Die Göttinnen. Heinrich Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heinrich Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783849660048
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Er ist hergekommen, um Geschäfte zu machen, weil die Römer dazu zu dumm sind. Jetzt gründet er ein riesiges Varietétheater, ein anständiges, in das auch Familien gehen können. Darauf war hier noch niemand verfalle», Geld zu verdienen mit Anständigkeit. Welch kluger Mann!"

      "Ein Jude mit einer Glatze, der mir bis an die Brust reicht. Ich werde ihn und den Priester sich abwechseln lassen und der eine wird mich absolvieren von den Sünden, die ich mit dem andern begehe."

      "Jetzt scherzt sie schon! Sie wird schon noch Vernunft annehmen!"

      "O ja, Maman, sei unbesorgt, schließlich nehme ich doch immer Vernunft an. Du bewegst mich auch noch zu der allerschmutzigsten Sache. Du hast dafür ein so einfaches Geheimnis: du wiederholst sie mir hundertmal. Beim ersten Mal halte ich sie für vollständig unmöglich, bin noch guter Dinge und lache. Beim fünfzigsten Male weine ich. Ich will in den Tiber laufen — vor Ekel. Und beim hundertsten tue ich, was du verlangst — vor Ekel."

      Vinon hatte vor sich hin gekichert. Plötzlich sah sie auf, ihre Brauen, dunkler als das Haar, grenzten aneinander. Aufmerksam und trotzig betrachtete sie ihre Schwester. Sie sagte:

      "Jawohl, Lilian, so bist du."

      Darauf machte sie sich wieder an ihre Schreibarbeit.

      Die Blà hätte wohl mit ihrer Freundin geträumt; doch beschäftigte ihr Geliebter jeden ihrer Augenblicke. Er war häufig übler Laune.

      "Ich verliere, verliere, verliere. Das war nicht immer so."

      "Und warum ist es jetzt so, mein Orfeo?"

      "Mir bringt jemand Unglück."

      "Wie kann sie denn noch, die arme Herzogin! Du fasst, sobald du sie siehst, an deine Hornbreloques und streckst zwei Finger gegen sie aus. Was soll sie dir also anhaben?"

      "Nichts. Sie ist es gar nicht, es ist eine andere."

      "Wer denn, ich bitte dich."

      "Du selbst. Denn du liebst mich zu sehr, das bringt Unglück."

      "O Himmel!"

      Sie war bestürzt bis zur Sprachlosigkeit. Also ihre Liebe kostete ihn Opfer! Wenigstens glaubte er es.

      "Wie tief bin ich in seiner Schuld!"

      Sie entäußerte sich ihres bescheidenen Schmucks. Als eine sicher erwartete Einnahme ausblieb, hatte sie einen Augenblick der Schwäche und der Auflehnung gegen alle ihre Mühsal. Piselli entnahm die Summe, deren er bedurfte, der herzoglichen Kasse.

      "Sind wir denn Pedanten?" meinte er. "Du hättest das tun sollen, ehe du deine armen Colliers drangabst. Versteht es sich etwa nicht von selbst, dass du von deiner Freundin stillschweigend ein Darlehen entnehmen darfst? Musst du ihr davon erst sprechen? Dann ist es mit euerer Freundschaft nicht weit her."

      Sie hatte nicht nötig, der Herzogin davon zu sprechen. Denn schon tags darauf war das Geld zurückerstattet; Piselli hatte gewonnen. Er gewann immer. Täglich griff er in die Schatulle, und täglich brachte er den dreifachen Betrag nach Hause. Er war stets überaus gnädig und großherrlich heiter. Sie zitterte vor der Zukunft und liebte sie. Es war eine Zeit des schönen Einklanges. Orfeo gab ihr prächtige Diamanten, wie sie nie welche besessen hatte. "Da hast du deine Juwelen zurück. Ich könnte es nicht ertragen, dass du meinetwegen etwas entbehrst."

      Sie verkaufte sie heimlich und bereicherte mit dem Erlös den dalmatinischen Agitationsfonds. Es war eine schwere Viertelstunde, als sie sich gestand, das sei eine Sühne.

      "Du verlierst überhaupt nie mehr," sagte sie. "Jetzt wirst du nicht wieder behaupten, meine Liebe bringe dir Unglück."

      "Sie würde es tun, wenn sie könnte. Aber etwas anderes wirkt dagegen," erklärte er geheimnisvoll. "Und zwar viel stärker."

      "Was denn, mein Orfeo?"

      Sie fragte leise. Es erregte sie süß und angstvoll, in die Tiefe seiner abenteuerlichen Seele hinabzublicken. Dort war alles voller Wunder.

      Er ließ sich bitten. Endlich verriet er etwas:

      "Wir sind ja keine Pedanten. Aber es ist nun einmal Tatsache, dass der Einsatz, womit ich spiele, nicht uns gehört. Und die Eigentümerin weiß nichts davon! Das ist von höchster Wichtigkeit, du magst mir glauben oder nicht. Ich habe in den Spielhäusern oftmals die Bekanntschaft von Leuten gemacht, denen ich zutraute — wenn ich's nicht sogar wusste —, dass sie mit fremden Gelde spielten. Du verstehst: Muttersöhne, die den Schreibtisch des Papas erbrachen, oder Bankiers, die das Depot eines Kunden wagten. Nun…"

      Er stellte sich vornehm vor einen lackierten Paravent und erhob belehrend den Zeigefinger.

      "Nun, diese gemeinen Schufte gewannen immer, — ausnahmslos immer."

      Da bemerkte er, dass sie mit geschlossenen Augen dunkel errötete. Die Unehre stand vor ihr und sie hatte nicht den Mut, ihr ins Gesicht zu sehen. Piselli lachte herzlich und umarmte sie.

      "Bin ich etwa ein diebischer Bankier? Kleine Närrin! Solange ich keinen Orden bekomme, darfst du ruhig sein."

      Sie wagte eine Bitte.

      "Wenigstens solltest du sparen. Du bist so leichtsinnig, mein armer Geliebter."

      "Ich verdiene, nicht wahr? Wer verdient, hat auch das Recht, Ausgaben zu machen."

      Er saß auf dem Korso vor den reichen Caféhäusern, den linken Fuß auf den rechten Schenkel gestützt und den Torso leicht und fein darüber geneigt in der Haltung des Dornausziehers. Eine Schar eleganter Damen und Herren umringte ihn, und er bewirtete alle. Er war glücklich und versagte sich keine Laune. Zwei Schwestern aus England, die abenteuernd das Festland durchzogen und manchem Millionär zu teuer waren, — Piselli gönnte sie sich. Nächsten Tages gab er seiner Freundin einen ausführlichen Bericht, zu Ungunsten der Inselbewohnerinnen.

      "Man fällt auf ihre gelben Schöpfe hinein und auf ihre Länge, und weil sie englisch sprechen. Wie sind wir Männer dumm!"

      So oft er sie warten ließ, benutzte sie es als Vorwand, um bei ihrer Arbeit die Nacht zu durchwachen. Er kam in der Dämmerung, schwankend und aufschluckend, doch marmorschön. Sie legte ihn hin, bettete seinen Kopf in ihrem Schöße und behütete, zärtlich und weihevoll, den Schlaf eines Gottes. Das Lampenlicht ward gelb und erlosch. Die Sonne sprenkelte die beschriebenen Blätter, die den Tisch bedeckten. Die Blà berechnete, erschöpft und sorgenvoll, was sie für das Werk dieser langen, fiebernden Stunden bekommen werde. Piselli reckte sich, er sprang auf, gut ausgeruht. In seinen Taschen klimperte der Gewinn der Nacht, er rief fröhlich:

      "Was für ein Frühlingstag! Heute habe ich wieder Glück!"

      Pavic genoss auf Pisellis Kosten manches gute Frühstück, aber er genoss es, in der Menge der Gäste versteckt, als namenloser Mitläufer. Auf die Frage nach dem dicken Herrn in abgetragenem Anzug und schwärzlichem Hemd erklärte Piselli, der Name sei ihm entfallen. Pavic war in seinen Schmerz vertieft, er merkte es nicht, wenn junge Gecken, die ihn gestreift hatten, sich mit dem Schnupftuch den Ärmel betupften, oder wenn ein feines Fräulein, dessen Vater den Rinnstein kehrte, ihm unter angewiderten Fratzen mit Maiglöckchensträußen vor dem Gesicht umherwedelte.

      Eines Abends befand er sich in der Gesellschaft der Pariser Diva Blanche de Coquelicot. Raphael Kalender hatte sie für seine Bühne gewonnen; ihre Bewunderer gaben ihr ein Souper. Auf dem Absatz der flachen Treppe, die zum Speisesaal emporleitete, erhob sich ein Prachtstück von einem Spiegel, wundervoll geschliffen, in gemeißeltem Rahmen, den schwebende Putten umkränzten. Kerzenlicht und Farben glühten höher in diesem Spiegel, als in der Wirklichkeit. Er war wie ein Haus der Wonnen, das sich weit auftat, strahlend und lockend: man musste hineinsehen. Jeder der vorbeikam, zögerte und unterdrückte ein Lächeln der Befriedigung; denn der Spiegel zeigte ihm nur das, was er an sich liebte.

      Der Tribun näherte sich dem Spiegel zwischen zwei Klubleuten. Der eine bewunderte sich hauptsächlich wegen seiner Favoris und seiner schmalen Lackschuhe, der andere wegen seines neuen Fracks. Pavic erkannte dies mit einem plötzlich