Er legte den Kopf in den Nacken und schien zu überlegen. »Ganz ehrlich?«, fragte er schließlich, als stünde er kurz vor der großen Offenbarung, die die Welt verändern könnte.
Ich hasste dieses Getue, sollte er doch einfach damit rausrücken, was er zu sagen hatte, oder für immer schweigen. Wobei mir letzteres fast noch besser gefiel. »Rede halt, du erstickst doch schon fast an deinem Wissen.«
»Also gut«, er winkte ab, »du wolltest es wissen.«
Die Art, wie er das formulierte, war mir nicht geheuer, denn es implizierte zwischen den Zeilen, dass er nicht vorhatte, mir ein Kompliment zu machen.
Eigentlich sollte ich jetzt einen auf Cool machen, ihm mit einem Zeichen von Desinteresse signalisieren, wohin er sich sein blödes Gelaber stecken konnte. Leider siegte die Neugier und das regte mich tierisch auf. »Lass es endlich raus«, zischte ich und leckte einen Tropfen Schokoeis von meinem Daumen.
»Ist ja schon gut. Seien wir mal ehrlich, du bist keine Wow-Frau …«
»Keine was?«, unterbrach ich ihn ungläubig.
»Keine Wow-Frau«, wiederholte er geduldig, als hätte lediglich ein akustisches Problem vorgelegen, obgleich er ganz genau wusste, dass dem nicht so war. »Lass mich doch erst mal ausreden.«
»Rede«, knurrte ich, als würde ich ihm eine geladene Pistole an die Schläfe halten.
»Du bist eher eine Frau für den zweiten Blick.« Nachdem er mich kurz gemustert hatte, ergänzte er rasch: »Das sollte ein Kompliment sein.« Offenbar war ihm die Verdüsterung meiner Miene durchaus aufgefallen. Somit konnte er sich in Zukunft auch den billigen Spruch sparen, man würde meinem süßen Gesicht einfach nie ansehen, wann ich wütend wurde.
»Aha, ein Kompliment. So auf die Art: Aber sie ist nett.«
»Nein, so habe ich das nicht gemeint«, stellte er ungewohnt energisch fest. »Du machst einfach so wenig aus dir.« Mit einer auffälligen Geste deutete er auf meinen schwarzen Einteiler, der im Kaufhaus noch das schickste von allen Modellen gewesen war. Er hätte mal die anderen Ungetüme sehen sollen.
»Warum trägst du so Zeug? Du würdest toll in einem Bikini aussehen, wieso machst du dich absichtlich zwanzig Jahre älter?«
Das war zu viel, in mir brodelte es hoch. »Vielleicht will ich Typen wie dir gar nicht gefallen. Schon mal daran gedacht? Ich scheiß auf Komplimente von dir, vor allem, wenn sie sowieso nur dazu dienen, dass du dich auf meine Kosten lustig machen kannst.« Ich setzte mich wieder in Bewegung. Warum reagierte ich auf einmal so emotional?
Nick hielt mich am Arm zurück und drehte mich zu sich. »Hey.« Er sah mich so durchdringend an, als versuchte er, meine Gedanken zu lesen. »Ich wollte mich nicht über dich lustig machen. Du bist hübsch, aber du bemühst dich nicht einmal, es zu zeigen. Mehr wollte ich dir damit nicht sagen. Sorry, wenn ich dir zu nahegetreten bin.« Er lächelte ansatzweise, während er mir seinen durchtrainierten Körper mit einer weit ausholenden Geste präsentierte. »Du darfst mich jederzeit kritisieren und du wirst sehen, ich nehme es dir nicht übel.«
Widerwillig musterte ich seinen Körper. Leider fand ich keinen einzigen Makel, sogar seine hunderttausend Tattoos auf beiden Armen sahen heiß aus, sie flossen ineinander und fügten sich zu immer neuen Bildern zusammen, hatten Stil. Auf seinem Bauch zeichnete sich jeder einzelne gottverdammte Muskel ab und verführte regelrecht zum Darüberstreicheln. Nur mit Mühe hielt ich meine Hand davon ab, etwas Dummes zu tun. Verdammt, mein Hirn vernebelte in seiner Nähe.
»Du bist nicht mein Typ«, erklärte ich hochmütig. Das war ganz klar gelogen. Optisch fand ich ihn toll, so viel Selbsteinschätzung besaß ich. Er zuckte zusammen und sah mich für einen Moment starr an, was sich wie ein minikleiner Triumpf anfühlte. Ich hatte ihn getroffen – mitten ins Ego. Strike. »Ich muss zugeben, anfangs fand ich dich ganz kurz mal gut.« Ich zuckte mit den Schultern. Das war lang her. »Die Tratsch-Post an der Uni hat es dir schließlich brühwarm zugetragen. Aber weißt du, wann sich das gelegt hat?«
»Wann?«, fragte er knapp, zeigte dabei allerdings keine äußerliche Regung. Zu schade. Ich hätte ihn so gern ein paar Tränen wegblinzeln sehen. »Als ich dich näher kennenlernte. Da merkte ich, dass das Aussehen zu einer unwichtigen Komponente wird, wenn der Rest nicht stimmt.«
»Und der stimmt nicht?«
»Tja …«, Ich musste zugeben, ich genoss es, den Spieß umgedreht zu haben. »Sagen wir mal, du bist so interessant wie ein ausgefülltes Kreuzworträtsel.« Der Kerl war sich seiner gottgegebenen Perfektion so sicher. Vielleicht war er das in den Augen seines weiblichen Fanclubs auch, aber mich konnte er nicht darüber hinwegtäuschen, dass er nichts weiter als ein Blender war.
Bedauerlicherweise fing er sich viel zu schnell wieder und strahlte die gewohnte Selbstsicherheit aus. Nicht mal das kleinste bisschen Freude konnte er einem gönnen.
»Du kennst mich gar nicht«, sagte er schließlich, drehte sich um und schlenderte zurück zu seinem Platz. Im Weggehen winkte er lässig.
Mir blieb der Mund offen stehen. Ich kannte ihn gar nicht? Wer, wenn nicht ich, das jahrelange Opfer all seiner Gemeinheiten, kranken Späße und bescheuerten Scherze, hatte denn mehr Erfahrungen mit ihm sammeln können? Und jetzt ließ er mich einfach stehen? Das wäre eigentlich mein Part gewesen.
Nachdem ich ihm lang genug hinterhergestarrt hatte, ging ich zurück zu meinen Freunden. Nick konnte mich mal.
2. Kapitel
Gegen Spätnachmittag packten wir unsere Sachen zusammen. Pias Haut zierte schon eine leichte Röte und Ben schien nach seiner durchfeierten Nacht mehr der Sinn nach Ruhe und Schatten zu stehen.
In der Umkleidekabine entledigte ich mich des von Nick so verachteten Ungetüms von Badeanzug. Ich hasste das Teil ebenfalls, es war beileibe nicht so, dass ich mich freiwillig der Öffentlichkeit in diesem Einteiler präsentierte. Auch ich hätte mich lieber in einem knappen sexy Bikini in die Sonne gelegt. Nick hatte recht. Ohne eingebildet klingen zu wollen, aber meine Figur war ganz nett, ich war schlank, meine Proportionen stimmten, zudem wurde ich im Sommer wunderbar braun, da gab es nichts daran auszusetzen.
Mein Blick glitt an meinem Körper nach unten. Mit einer Hand strich ich über die vernarbte Haut am Bauch, die ich einem Unfall als Kind zu verdanken hatte. Nie im Leben konnte ich mich mit dieser Entstellung in der Öffentlichkeit zeigen, ohne von allen angestarrt zu werden. Vor allem nicht von Mr. Makellos. Nick. Dabei konnte ich froh sein, dass ich überhaupt noch am Leben war, in den ersten Monaten in der Spezialklinik für Verbrennungen hatten die Ärzte nicht einmal gewusst, ob ich es überhaupt schaffen würde. Die Schmerzen von damals würde ich für den Rest meines Lebens nicht mehr vergessen, wochenlang hatte ich wirklich nur noch sterben wollen. Zudem hatte ich nun panische Angst vor Feuer.
Frustriert ließ ich die Hand sinken. Mein Bauch war eklig, hässlich, verunstaltet. Ich war beileibe keine Wow-Frau, mit dieser Beschreibung hatte Nick voll ins Schwarze getroffen. Meinen Exfreund Linus hatten die Narben auch immer abgetörnt, obwohl ich wirklich alles versucht hatte, sie im Bett zu verbergen. Ich hatte das Licht im Schlafzimmer extrem gedimmt, irgendwann sogar mein Unterhemd während des Sex angelassen, bis wir am Ende nur noch in Stellungen miteinander geschlafen hatten, in denen er meine hässlichen Wundmale nicht zu Gesicht bekommen hatte. Alles hatte nichts geholfen. Schließlich hatte er mit den einfachen Worten Schluss gemacht: Er könne meine Narben nicht mehr ertragen, sie würden ihn so sehr anwidern, dass er keinen mehr hochbekäme.
Unsere Beziehung war jetzt vier Jahre her, seither hatte ich mir keinen Freund mehr angelacht und ersparte mir Scherereien dieser Art lieber. Stattdessen verschlang ich mit Begeisterung erotische Romane, kompensierte damit mein nicht vorhandenes Liebesleben und ließ mich ein wenig über die Tatsache hinwegtrösten, dass ich solche heißen Schweinereien mit einem sexy Christian Grey wohl niemals würde ausleben können. Ich spürte, wie mich diese Gedanken runterzogen, das passierte manchmal ganz schnell. Wenn ich nicht aufpasste, musste ich mich stundenlang unter die warme