Was dem einen sein Buhl, ist dem andern sein Nachtlokal. Jäger meistern das Leben mit Alkohol besser, Hemmungen verschwinden und manche falsche Scham. Macht Alkohol nicht ehrlich, heißt es nicht gar vom Wein, dass in ihm die Wahrheit liegt? Der Griff nach der Flasche, liebe Schäflein und Schäfinnen, ist nicht mit dem nach dem Apfel zu vergleichen – auf der Flasche ist meistens Pfand drauf! Allerdingsque: Wie steht es geschrieben bei den Ephesern 5,18, Gleis 9: „Berauscht euch nicht mit Wein, das macht zügellos, sondern lasst euch vom Geist erfüllen!“
Das heißt im Klartext: Verachtet mir den Birnengeist nicht!
Schluck für Schluck kommt man sich näher! Single Malt wird nicht ausschließlich für Alleinstehende gebrannt! Alles muss Rausch! Alkohol ist das einzig wirklich bindende Glied für den Menschen! Ohne geistige Getränke hätte Picasso nie seine „Blaue Periode“ durchlaufen ... können. Lassen Sie mich Ihnen reinen Wein einschenken: Liebe Gemeinde und Gemeindinnen, wenn Sie den Dingen einmal auf den Grund gehen wollen, schauen Sie einfach tiefer ins Glas! Und denken Sie einmal an die Worte des ehemaligen italienischen Furienkardinals Don Nebbiolo d’Asti, der da sprach: „Du sollst nicht ehe brechen, ehe du getrunken hast!“
Zum Wohlsein!
Der Weinkönig
Koblenz Hauptbahnhof. Der Regionalexpress nach Trier steht abfahrtbereit auf Gleis 9, ganz hinten. Gäbe es ein Gleis 999, der Zug würde wahrscheinlich von dort abfahren. Kein Lift, nicht einmal ein Gepäckband, das defekt sein könnte. Keine drei Tage nach der vollmundigen Ankündigung einer Charme-Offensive der Deutschen Bahn ist das Triebfahrzeug übersät mit Papierschnipseln. Der Zug passiert Karden, wo ich mal in einem Hotel genächtigt habe, in dessen Frühstücksraum dem Gast Trinksprüche zusicherten, ein Leben ohne einen edlen Tropfen und den Kuss eines schönen Mädchens sei nicht wert, gelebt zu werden. Die dazu gehörige Weinlage allerdings strafte sie Lügen: Kardener Juffermauer. Das ist die Untermosel, jene Region, in der sich gerade slow food für die Erhaltung des Roten Weinbergpfirsichs einsetzt. „Meine Damen und Herren, die Deutsche Bahn begrüßt den Gesangsverein Mosel, der eine Fahrt zur Landesgartenschau unternimmt.“ Großes Hallo auf Gleis 3 in Cochem.
Mein Gegenüber scheint weniger in Feierstimmung zu sein, im Gegenteil. Der Mann hat sich gleich in die Ecke gedrückt, die Schultern bis zu den Ohren hochgezogen, und angefangen, leise in sich hinein zu weinen, was heißt leise: Verborgen bleibt es nicht direkt. Auffällig die Krone, die er durch seine Hände kreisen lässt, als wäre sie ein Rosenkranz. Ab und zu durcheilen Schluchzer den durchaus muskulösen Körper, ein erbarmungswürdiger Anblick, da muss man eingreifen, denn der Mann hat den Blues, das arm’ Tier, die Flemm, wie man im Trierischen sagt. Ich spreche ihn behutsam an, frage, ob ich ihm irgendwie behilflich sein könne, und zu meiner Überraschung antwortet er bereitwillig, nachdem er die Spuren seines Kummers notdürftig aus dem Gesicht getilgt hat. Er stellt sich vor und erzählt mir von seinem harten Schicksal, und ich nutze die Gunst der Stunde zu einem spontanen Interview.
Frage: „Sascha Muscheid, Sie waren Deutschlands erster und bislang einziger Weinkönig. Nun sind Sie Ihres Amtes verlustig gegangen. Warum?“
Muscheid: „Einziger stimmt nicht, es gab 1999 einen König in Trittenheim, ein Mann aus Ghana namens Céphas Bansah, aber das war eher ein Jux. Ich bin ein ernstzunehmender König. Oder war.“
Frage (investigativer): „Noch einmal: Warum?“
Muscheid: „Sie fragen warum? Wegen der Politik, wegen der Quote. Ich bin in eine Frauendomäne eingebrochen, mein Wahlsieg war eine Riesenüberraschung, gerade mal vier Wochen ist das her. Manche haben zunächst wieder an einen Ulk geglaubt, als ich meine Kandidatur bekannt gegeben habe. Viele, die mich gewählt haben, wollten nur anderen Kandidatinnen eins auswischen.“
Frage: „Und nun?“
Muscheid: „Es hat zwei Wochen gedauert, bis die Frauen am Ort sich formiert hatten. Gemobbt haben sie mich. Und dann mit einer Verfassungsklage gedroht. Dieser Beruf sei ausschließlich Frauen vorbehalten, und damit basta.“
Frage: „Was hat Sie überhaupt dazu bewogen, Weinkönig werden zu wollen?“
Muscheid: „Warum nicht? Es gibt ja auch männliche Politessen.“
Ich: „Aber bisher haben die Weinköniginnen doch die Sache des Weins würdig vertreten, oder nicht?“
Muscheid: „Mag sein. Die Winzer haben sich aber gesagt, dass Weinköniginnen vor allem Männer ansprechen – und die muss man nicht motivieren, die trinken ohnehin. Mit einem Weinkönig haben wir gehofft, auch weibliche Kreise für den Wein zu begeistern.“
Frage: „Wurden Sie denn auch von Frauen gewählt?“
Muscheid steht auf und wirft sich in Pose. Er ist muskelbepackt und erinnert leider an den Schauspieler Ralph Möller.
Muscheid: „Was glauben Sie? In meiner Freizeit stemme ich Weinfässer. Barrique.“
Frage: „Toll! Was haben Sie jetzt vor?“
Muscheid: „Ich fahre nach Mainz, dort will ich meine Krone abgeben, im Landtag. Sollen die ruhig alle erfahren, wie’s zugeht an der Mosel.“
Frage: „Wie ist es denn um Ihre Würde bestellt?“
Muscheid: „Würde? Die hat man mir genommen!“
Im Grunde hat er Recht: Was ist so außergewöhnlich an einem Weinkönig? Schließlich ist Alfred Biolek Sonderbotschafter des deutschen Rieslings geworden, da ist es bis zum König nicht mehr weit. Um den Adel ist es in Deutschland ohnehin nicht gut bestellt, der einzige Repräsentant von Rang war lange Zeit Ernst-August, und der bevorzugte harte Sachen. Königin Pastete, Kaiser Franz, Steffi Graf, Roman Herzog, damit erschöpft es sich auch rasch.
Frage: „Die Amerikaner haben überhaupt keine Monarchen, weder männliche noch weibliche. Wie sehen Sie das?“
Muscheid: „Ach ja? Und was ist mit King Elvis und Prince, was mit Burger King und Dairy Queen, mit King- und Queen-size-Betten?“
Frage: „Sie scheinen sich ja auszukennen!“
Muscheid: „Ich habe drei Jahre in Kalifornien gelebt.“
Der Mann hat aber auch schwer gelitten. Immerhin scheint ihm bewusst zu sein, dass es anderen noch sehr viel schlechter geht als ihm: „Vielleicht ist es auch gar nicht so schlimm, ich meine, was kann man als Weinkönig anderes machen als repräsentieren? Auf der Grünen Woche in Berlin herumstehen, bis die Aigner vorbeikommt zum Posieren, wenn man Pech hat, grauenhafte Vorstellung!“
Es ginge sogar noch schlimmer: „Veronika Ferres!“
Muscheid erbleicht und sagt: „Oder irgendwelche andere Schnapsnasen des öffentlichen Lebens. Horrornationen, wie ich sie scherzhaft zu nennen pflege.“ Nun, das Scherzhafte ist nicht so sein Ding.
Frage: „Braucht denn die Welt überhaupt Weinkönige oder Königinnen?“
Er schiene mir eher der optimale Botschafter des Blues zu sein. Die Arme hat er jetzt um seinen Oberkörper geschlungen, damit er nicht auseinander bricht, eine klassische Loser-Position aus der Grunge-Ära. Verquollen der Blick, und wären seine Haare nicht tipp-topp in Schuss, jeder halbwegs zum Mitleid begabte Mensch würde spätestens jetzt sein Portemonnaie zücken. Auf meine Frage nach Sinn und Zweck von Alco-Royals nickt er trotzig.
Muscheid: „Das Anforderungsprofil für Wein hat sich drastisch verändert. Die Konkurrenz schläft nicht. Die Braubranche hat das Biershampoo zur Bierdusche weiterentwickelt, Malz and more. Nicht zu vergessen Schwester Trester. Hartes Zeugs, das die Natur häufig zu einem Freiluftvomitorium degradiert. Was mich aber fertig macht, sind diese ständigen Imageschwankungen, die gehen voll