SONNENBRAND. Peter Mathys. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Peter Mathys
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783957658593
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bis zu fünfzig.«

      Roman sagte leise, fast ehrfürchtig: »Die haben tatsächlich die Raumfahrt entwickelt, und zwar die interstellare. Wir, Terra, haben es bis zum Mond und zum Mars geschafft; das habe ich im Spielleiterkurs gelernt. Später sind einige Raumschiffe zu ferneren Sonnensystemen aufgebrochen, gingen aber im All verloren. Und dann hat Terra das Interesse verloren.«

      Marnie sandte einen Gedanken zu ihrer Ameise. »Mit eurer Hilfe werden wir die Raumfahrt wiederbeleben.«

      Die Ameise erwiderte: »Und wir hoffen auf das Plätzchen für ein paar Tausend Kadari. So haben beide Seiten etwas, das für die andere Seite von Interesse ist.«

      4.

      »Über diesen Tauschhandel muss noch geredet werden«, bemerkte Roman knapp.

      Die Ameise krabbelte langsam aus ihrer Ecke hervor. Marnie sah sofort, dass ein Stück des Eichenparketts in der Größe eines Geldbeutels angeknabbert war. Außerdem befanden sich gleich daneben drei Tropfen einer dunkelbraunen Flüssigkeit.

      »Von dir?«, fragte Marnie überflüssigerweise.

      »Ja. Wir brauchen sehr wenig und können uns von fast allem ernähren.«

      Marnie schmunzelte, aber ihre Botschaft an die Ameise war eindeutig. »Du musst jetzt meine Wohnung verlassen. Geh in den Garten auf der Rückseite des Hauses; dort gibt es genug Büsche und Blattpflanzen, wo du dich verkriechen kannst. Außerdem wirst du dort jede Menge deiner kleinen Artgenossen antreffen.«

      Die Ameise sandte folgende Gedanken zurück: »Kein Problem. Und ich warte gerne auf Romans Erklärungen zu seiner Idee für unser Hauptquartier.«

      Roman schüttelte wieder den Kopf. Seine schwarze Mähne hing ihm wirr über die Stirne. Er erklärte: »Das geht nicht so schnell, mit dem Erklären nicht und mit dem Gewöhnen auch nicht. Und dass Marnies Hausameise meine Ideen kennt, bevor ich sie ausspreche, irritiert mich sehr.«

      Marnie öffnete die Türe zum Garten. »Da, bitte«, sagte sie. »Hast du eigentlich einen Namen, sodass man dich von den anderen Ameisen unterscheiden kann?«

      »Nein. Wir verständigen uns taktil durch Berührung unserer Fühler, durch Körperbewegungen, olfaktorisch durch gewisse Ausscheidungen und manchmal akustisch durch sehr leise Geräusche. Diese Ausdrucksformen genügen, um uns gegenseitig auszutauschen.«

      »Aber uns nicht«, widersprach Marnie.

      »Das macht nichts. Wir wissen gegenseitig stets alles voneinander. Jede andere von uns könnte jederzeit unser Gespräch hier fortsetzen. Deshalb spielt es keine Rolle, wen ihr vor euch habt.«

      »Ich bin verblüfft. Darüber muss ich nachdenken«, erwiderte Marnie.

      »Es vereinfacht die Kommunikation. Wir brauchen keine Namen.« Sie senkte ihre Fühler in einer Art Abschiedsgruß und beinelte zielstrebig durch die offene Türe ins Freie.

      Als sie allein waren, bemerkte Marnie: »Es nimmt mich wunder, wie weit ihre Gedankenübertragung funktioniert.«

      »Keine Ahnung«, gestand Roman. »Ich glaube, wir müssen davon ausgehen, dass wir total transparent sind – und dass es keine Diskretion mehr gibt.«

      Marnie ließ sich in ein Sofa fallen. Ihr junges Gesicht zeigte Spuren der Erschöpfung, dunkle Flecken unter den Augen und zwei tiefe Runzeln von der Nase zu den Mundwinkeln. Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und sagte:

      »Ich habe genug für einen Tag. Zu viel Neues, zu viel Unangenehmes, zu viel Stress. Aber sag mir, was ist das für eine Idee, die unser Hausgast vor mir erfahren hat?«

      Roman schmunzelte. Voll Begeisterung erklärte er: »Ich habe, während du mit der Ameise geplaudert hast, einen Wohngleiter bestellt. Er bringt uns zu einer alten Militäranlage, die seit über hundert Jahren nicht mehr benutzt wird. Die Anlage ist etwa sechzig Kilometer von unserer Innenstadt entfernt, wahrscheinlich von allen vergessen und in einem schäbigen Zustand, mit anderen Worten genau das, was unsere interstellaren Freunde suchen.«

      »Tönt interessant. Lass uns hinfahren.«

      Unterdessen spiegelte der Himmel den Beginn der Abenddämmerung. Bis es ganz dunkel wurde, blieben ihnen noch anderthalb Stunden. Die weißen Wölkchen glichen immer mehr den Plüschtierchen, an denen sich kleine Kinder und Haushunde erfreuten, die mächtigen Wolken mit ihren rotorangen Rändern glichen strengen, mit großen Pinseln hingeworfenen Kunstwerken. Auf die Frage der Behörde, einer Untergruppe der Troika, nach dem Zweck der Fahrt, verriet Roman vieldeutig: »Fahrt zu zweit in die Umgebung, um den Abendfrieden zu genießen.« Das wurde ohne Weiteres akzeptiert.

      Die Militäranlage hieß schlicht Kaserne, obwohl sie mangels Soldaten und Offizieren leer stand. Rechts von der Einfahrt erhob sich ein hässlicher, fünfstöckiger Turm aus Zementsteinen, einem Material, das seit ewigen Zeiten nicht mehr verwendet wurde. Roman erklärte Marnie, der Turm habe als Gefängnis gedient, deshalb die kleinen Fenster. An den Turm anschließend standen dreistöckige Mannschaftsunterkünfte aus denselben Zementsteinen, Konferenzsäle, am fernen Ende eine große Küche samt allen Pfannen und Geräten, alles mit einem schmierigen Film überzogen.

      Marnie und Roman waren ausgestiegen und schritten über den Innenhof, der wohl auch als Exerzierplatz gedient haben mochte. Neben einer Türe stand ein altes Geländefahrzeug mit einem durchlöcherten Faltdach, aber weit und breit war kein Mensch zu sehen. Etwa dreißig Meter weiter sahen sie eine Reihe von zehn Fahrrädern, alle in schöner Disziplin parallel geparkt, den Lenker mit dem Vorderrad einheitlich nach rechts gedreht und alle alt und verrostet. Ganz hinten, neben der Küche entdeckten sie schmutzige Pferdeställe, ebenfalls leer und vereinsamt.

      Einmal fragte Marnie: »Woher kennst du diese Anlage?«

      »Spielwand«, lachte Roman. »Die hat nicht nur viele Tausend Bücher, sondern ist auch mit dem Internet und unseren Uhren verbunden. Aber das weißt du.«

      »Können wir auch hineingehen?«

      »Natürlich. Es ist einfach alles ein wenig schmutziger als hier draußen.«

      »Das macht nichts«, sagte Marnie. »Diese Anlage ist geradezu ideal für die Kadari. Auf den schmutzigen Böden gibt es kleine Insekten, Würmer, Larven, Raupen, was du willst.«

      Roman nickte, aber in seinem Gesicht standen Zweifel geschrieben. »Ich bin gleicher Meinung, aber wenn die Troika davon Kenntnis erlangt, wird sie die Anlage sofort beschlagnahmen und wichtige Pläne vorlegen, die dringend realisiert werden müssen. Die wollen hier keine Ameisen.«

      »Da müssen wir uns etwas einfallen lassen.« Sie musterte Roman mit einem bittenden Blick. »Du hast doch immer gute Ideen.«

      »Themawechsel«, erklärte Roman. »Schau da, vor uns. Etwa fünf Meter.«

      Sie sah es sofort: Zwei Ameisen marschierten direkt auf sie zu.

      »Seid gegrüßt, Marnie und Roman«, sagte die eine. Die andere sagte nichts.

      »Seid auch gegrüßt, Ameisen«, erwiderte Marnie.

      »Normalerweise verzichten wir auf solche Förmlichkeiten und kommen gleich zur Sache«, erklärte die Sprecherin.

      »Woher wisst ihr, dass wir hier sind?«

      »Ich habe in Roman gelesen, da war alles schön gespeichert.«

      Marnie wurde sich plötzlich bewusst, dass sie keine Ahnung hatte, wie ihr Abenteuer mit den Ameisen weitergehen sollte. War es ihre Aufgabe, die Behörden zu kontaktieren? Hatte die Gruppe um Aufseher Tschechoff bereits Maßnahmen eingeleitet, die ihren und Romans Vorstellungen zuwiderliefen? In der Innenstadt waren praktisch keine Ameisen mehr anzutreffen. Sie schienen verstanden zu haben, dass Zurückhaltung ihre beste Vorgehensweise war. Die Sprecherin der beiden Ameisen, die mental nur eine waren, bestätigte das.

      »Wir haben uns überall zurückgezogen, wo Gefahr besteht, dass man uns entdeckt. Einige Beobachter haben wir in der Nähe von Tschechoff stationiert. So können wir seine Gedanken und die seiner Anhänger lesen. Sie