Das Übernatürliche. Gregor Bauer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gregor Bauer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Религия: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783906212838
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eine anregende Lektüre.

       Gregor Bauer

      Düren, im April 2021

       2.

       Wissenschaftsgeschichte:

      Was haben Naturwissenschaft und Religion einander angetan?

      „Engel haben an der Universität nichts zu suchen.“ So hat mein Philosophie-Professor klargestellt, was er davon hält, wenn die Religion Einfluss nehmen will auf die Wissenschaft: nichts.

      Und dafür hat er gute Gründe, wie die Geschichte der Naturwissenschaften zeigt. Hat die Religion der Wissenschaft nicht lang genug Knüppel zwischen die Beine geworfen? Waren es nicht die Mythen der Frommen, die der Einsicht in die Naturgesetze im Weg standen? Hat sich der Glaube an einen Schöpfergott und Unsterblichkeit nicht mit Evolutionstheorie und Hirnforschung erledigt?

      Dieser Eindruck liegt nahe. Aber seien wir nicht voreilig: Wie wir das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion sehen, ist auch eine Frage der Perspektive. Deshalb möchte ich die Geschichte der Naturwissenschaften zweimal knapp skizzieren, von gegensätzlichen Standpunkten aus.

      Zur Skizze 1: Hier orientiere ich mich vor allem an:

      •Lars Jaeger (2015): Die Naturwissenschaften. Eine Biographie

      Jaeger (*1969), Physiker und Unternehmer, ist ziemlich sauer auf die Kirche, weil sie seinen Kollegen immer wieder das Leben schwer gemacht hat. Für ihn als Naturalist ist klar: Religion ist als vorwissenschaftliches Denken zu überwinden und durch Wissenschaft zu ersetzen.

       Wie alt ist der Konflikt zwischen Wissenschaft und Religion?

      Die Geschichte der Naturwissenschaften konnte, so Jaeger, überhaupt erst beginnen, als Menschen zum ersten Mal religiöse Mythen als Erklärung für natürliche Vorgänge ausschlossen. So gesehen, war Anti-Religiosität von Anfang an ein Merkmal der Naturwissenschaften.

      Die frühesten Überlieferungen einer solchen Geisteshaltung stammen aus der „Achsenzeit“: So bezeichnete der Philosoph Karl Jaspers (1883–1969) die Zeitspanne von etwa 800 bis 200 vor Christus. Damals wurden in China, Indien, Palästina, Persien und Griechenland die geistigen Grundlagen gelegt, die die Menschheit heute noch prägen. Für das Verhältnis von Religion und Wissenschaft besonders wichtig wurde die ionische Revolution der „Vorsokratiker“ in den griechischen Kolonien des sechsten Jahrhunderts.

      Der erste von ihnen, Thales von Milet (ca. 624–547 v. Chr.), ist auch der erste, von dem wir wissen, dass er die Welt rational erklärte: Alles, was es gibt, führte er auf nur eine einzige Grundsubstanz zurück – auf Wasser. Weitere vorsokratische Entmythologisierer waren:

      •Anaximander (ca. 610–545 v. Chr.). Er führte Gewitter nicht mehr auf einen blitzeschleudernden Zeus zurück, sondern erklärte sie als Folge platzender Druckluftwolken.

      •Heraklit (ca. 544–484 v. Chr.) verachtete den überlieferten Volksglauben und hielt sich stattdessen an seine eigenen Sinne.

      •Parmenides (ca. 540–470 v. Chr.) setzte radikal auf den bloßen Verstand.

      •Demokrit (ca. 460 – ca. 370 v. Chr.) und sein Vorgänger Leukipp (5. Jh.) erklärten alles, was überhaupt existiert, mit unterschiedlich zusammengesetzten Atomen im leeren Raum.

      Die Anhänger der Religion haben solche Auffassungen schon sehr früh als bedrohlich empfunden und erbittert bekämpft:

      •Anaxagoras (ca. 500–428 v. Chr.) entging nur knapp der Hinrichtung. Sein Verbrechen: Er hatte behauptet, dass die Sonne nicht ein Gott sei, sondern ein glühender Steinhaufen.

      •Sokrates (469–399 v. Chr.) wurde als Lehrer des kritischen Denkens zum Tod verurteilt.

      •Aristoteles (384–322 v. Chr.) floh aus Athen, als er wegen angeblicher Gotteslästerung mit dem Todesurteil rechnen musste.

       Wann war die erste Blütezeit von Wissenschaft und Technik?

      Das wissenschaftliche Denken war jedoch nicht mehr aufzuhalten – jedenfalls zunächst nicht: Nach Aristoteles und bis ins späte zweite Jahrhundert nach Christus hinein kam es zu einer wahren Explosion des Wissens in der gesamten griechischsprachigen Welt, also von Sizilien über Südosteuropa, Kleinasien, Ägypten und Syrien bis ans Schwarze Meer.

      Es war die Zeit des Hellenismus. Ob Seefahrt, Ackerbau, Bergbau oder Militär: Überall wurde ein erstaunlich hoher technologischer Stand erreicht. Naturforscher kamen modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen und Methoden bereits sehr nahe:

      •Aristarchos von Samos (310 bis um 230 v. Chr.) lehrte, dass sich die Erde um die Sonne drehe. Die Kirche sträubte sich gegen diese Einsicht noch 19 Jahrhunderte später mit Händen und Füßen.

      •Archimedes von Syrakus (287–212 v. Chr.) kombinierte schon Experimente mit mathematischen Methoden.

      Damit wurde Archimedes zum Vorläufer der wissenschaftlichen Revolution, die noch 1700 Jahre auf sich warten ließ.

      Auch andere hellenistische Forscher betrieben bereits Wissenschaft im heutigen Sinn: Sie experimentierten und schlossen von Einzel-Phänomenen auf allgemeine Erkenntnisse (Induktion).

      Auch anatomische Untersuchungen an menschlichen Leichen gab es damals schon, wenn auch gegen die religiösen Verbote der Zeit. Auf diese Weise entdeckte der Mediziner Herophilos von Chalkedon (ca. 330–255 v. Chr.) zusammen mit Erasistratos von Keos (ca. 305–250 v. Chr.) den Unterschied zwischen Arterien und Venen. Der geriet im christlichen Mittelalter (ca. 500–1500 n. Chr.) wieder in Vergessenheit, wie viele andere wissenschaftliche Erkenntnisse des Hellenismus. Warum wohl?

       Warum fiel das Mittelalter hinter den Hellenismus zurück?

      In der mittelalterlichen Medizin wurden Herophilos und Erasistratos ersetzt durch Galen (129 oder 131 bis 205 oder 215 v. Chr.). Medizinisch war das ein Rückschritt, denn Galens Anatomiekenntnisse basierten auf der Untersuchung von Tierkörpern, nicht von menschlichen Leichen. Aber Galen passte besser zur herrschenden religiösen Ideologie. Denn er betrachtete den menschlichen Körper als Ausdruck göttlicher Macht und Perfektion.

      Die christliche Religion, seit dem vierten Jahrhundert nach Christus im Römischen Reich tonangebend, wurde bald zur alles beherrschenden Ideologie. Vom Wesen her autoritär und dogmatisch, war ihr kritisches Denken nicht in die Wiege gelegt. Zur wissenschaftlichen Forschung verhielt sie sich immer wieder gleichgültig bis feindselig.

      Besonders vernichtend fällt Jaegers Urteil über die Zeit vom fünften bis zum frühen elften Jahrhundert aus: Er charakterisiert sie als Epoche des kompletten intellektuellen Zerfalls und des Vergessens antiken Wissens. Andere Denktraditionen als die platonische blieben für Jahrhunderte unbekannt.

      Erst ab dem 13. Jahrhundert konnte der Verfall des wissenschaftlichen Denkens aufgehalten werden. Selbstständiges naturwissenschaftliches Denken und Forschen gab es in Westeuropa erst wieder ab dem 15. Jahrhundert, als die Kirche bereits ziemlich schwächelte.

       Wie hat die islamische Welt im Mittelalter die Wissenschaften gefördert?

      An der deprimierenden Situation intellektuellen Stillstands änderte sich erst etwas, als Europa im zwölften Jahrhundert in direkten Kontakt mit arabischen Gelehrten kam. Ist die islamische Religion also wissenschaftsfreundlicher als die christliche?

      Jahrhundertelang sah es so aus. Von 750 bis 1250, während ihres „goldenen Zeitalters“, waren arabische Gelehrte den westeuropäischen in Wissenschaft und Technologie weit überlegen.

      •Algorismi