Thomas C. Breuer, 1952 in Eisenach geboren, lebt als freier Schriftsteller in Rottweil und den Abteilen von DB und SBB. Seit 1977 auch als Kabarettist unterwegs auf Kleinkunstbühnen in Deutschland, der Schweiz und Nordamerika. Bald 3.000 Auftritte, 31 Bücher, regelmäßige Rundfunkarbeit für WDR, SWR und Schweizer Radio SRF.
Thomas C. Breuer
Kabarett
Sauvignon
für Beatrice und Celia,
und für meinen Freund Hans,
für Vincent und
meinen Lieblingswinzer Uli Stein
Korkenzieher
Vor einiger Zeit musste ich mir eingestehen: Mensch, Breuer, du hast jetzt die sechzig überschritten – wie überbrückst du die nächsten fünf Jahre, bis man dich überall als Urgestein oder Elder Statesman oder Graue Eminenz der Kabarettszene herumreicht? Da bin ich zwangsläufig auf den Wein gekommen, der ja gerade bei Menschen meines Alters mit beharrlich nachlassender Virilität mehr und mehr als Ersatzflüssigkeit herhalten muss. Also habe ich mir einen Anzug in Spätburgunder mit einem Schuss Dornfelder gekauft, um Ihnen ein Programm zum Thema Wein zu kredenzen – herzlich willkommen also bei „Kabarett Sauvignon“! Hier werden nicht nur Trauben gelesen, sondern auch Texte. Und die eine oder andere Levite.
Anlässlich der Planung und Bewerburg des Projektes sagte meine Agentin zu mir: „Hör mal, so ein Weinprogramm, das führt dich ja in die schönsten Regionen Deutschlands und der Schweiz!“ Ja, entgegnete ich, ich weiß schon, warum ich kein Kölschprogramm machen möchte. Allein: Das Thema Wein kann einschüchtern, sensiblere Naturen sogar verunsichern. Dieses Kompendium soll helfen, Antworten auf brennende Fragen zu finden. Auf zu einer Fahrt ins Blaue, in ein Land zwischen Frühschoppen und Dämmerschoppen, mit Happy Hours rund um die Uhr. Glücklicherweise habe ich keine Ahnung von Wein – was mich mit der notwendigen Distanz zum Thema ausstattet.
Zumindest bin ich erblich vorbelastet, weil in zwei klassischen Wein-Bundesländern groß geworden (worden), in Rheinland-Pfalz und ein wenig in Baden-Württemberg. Rheinland-Pfalz ist natürlich die Heimat von Rainer Brüderle, von dem die Mär geht, dass er in seiner Zeit als Wirtschaftsminister sämtliche Weinköniginnen persönlich abgeschleckt hat. Schlimmer noch: Dieses Bundesland läuft Gefahr, irgendwann sogar von einer ehemaligen Weinkönigin regiert zu werden: Julia, die Klöckner von Votre Dame. Beziehungsweise von der Nahe. Warum denn hin zur Nahe schweifen, wenn die Gute liegt so fern? Wehret den Anfängern!
Ich bin nicht nur in Rheinland-Pfalz, sondern auch in der Gastronomie aufgewachsen, eine Doppelbelastung, die einen frühzeitig ins Multitasking zwingt. In dieser Branche kommt man naturgemäß frühzeitig mit Wein in Berührung. Damals gab es Weinpokale und Karaffen in zwei Farben: grün für Mosel, gelborange für Rheinwein. Andere Produkte: Fehlanzeige. Natürlich haben wir in den Jahren unserer Adoleszenz auf die einheimische Produktion absolut keinen Wert gelegt, denn deren Ruf war nicht der beste. Was wir wollten, war die große, weite Welt: Amselfelder, Edler von Mornag, Lambrusco! Lambrusco stand uns eindeutig näher als das Lamm Gottes! Gerne auch in diesen dickbauchigen, bastummantelten Flaschen, die man so toll für Tropfkerzen verwenden konnte. Diesen dämlichen Bacchus konnten wir nicht ausstehen – ehrlich gesagt verwechselten wir ihn aber mit Gus Backus: „Ich esse gerne Sauerkraut und tanze gerne Polka ...“
Wir soffen tapfer gegen das verdammte Establishment an, mussten aber leider rasch feststellen, dass Winzergenossen nicht wirklich Genossen sind. Probleme gab es schon mit dem Messwein, zumal bei dem die Messlatte gar nicht so hoch lag. Entschuldigung! Messlatte ist ein Begriff, den man im Zusammenhang mit der Katholischen Kirche doch eher zurückhaltend verwenden sollte.
Wobei Wein sonst eine deutliche Sprache spricht. Auf der A 6 beim Aufstieg zum Pfälzer Wald steht in Hollywood-Großbuchstaben mitten im Weinberg: „Sausenheimer Honigsack!“ Das ist vielleicht eine Begrüßung! Über die Grenzen der Republik bekannt ist der Dürkheimer Wurstmarkt – der eigentlich ein Weinmarkt ist. Wurst wiederum reimt sich nicht zufällig auf Durst. Das Kürzel www. bedeutet dem Pfälzer freilich „Weck, Worscht un Woi“.
Jeden Dienstagabend saß meine Mutter in Bad Ems im Wohnzimmer an der Heim-Heißmangel, da durfte ich mit ihr fernsehen, und eines Abends, so gegen 23 Uhr, es muss 1969 oder 1970 gewesen sein, was damals bedeutete: kurz vor Sendeschluss, denn damals gab es noch das tröstliche Testbild, eines Abends also war da so ein lustiger Mann an einer schauerlichen Heimorgel zu erleben, der sinngemäß folgendes Lied sang:
„Ich schäm mich so, ich schäm mich so, ich schäm mich so,
denn ich hab wieder viel zu viel getrinkt.
Ein Sherry und ein Aprikot,
den vino, vino, tintoto, – und dann,
dann bin ich umgesinkt.“
Der Mann hieß natürlich Hanns Dieter Hüsch, lebte in Mainz und hat mich augenblicklich schwer beeindruckt. So kam Mainz zum anderen, und seither passen Wein und Kabarett für mich gut zusammen. Der Jahrgang 1952, darin sind sich die Experten einig, war übrigens besser als der von 1951. Das ist ja schon mal was. Auf der Website www.jahrhundertweine.de steht zu lesen: „Bei schönem Wetter konnten in Deutschland tolle Weine produziert werden, welche in der ersten Hälfte der 1950er Jahre ausgetrunken wurden. Die Auslesen können heute immer noch toll sein. Eine Suche nach intakten Flaschen lohnt.“ Sie ahnen es: 1952 ist mein Jahrgang, Ihre Suche nach einer intakten Flasche hat sich also endlich gelohnt!
Gut, was Wein anbelangt, hatte Rheinland-Pfalz lange mit einem katastrophalen Ruf zu kämpfen – und wozu? Zu Recht. Hätte es in den 60er-, 70er Jahren eines spirituellen Führers in Sachen Weinkultur bedurft, der Panschen-Lama wäre die Idealbesetzung gewesen. Wobei auch Jesus in Frage gekommen wäre, der hat Wasser schließlich in Wein verwandelt. Das konnten die einheimischen Winzer auch. Was allerdings den Zucker anbelangt, so konnten sie wiederum vom Italiener lernen. Als kunstsinnige Menschen stellten die dort unten Kunstwein her: Einige Kellereien kauften ganze Schiffsladungen verdorbener Bananen, Feigen und Datteln auf, aus denen sie Zuckerlauge für ihren Vino fabrizierten. Immerhin, Bananen enthalten Vitamine, und Datteln sind als Aphrodisiakum bekannt. Nicht zu vergessen der Glykolwein Marke Austria, also Österreich, nicht aus Trier.
Aber apropos: In den vergangenen vier Jahrzehnten machte in regelmäßigen Abständen folgende prickelnde Meldung die Runde: Trier (dpa/lrs) „Rund 2.500 Liter Sekt sind bei einem Betriebsunfall in einer Trierer Kellerei in Wasserleitungen der Stadtwerke geflossen. Ursache sei ein technischer Defekt am Rückstoßventil der Abfüllanlage gewesen. ‘Wir haben noch versucht, durch Aufdrehen unserer ganzen Wasserleitungen den Schaden zu begrenzen’, sagte der Geschäftsführer, Adolf Lohrscheider. Doch zu spät: Der prickelnde Sekt hatte bereits die Nachbarschaft erreicht. Die Stadtwerke Trier ließen daraufhin das örtliche Rohrnetz kräftig durchspülen.“
Technischer Defekt? Mumpitz! Die Bewohner von Trier müssen in regelmäßigen Abständen mit Sekt geflutet werden, sonst ticken die nicht. Dort gibt es sogar ein Gymnasium mit einem eigenen Weinladen. Wo bleibt da die Vorbildfunktion? Für Klerus und Politik die optimale Methode, ihre Bürger bei Laune zu halten – und damit unter Kontrolle.
Mein Großvater – natürlich ein Hotelier – hatte betrunkenen Kopfes die Angewohnheit, meine Großmutter aus tiefstem Schlummer zu reißen, um deutsche Weinlagen abzufragen.
„Sausenheimer ... ?“
„Honigsack!“
„Oppenheimer ... ?“
„Krötenbrunnen.“
Der Höhepunkt war natürlich: „Kröver ... ?“
Woraufhin meine Großmutter jedes Mal dezent enerviert zu antworten pflegte: „Du weißt, wie das heißt, ich weiß, wie das heißt, erwarte von mir nicht, dass ich den Namen ausspreche!“ Sprach’s und drehte sich entrüstet auf die andere Seite. Augenfällig, wie gerade Rheinland-Pfalz diese Anekdote mit seinen Weinlagen speist: Eine Trefferquote von 100 Prozent – kein Zufall!