Seewölfe - Piraten der Weltmeere 277. Roy Palmer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Roy Palmer
Издательство: Bookwire
Серия: Seewölfe - Piraten der Weltmeere
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783954396740
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das siehst du doch“, brummte er. „Sitze ich vielleicht? Mann, was ist denn mit deinen Augen los?“

      Murphy nahm einen Schluck Bier zu sich, dann senkte er den Kopf ein wenig, fixierte den Kumpan und entgegnete: „Ich will dir was verraten. Meine Augen sind völlig in Ordnung, und ich sehe auch keine zwei Callaghans, falls du das denkst. Ein Adler sieht von seinem Horst aus alles, was rund um ihn herum vor sich geht, kapiert?“

      „Sicher, Finbar.“

      „Dann komm her.“

      Callaghan befolgte den Befehl und nahm sich vor, doch lieber auf der Hut zu sein. Mit Murphy durfte er es sich auf keinen Fall verderben, und es war eine Dummheit, die Dinge unnötig auf die Spitze zu treiben. Das Fest war noch nicht zu Ende. Irgendwann war auch Murphy voll genug, um jede Aufmerksamkeit zu vergessen und den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen. Dann schlug seine, Callaghans, Stunde, und er konnte sich so ausgiebig mit dem Mädchen vergnügen, wie er nur wollte, keiner würde ihn dabei stören.

      Henrietta saß zitternd da. Eine kalte Hand schien sich um ihr Herz gekrallt zu haben, ihr war schwindlig und übel zugleich. Jeden Augenblick drohten ihr die Sinne zu schwinden.

      Nur das nicht, dachte sie entsetzt.

      Sie überlegte sich, ob es Sinn hatte, jetzt aufzuspringen und Callaghan einen Stoß zu versetzen. Mit wachsendem Haß blickte sie auf den mächtigen Rücken des Kerles. Sie war ernsthaft versucht, es wirklich zu tun, dann aber verwarf sie den Gedanken wieder. Es hatte ja doch keinen Zweck. Sie hatte wahrscheinlich nicht einmal die Kraft, ihn seines Gleichgewichtes zu berauben, und an Flucht war nach wie vor schon gar nicht zu denken. Die Bande würde nur wieder über sie lachen und sich köstlich amüsieren.

      Callaghan trat zu Murphy. Der lachte, hieb ihm auf den Rücken und füllte einen Becher für ihn. Callaghan leerte ihn in einem Zug.

      „Dieses Zeug ist wie Wasser“, sagte er. „Es läuft die Kehle runter wie ein Gebirgsbach, und von der Wirkung merkt man nichts.“

      „Nichts?“ Finbar Murphy nahm ihm den leeren Becher aus der Hand und ließ wieder Bier hineinplätschern. „Dann nur weiter, Callaghan, mal sehen, wie groß dein Fassungsvermögen überhaupt ist.“

      Er selbst hielt kräftig mit, und die Rebellen bildeten einen Kreis um ihn und Callaghan und klatschten Beifall. Wenig später stimmten sie ein rauhes Lied an, stießen Pfiffe aus und warfen ihre Mützen und Hüte in die Luft. Sie ließen sich selbst hochleben und benahmen sich, als hätten sie den Krieg gegen England gerade gewonnen.

      Henrietta war froh darüber, daß sie vorläufig abgelenkt waren. Aber sie gab sich keinen Illusionen hin. Bald würde sich ihr Augenmerk wieder auf sie richten, und sie wußte, daß Finbar Murphy bald so betrunken wie die anderen sein würde. Dann konnte er sie nicht mehr beschützen.

      Sorglos und wild benahmen sich die Rebellen in ihrer Triumphstimmung, wie es ihrer irischen Mentalität entsprach. Sie feierten ihren Erfolg in vollen Zügen, vergaßen die Zeit und alles andere um sich herum. Anders waren sie es nicht gewohnt.

      Wegen der Späher, die bislang noch nicht zurückgekehrt waren, machten sie sich auch keine Gedanken, sie bedauerten sie eigentlich nur, weil sie bei dem ausgelassenen Gelage nicht mit dabeisein konnten.

      Hätten sie auch nur geahnt, was vorgefallen war, wären sie mit einem Schlag stocknüchtern geworden und Finbar Murphy hätte trotz allen Mutes begonnen, um seinen Kopf zu bangen.

      „Seewolf?“ wiederholte Norman Stephens überrascht. „Der Freibeuter aus Cornwall? Verdammt, jetzt wird auch mir erst richtig klar, wer du bist, Hasard Killigrew.“

      Die Zwillinge standen in seiner Nähe, und Philip junior sagte nicht ohne Stolz: „Korsar, bitte, Sir, nicht Freibeuter. Die königliche Lissy hat unserem Dad nämlich ganz offiziell einen Kaperbrief ausgestellt und ihn zum Ritter geschlagen.“

      Erst jetzt meldete sich auch der zweite Gefangene zu Wort. Er verzog seinen Mund zu einem höhnischen Grinsen und rief: „Killigrew? Nie gehört! Ist er der Teufel in Person, Middlebar, daß du vor Angst zu schlottern anfängst?“

      „Spotte du nur“, sagte Douglas Middlebar. „Du weißt ja nicht, was für ein harter Kämpfer er ist.“ Er blickte Hasard an. „Laß mich los, ich bereue, daß ich dich zum Messerduell herausgefordert habe.“

      „Es könnte durchaus sein, daß du siegst, Douglas.“

      „Nein. Ich war damals an der Dungarvanbai mit dabei. In den Drum Hills fungierte ich als Pulverträger und steckte meine Nase nie zu weit nach vorn, aber trotzdem hörte ich die haarsträubendsten Sachen über dich. Ich weiß Bescheid.“

      Hasard mußte unwillkürlich lächeln und lockerte seinen Griff. „Ich nehme an, du verwechselst mich mit Drake.“

      „Keineswegs.“

      „Aber du willst mir doch wohl nicht einreden, daß du seit damals einen so unerhörten Respekt vor mir hast. Das nehme ich dir nicht ab.“

      „Ich habe auch von deinem Einsatz im Kampf gegen die Armada vernommen“, erklärte Douglas Middlebar. „Zwei spanische Kaufleute erzählten mir in Galway alles haarklein, bis in die letzten Einzelheiten. Angehörige von ihnen gehörten nämlich zu den Schiffsbesatzungen der Armada, deshalb wußten sie so genau Bescheid.“

      „Na, und?“ sagte der zweite Gefangene. „Was geht uns die dämliche Armada an?“ Er war ein vierschrötiger Mann mit schmalen grauen Augen und leicht vorspringendem Kinn.

      „Sie lehrt uns so einiges, Cohen“, erwiderte Middlebar.

      „Zum Beispiel? Daß du zur Zeit die Hosen gestrichen voll hast?“

      „Ich kenne meine Grenzen“, antwortete Middlebar ruhig. „Ehe ich mich von diesem Mann auseinandernehmen lasse, gebe ich lieber preis, was ich weiß.“

      „Du beurteilst mich falsch, Douglas“, sagte der Seewolf. „Ich bin alles andere als ein Menschenschinder, und ich hasse es, Wehrlose zu quälen. Viel lieber wäre mir ein fairer Kampf mit dir, bei dem der Verlierer darauf angewiesen ist, die Bedingungen des Gewinners anzunehmen.“

      „Ich verstehe, aber darauf lasse ich mich lieber nicht ein.“

      „Mit anderen Worten, du bist ein Feigling!“ schrie Cohen außer sich vor Wut. „Das habe ich schon immer gewußt, du Hund! Wer weiß, vielleicht hast du dich sogar bei uns eingeschlichen, um was auszukundschaften! Bist du Burkes Spion? Mann, untersteh dich, was zu verraten!“

      Norman Stephens wollte ihn zum Schweigen bringen, doch Hasard ließ Middlebar los und trat dicht vor Cohen hin.

      „Cohen“, sagte er. „Du mußt doch auch einsehen, daß es für euch zwei das beste ist, wenn ihr redet.“

      „So? Daß ich nicht lache! Mich kannst du nicht beeindrucken, du dreckiger englischer Bastard! Binde mich los, dann zeige ich dir, was in meinen Fäusten steckt!“

      Big Old Shane konnte jetzt kaum noch an sich halten und ballte die Hände zu Fäusten.

      „Nimm diese Beleidigung zurück, du Ratte!“ rief er.

      „Stephens“, sagte Hasard. „Den Bastard lasse ich nicht auf mir sitzen. Tun Sie ihm den Gefallen, und nehmen Sie ihm die Fesseln ab.“

      „Moment mal“, sagte Stephens. „Wer gibt hier eigentlich die Befehle?“

      „Sie. Ich habe nur eine Bitte ausgesprochen.“

      Stephens dachte nach. Wurde hier seine Autorität untergraben? Beging er nicht einen schwerwiegenden Fehler, wenn er Hasards Vorschlag annahm? Was war, wenn dieser Cohen einfach weglief und sie gezwungen waren, auf ihn zu schießen?

      „Ich weiß, was du denkst, Kommandant“, sagte Cohen mit hämischem Unterton. „Aber ich fliehe nicht. Ich bin aus einem anderen Holz geschnitzt als Middlebar. Ich werde diesem aufgeblasenen Korsaren hier die Fresse polieren. Danach kannst du mich wieder fesseln und von mir aus auch aufknüpfen, mir ist das scheißegal. Ich zeige euch mal, wie ein Mann stirbt.“