen.

      Servan stand nach wie vor am Schanzkleid, und auch die meisten anderen Männer an Bord der Schiffe blickten jetzt zu Grammont, der sich in der Jolle näherte.

      Jean Bauduc erhob sich vorsichtig von der Kuhlgräting. Er biß die Zähne zusammen, um einen Schmerzenslaut zu unterdrücken. Seine Lippen waren zu einem dünnen Strich zusammengepreßt, sein Gesicht hatte die Farbe alten Talges.

      Es brannte in seinem Leib, ein Feuer schien sich in seinem Inneren auszubreiten. Er wußte, daß es zu Ende ging, und es war nur richtig, das Drama zu verkürzen.

      Er konnte sich nicht mehr genau erinnern, ob es eine Kugel oder ein Eisensplitter gewesen war, der ihn im Gefecht getroffen hatte. Aber welche Rolle spielte das schon? Ausschlaggebend war nur das eine: Das Ding, wie immer es auch beschaffen sein mochte, steckte in seinem Unterleib. Kein Feldscher der Welt, nicht einmal ein Arzt würde es da herausholen. Er, Bauduc, war dazu verdammt, elendig zu verbluten.

      Er ließ sich auf den Planken nieder und rutschte zu dem Toten, der gegen das Backbordschanzkleid gerollt war. Er langte bei ihm an, sah die Pistole, die aus dem Gurt des Mannes hervorragte, und betete fast darum, daß sie noch geladen sein möge.

      Sie war geladen. Er stellte dies fest, als er sie ihm abnahm. Er brauchte jetzt nur noch den Hahn des Steinschlosses zu spannen – und abzudrücken.

      Die Jolle glitt längsseits der „Coquille“. Servan hatte eine Jakobsleiter ausbringen und abfieren lassen. Grammont enterte auf, kletterte über das Schanzkleid der Steuerbordseite und sah Bauduc, der sich gerade die Mündung der Pistole in den Mund schob.

      „Verdammt, Jean!“ rief er noch.

      Doch