• Zu universelle, komplexe Standards,
• nicht standardisierte Gewinngrössen,
• komplexe Fair-Value-Bilanzierung,
• Fokussierung auf kurzfristige Ergebnisoptimierung durch Verschiebung von Aufwendungen und Erträgen.
Gründe für einen Wechsel auf Swiss GAAP FER sind im Weiteren die fehlenden externen Kapitalgeber und die fehlenden komplexen Unternehmensstrukturen. Bei Familienunternehmen ist oft kein externer Kapitelgeber vorhanden, weshalb der Bedarf an umfangreicher Berichterstattung geringer ist.
Ein wesentliches Motiv für die Auswahl eines Rechnungslegungsstandards sind sicherlich die internen Anreizstrukturen für die Unternehmensleitung, so dass sie im Rahmen der Standards Ergebnisse ›steuern‹ können, um den Erwartungen der Investoren gerecht zu werden. In einem gewissen Sinne erlaubt Swiss GAAP FER mehr Wahlrechte als IFRS und bietet durch seinen modularen Ansatz eine höhere Flexibilität.
Bei der Wahl des Rechnungslegungsstandards ist in den Mittelpunkt zu setzen, dass der Rechnungslegungsstandard dazu dient, die Geschäftstätigkeit und das finanzielle Resultat nach tatsächlichen Gegebenheiten zu kommunizieren. Dabei bestehen bei der Bestimmung des Rechnungslegungsstandards und bei der Konkretisierung Wahlrechte, die es zu bestimmen gilt. Die Wahl des Rechnungslegungsstandards ist eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Der Nutzen für ein Unternehmen liegt bei einer verbesserten, transparenteren Rechenschaftsablage, Verfügbarkeit von internen Zahlen oder verbesserten Finanzierungsbedingungen (in Form eines ›besseren‹ Ratings). Wobei allerdings der Rechnungslegungsstandard ohne Belang sein sollte für das Rating eines Unternehmens.125
3.4.6 Verbreitung der Rechnungslegungsstandards
Die Unternehmenslandschaft in der Schweiz setzt sich hauptsächlich aus Klein- und Mittelunternehmen (KMU) und privat gehaltenen Unternehmen zusammen. Nur ein kleiner Teil der Unternehmen sind kotiert. Eine Studie der Stiftung Swiss GAAP FER aus dem Jahr 2019126 zeigt, dass die grosse Mehrheit der befragten Unternehmen das Rechnungslegungsrecht anwendet. Mit zunehmender Unternehmensgrösse wenden die Unternehmen Swiss GAAP FER und IFRS an. Mit 63.3% wird von den meisten Unternehmen das neue Rechnungslegungsrecht (OR) angewendet. Swiss GAAP FER kommt in 23.1% (bei der letzten Befragung 18.1% aus dem Jahr 2014) und IFRS/IAS in 9.1% (letzte Befragung 2014 13.3%) aller Fälle zur Anwendung. Der Rest entfällt auf übrige Rechnungslegungsstandards. Die Unternehmensgrösse spielt dabei eine zentrale Rolle. Je grösser ein Unternehmen (in Bezug auf die Anzahl Mitarbeitenden) wird, desto geringer ist die Verbreitung des Rechnungslegungsrechts (OR).
An der Schweizer Börse (Swiss Exchange, SWX) wendet die Mehrheit der kotierten Gesellschaften IFRS an. Ein Drittel wendet Swiss GAAP FER an. US GAAP hat eine geringe Bedeutung am Schweizer Kapitalmarkt, da nur zehn Unternehmen diesen Rechnungslegunsgstandard anwenden.
Aktuell werden folgende Rechnungslegungsstandards an der Schweizer Börse angwendet (
Tab. 3: Rechnungslegungsnormen an der Schweizer Börse (Quelle: Eigene Darstellung, Abfragestand September 2020 SIX Group)
RechnungslegungsstandardAnzahl Unternehmen Schweizer Börse
Der Entscheid für ein bestimmtes Regelwerk wird massgeblich durch den Adressatenkreis der Rechnungslegung beeinflusst. Zwischen einem True-and-Fair-View-Abschluss nach Swiss GAAP FER und einem Abschluss nach IFRS können sich erhebliche Abweichungen ergeben. Die Überleitungen zeigen, dass True and Fair View/Fair Presentation unterschiedlich definiert werden kann. Der Wechsel bei der Swatch Group von IFRS auf FER zeigt eindrücklich die Wirkungen auf die Jahresrechnung.
Beispiel: Rechnungslegungswechsel Swatch Group Wechsel von IFRS zu Swiss GAAP FER (in Mio. CHF)
2011201220122013
* je Namenaktie unverwässert
Der Wechsel von IFRS auf Swiss GAAP FER bei Swatch Group im Jahre 2012 zeigt, dass die Veränderungen primär bei der Bewertung des Anlagevermögens zu finden sind. Auch bei den übrigen Wechseln auf Swiss GAAP FER zeigt sich, dass die Wertansätze insgesamt nur punktuell bei Goodwill-Positionen, bei immateriellen Vermögenswerten und Vorsorgeverbindlichkeiten angepasst worden sind. Dies führt im Endeffekt zu einer Reduktion des Eigenkapitals.
Nach dem Kotierungsreglement (kurz KR) hat ein Emittent von Beteiligungspapieren an der Schweizer Börse jährlich einen Geschäftsbericht nach einem anerkannten Standard der Rechnungslegung zu erstellen. Hierzu ist auch das Prüfungstestat anzufügen. Dabei sind folgende Rechnungslegungsstandards differenziert nach Marktsegment anzuwenden:
• International Reporting: IFRS oder US GAAP,
• Swiss Reporting Standard: Swiss GAAP FER oder bankengesetzliche Rechnungslegung,
• Standard für Investmentgesellschaften: IFRS oder US GAAP,
• Standard für Immobiliengesellschaften: IFRS oder Swiss GAAP FER,
• Forderungsrechte: IFRS, US GAAP oder Swiss GAAP FER.
Der Geschäftsbericht ist vier Monate nach dem Jahresabschluss zu veröffentlichen.
3.5 Arten von Abschlüssen
3.5.1 Jahresrechnung (Einzelabschluss)
3.5.1.1 Jahresrechnung mit zuverlässiger Darstellung (Einzelabschluss)
Jedes buchführungspflichtige Unternehmen ist verpflichtet, am Ende eines Geschäftsjahres auf der Grundlage der Buchführung eine Jahresrechnung zu erstellen. Diese wird in OR 958 II präzisierend als Einzelabschluss, in der französischen Fassung als »comptes annuels« und inoffiziell Englisch als »financial statements of the individual entity« bezeichnet. Die Mehrzahl in den fremdsprachigen Bezeichnungen weist darauf hin, dass der Jahresabschluss mehrere Elemente umfasst: die Bilanz als Zusammenstellung der Vermögenswerte, Verbindlichkeiten und des Eigenkapitals auf einen Stichtag, die Erfolgsrechnung als Periodenrechnung über Erträge und Aufwände und den Anhang werden in besonderen Fällen ergänzt durch eine Geldflussrechnung und einen Eigenkapitalnachweis. Je nach dem Zweck des Jahresabschlusses bestehen unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten.
Hält sich der Ersteller des Jahresabschlusses an die Vorschriften des Rechnungslegungsrechts (OR 957-961d), hat der Jahresabschluss das Ziel, ein möglichst zuverlässiges Urteil über die wirtschaftliche Lage zu ermöglichen. Deshalb umschreibt RS 2015/1 der FINMA zur Rechnungslegung von Banken /RVB) diese Variante als » statutarischen Einzelabschluss mit zuverlässiger Darstellung«. Dabei muss die Qualifikation »zuverlässig« – wie bereits dargelegt – mit Vorbehalten beurteilt werden. Das Rechnungslegungsrecht erlaubt, »zur Sicherung des dauernden Gedeihens des Unternehmens« eine Verschleierung der tatsächlichen Vermögens- und vor allem der Ertragslage des Unternehmens durch für den Adressaten in der Regel nicht erkennbaren Bildung und Auflösung von stillen Reserven.127
Mit dem Attribut »statutarisch« wird auf die handelsrechtlichen Grundlagen der Jahresrechnung hingewiesen, welche bei Kapitalgesellschaften in den Statuten ihre Rechtsgrundlage finden, indem das Geschäftsjahr und damit der Bilanzstichtag festgelegt werden. Auf früher übliche nähere Bestimmungen zur Jahresrechnung wird in den Statuten in der Regel verzichtet, weil die aktuelle Gesetzgebung – anders als jene von 1936 – ausführlicher ausfällt