"Er kann sich nicht losreißen," sagte hinter ihm eine Dame. Pavic merkte, dass er stehen geblieben war. Er zog seine Hose hinauf, doch sie rutschte gleich wieder; und er enteilte errötend.
Er aß verzweifelt und stumm. Gegen Ende des Festes benahm Blanche de Coquelicot sich gegen ihn ausgelassen. Sie behauptete, den inneren Rand seines Hutes bedecke eine Schicht Schweinefett. Sie versuchte sogar, ihn zu reinigen, indem sie Champagner darauf goss.
Pavic war weit entfernt von den Gänsen, die ihn bewitzelten. Er dachte an seine Photographie, die ehemals in den Schaufenstern zu Jara aushing. Wer weiß, vielleicht hing sie noch dort. Die Frauen schwärmten noch immer vor dem Bildnis des edelgeformten Freiheitshelden. "Und ich sitze hier!" Plötzlich fiel ihm, mit leidenschaftlicher Deutlichkeit, ein perlgraues Beinkleid ein. Er war einmal mit ihm im Triumph spazieren gefahren, im Wagen der Herzogin von Assy.
Er ging erst, als die Rechnung bezahlt war und ihm kein Wein mehr gereicht wurde. Darauf besuchte er eine Weiberkneipe. Gegen Morgen erreichte er sein Zimmer, es lag im vierten Stockwerke eines von Handlungsreisenden benutzten Hotel meublè. Er hielt sich für todmüde, aber als er an dem gelben Stück Glas vorbeikam, vor dem er sich zu kämmen pflegte, begann er unversehens vor Wut zu zittern. Er wandte sich drohend um nach einer unsichtbaren Person.
"So hast du mich aussehen gemacht! Ruchlose! Die Holle erwartet dich, das glaube nur! Du Vornehme! Eine Herzogin gehört in die Hölle! Sie hat ja nie gelitten!"
"Du! Spielt man so mit Menschenleben?" schrie er, und sein Hass und seine Gier quollen auf in Thronen. Eine Sucht quälte ihn, nach der Herzogin und der perlgrauen Hose, beide auf immer verloren. Wären beide vor ihm gelegen, so wäre Pavic in ohnmächtigem Verlangen an ihnen zerflossen.
Er begab sich nicht zu Bette, er redete bis an den Morgen mit der Herzogin.
"Du bist nun vogelfrei, denn du bist zu böse! Dir darf man antun, was man will! Schlecht? Nein, schlecht ist nichts, wenn es zu deinem Schaden geschieht!"
Nachmittags traf er Piselli im Café Venezia. Er winkte ihn in die Ecke und überreichte ihm eine um ein halbes Jahr zurückdatierte Schuldverschreibung der Herzogin von Assy. Pisellis Haut verlor ihren Glanz, sie ward fahl.
"Dieser Mensch bringt mir Unglück," dachte er. Er zahlte sofort aus seiner Tasche und begann dabei schon nachzusinnen, wie Pavic. falls er sein Stückchen wiederholte, zu beseitigen sei.
Doch hatte er von Pavic nichts mehr zu befürchten. Der Tribun ließ sich die Hose anfertigen, aber als sie über seinem Stuhl hing, verkroch er sich ins Bett. Ihn schauderte vor ihr und vor seiner Tat. Die Bettwärme erweichte endlich seine grausame Reue und er durfte weinen. Er schluchzte dermaßen, dass sein Bauch umherkollerte und das Tuch, das ihn bedeckte, Wellen schlug. Das Morgenrot fand Pavic auf den Steinfliesen im Gebet.
San Bacco ging oft im Zimmer der Herzogin auf und nieder. Unter Fechterbewegungen und mit hoher Kommandostimme erklärte er:
"Diesen Tamburini liebe ich nicht, er ist ein Wolf. Und gar die Fürstin Cucuru und ihre Tochter, — ha! Was für Wölfinnen."
"Die armen Frauen!" meinte die Herzogin.
"Arm? oh, ich glaube, dass es für jede weibliche Schande Verzeihung gibt, nur nicht für die Wölfinnen von Priestern."
"Die Familie Cucuru ist also verdammt?"
"Ich glaube es. Dann die Contessa Blà, sie ist mir viel zu witzig. Der Doktor Pavic, ich weiß nicht, warum er ganz verblödet."
"Der eine hat zu wenig Geist, der andere zu viel. Lieber Freund, Sie sind grämlich."
San Bacco verstand seine Gefühle nicht zu deuten, doch wurde ihm im Verkehr mit allen diesen Leuten nicht wohl. Sie berührten ihn gerade so unheimlich, wie manche unter seinen Kollegen im Parlament: beträchtliche, weltkundige Herren, deren zahlreiche Ordensbänder als Fahnen aufgepflanzt waren auf einem Wall von Diebereien und Gesinnungslosigkeiten. Er konnte ihnen nichts davon nachweisen, und wenn der alte Garibaldianer, unterstützt von den geraden Draufgängern und den ahnungslosen Philosophen seiner Partei, einmal losbrach gegen die gewandten Regierungsfreunde, dann hatte er sie zum Schluss verleumdet, sich lächerlich gemacht und vom Präsidenten drei Rügen erhalten.
Gerade jetzt forderte er mit Ungestüm von Land und Volksvertretung, man solle den Bulgaren im Kampfe um ihre Unabhängigkeit zu Hilfe kommen, und zwar nicht bloß gegen ihre Unterdrücker, die Türken, sondern erst recht gegen die Russen, ihre Freunde, die schlimmer feien. Er ging in besonders kriegerischer Stimmung umher, zu höhnischen Reden aufgelegt und zu Revolte.
"Taten! Woher kommt nur die allgemeine Angst vor Taten? Ich verlange nicht, dass man sie tun soll, — wie dürfte ich denn? Aber sie zuzugeben und mit anzusehen, auch dazu findet niemand den Mut: Herzogin, nicht einmal Sie! Hätten Sie sonst meinen Plan verworfen, als ich mit tausend Tapferen Ihr Land befreien wollte?"
Sie vertröstete ihn jedes Mal.
"Ihre Stunde kommt, Marquis, — vielleicht kommt sie. Vorläufig tragen meine Soldaten keine roten Hemden, sondern schwarze Soutanen. Aber ich bitte Sie, bleiben Sie der Meinige!"
"Ich könnte ja doch nicht anders, wenn ich auch wollte," sagte er zum Schluss, besänftigt, schüchtern fast, und mit einem Handkuss.
Es geschahen Umwälzungen in San Bacco, die ihn tief erregten, ohne dass er wusste warum. Eines Morgens ward es ihm dennoch klar, und in einer der Wallungen, aus denen sich sein Leben zusammensetzte, schrieb er seiner Freundin einen Brief.
"Frau Herzogin!
"Ich habe die Ehre, Sie um Ihre Hand zu bitten.
"Sie werden sagen, dass Sie darauf nicht vorbereitet waren. Ich kann nur erwidern, dass auch ich bis heute früh es nicht vorausgesehen habe.
"Mir ist zu Mute, als kämpfte ich wie ehemals, auf einem der Riesenflüsse Südamerikas, als Pirat im Dienste der Republik von La Pinta gegen den Kaiser von Brasilien. Mein Schiff fahrt vor einer grünen Insel vorbei, es steht ein einsames Blockhaus darauf, und in den klaren Morgen hinaus tritt ein junges Weib. Ich lehne am Mast und erblicke sie. Ich lasse die Segel reffen und steige ans Land. Ich bitte das junge Weib in schwarzen Haaren, die meinige zu sein, und führe sie auf mein Schiff, und wir kämpfen fortan Seite an Seite. Die Erde, die' ich erobere, gehört ihr.
"So, Frau Herzogin, wie eine Unbekannte, und ohne mich zu besinnen, möchte ich Sie auf mein Schiff geleiten. Unsere Segel schwellen, wir dringen gemeinsam in das Reich der Freiheit ein, das Sie erträumen; unsere Degenspitzen uns voran.
"Warum ich Ihnen meine Werbung nicht selbst überbringe? Ich schäme mich, — und ich sage Ihnen warum. Ich lasse die Sache der Bulgaren im Stich, für die ich so viel geworben habe, und werfe mich ganz auf diejenige Dalmatiens. Sie ist mir wichtiger, weil sie Ihnen wichtiger ist. Und ich erwarte meinen Lohn nicht mehr, wie bisher noch stets, von der Göttin der Freiheit, sondern, Herzogin, von Ihnen.
"Die Freiheitsgöttin hat mir mit Ehre gelohnt. Ich, der ich den Völkern so viel freie Erde gewonnen habe, bewohne mit fünfzig Jahren ein Gasthauszimmer. Kein Gärtchen ist mein, aber ich dachte noch nie daran.
"Alle meine Taten tat ich ohne das Verlangen nach irdischem Gewinn. Für eine einzige und vielleicht letzte begehre ich nun auf einmal alles, und das Allerherrlichste: das Weib, das ein klarer Morgen vor meinen Blick auf eine Insel hingezaubert hat, und ohne das ich meine nicht mehr weiterfahren zu können. Ich bin selbstsüchtig geworden und gesunken; aber nun habe ich es Ihnen wenigstens gestanden: richten Sie nun.
"Sagen Sie mir, ob ich bleiben darf und für Sie rüsten, zum Zuge in Ihr Land! Wenn nicht, dann breche ich unverzüglich, mit den Selbstlosesten meiner Landsleute, auf nach Bulgarien.
"Und gehöre trotzdem immer Ihnen.
San Bacco."
Sie antwortete:
"Mein lieber Marquis!