Steve Howe - Die Autobiografie. Steve Howe. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Steve Howe
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783854457039
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Gitarre der Welt hochhält. Dieses Foto, auf dem eines von Hollys Bandmitgliedern eine Gibson ES-225T präsentiert, ließ damals so manchem Gitarristen das Wasser im Munde zusammenlaufen. Unsere Begeisterung fußte auf dem Verlangen, diese herrlichen US-Gitarren, die dereinst Klassiker sein würden, nicht nur zu sehen, sondern sogar spielen zu dürfen. Ich sammelte etwa Gitarrenkataloge, um einfach nur die verschiedenen Formen und Farben zu begutachten, während ich mir gleichzeitig ausmalte, welch exquisite Klänge sie zu erzeugen imstande wären. Vor allem, wenn sie über ein Copicat-Echogerät von Watkins und einen Vox-Verstärker gespielt würden!

      Während die Sechzigerjahre voranschritten, beobachtete ich, wie Gitarristen für gewisse Songs die Gitarren wechselten, oftmals zwischen Fender Telecaster und Gibson ES-335. Ihre jeweiligen Klangfarben weichen stark voneinander ab, womit sie die Musik in jeweils eigene Richtungen lenken. Der schlanke, eisige Ton der Telecaster unterschied sich eklatant vom bauchigen, tieferen Klang der 335. Auch ihre Bauarten standen im klaren Kontrast zueinander.

      Oft sage ich, dass ich erst, wenn ich mich auf die Bühne begeben würde, wirklich begriffe, dass ich ein Gitarrist sei. Wenn ich dort stehe, um zu spielen, kann mich nichts mehr bremsen: Es ist dann der Zeitpunkt gekommen, Musik zu machen. Sämtlicher Ballast bleibt hinter der Bühne zurück. Auf ihrer Platte von 1957, Sing A Song Of Basie, singt das Gesangstrio Lambert, Hendricks & Ross eine Vielzahl von Lyrics aus der Feder von Jon Hendricks zu einem Dutzend Songs von Count Basie. Einer davon war Basies „Blues Backstage“. Daran muss ich oft denken. Es handelt von einem Typen, dessen Freundin ihn gerade abserviert hat. Direkt vor dem Konzert! Aber die Show muss weitergehen, nicht wahr? Doch innerlich brodelt es, er muss seine Gefühle verbergen. Auch wenn es manchmal schwerfällt, wenn es einem gerade nicht so gut geht, muss man doch durchhalten und sein Ding durchziehen. Ich habe das nur allzu oft selbst miterlebt. Es war meine Schwester Stella, die mir diese Platte geschenkt hat. Sie steckt voller Dynamik und Schwung. Das lag auch daran, dass man hier klugerweise auf Basies eigene Rhythmuscombo, bestehend aus Nat Piece am Klavier, Freddie Greene an der Gitarre und Eddie Jones am Schlagzeug, zurückgriff. Ein weiterer phänomenaler Song auf dieser Platte heißt „Pony Ride“, der in einen Gesangs-Breakdown mündet, in dem sie scatten: „Get a record that’ll play a week … Good bebop good be … What a wonderful pony ride.“ Sie schufen mehrspurig aufgenommene Harmonien, die jene, welche Les Paul mit Mary Ford produzierte, noch übertrafen.

      Ich muss betonen, dass die Stimme das wunderbarste Instrument ist, das wir haben. Jeder hat dazu seine Meinung, aber ihre Erhabenheit ist schlichtweg nicht zu leugnen. Die ersten Geräusche – Gespräche und Gesang – vernehmen wir noch im Bauch der Mutter. Als Neugeborenes, noch bevor wir wirklich sehen können, sind es Geräusche, die uns mit der Welt verbinden. Diese Laute bilden einen Übergang zur Sprache, und das gesprochene Wort orientiert sich an unterschiedlichen Tonlagen – je weiter östlich man auf der Welt geht, desto mehr trifft dies zu. Wenn man sich etwa eine Phrase immer wieder anhört, wird das immer offensichtlicher. Aufsteigende Aussagen treffen auf absteigende Aussagen. Unterbewusst erkennen wir so die Stimmung, in der sich der Sprecher befindet. Akzente bieten innerhalb der Sprache eine herrliche Variation. In Großbritannien können wir die Heimatstadt anhand des Akzents eines Sprechers erkennen. Dieses Phänomen lässt sich jedoch auf der ganzen Welt beobachten. Wir sind in der Lage, nationale und lokale Akzente zu erkennen.

      Hoffentlich seid ihr größere Sprachtalente als ich, der nur seine Muttersprache beherrscht. Aber das Singen ist ein Genuss, den jeder Mensch auskosten kann und sollte. Ich lernte in den Siebzigerjahren bei Gigs und Studioterminen so einiges über Gesang. Zuvor hatte ich kaum einmal öffentlich gesungen. Tatsächlich nahm ich aber erst ab 1993 Gesangsunterricht – und zwar bei Tona DeBrett, die viele großartige Sangeskünstler in ihrem Zuhause im Norden Londons unterrichtete. Auf diese Weise bereitete ich mich seinerzeit auf mein viertes Soloalbum vor, das den Titel The Grand Scheme Of Things tragen sollte. Bei Yes sang ich in erster Linie die tiefe Stimme. Was anderes kann ich ja gar nicht, da mein Organ eben eher sonor klingt! Das war aber gut, wenn ich Jon und Chris unterstützen sollte, da sie beide hoch sangen. Dies verlieh uns einen eigenen Sound.

      Ende der Sechzigerjahre war es ein weiterer Lernprozess, Ideen für die Gitarre niederzuschreiben und mithilfe verschiedener Tonbandsysteme aufzunehmen. Mein Bruder John besaß ein frühes Aufnahmegerät für zu Hause, einen Mono-Rekorder von Grundig, den er regelmäßig aufbaute, um damit die Radio-Popshow der BBC, den Saturday Club, aufzunehmen. John schnitt mit, als die Shadows „Apache“ aufnahmen, noch bevor ich mir die Single kaufen konnte. Wie lebendig das doch im Vergleich zur offiziellen Veröffentlichung klang!

      Zu Hause versuchte ich mich nun an einem zweispurigen Apparat von Telefunken, der eine einigermaßen komplexe Funktionsweise aufwies. So musste das Tonband zwischen den Spulen einen ziemlich umständlichen Weg zurücklegen. Außerdem war das Gerät auf Deutsch beschriftet, was die Sache auch nicht gerade erleichterte. Etwas später kamen die ersten Kassettenabspielgeräte auf den Markt, und schon bald darauf folgten Apparate, die es erlaubten, dieses Medium für eigene Aufnahmen zu nutzen. Letztendlich erschien auch eine tragbare, mit Batterien betriebene Version, die darüber hinaus noch über ein eingebautes Mikrofon verfügte. Ich besaß eine Version, die es mir erlaubte, die Geschwindigkeit des Tonbands zu manipulieren. Das war insofern hilfreich, da Kassettenrekorder praktisch nie die richtige Geschwindigkeit halten konnten. So aber vermochte ich selbst nachzujustieren. Noch lange bevor es digitale Stimmgeräte gab, verwendeten wir Stimmgabeln, um unsere Instrumente zu stimmen. Oder Klaviere und Orgeln – falls diese wiederum gestimmt waren!

      Dank dieser Hilfsmittel konnte ich eine Idee festhalten, sie überdenken und eventuell später noch einmal neu arrangieren, wenn mir das gefiel. Da ich Musik nicht auf konventionelle Art und Weise notieren oder lesen konnte, stellte dies die Methode dar, mit der ich mir diesbezüglich zu helfen wusste. Noch heute besitze ich eine enorme Sammlung solcher Kassetten, die ich zu Hause oder auf Tour bespielt habe. Wenn man zusammen mit anderen Leuten komponierte, füllte das etliche Kassettenseiten. In der Regel sind sie mit den Namen der jeweiligen Städte beschriftet, in denen sie entstanden. Oft hört man darauf, wie ich entweder mit Jon Anderson oder allein in irgendeinem Hotelzimmer auf der Gitarre herumklimpere. Später gab es dann noch winzige Mini-Kassetten, mithilfe derer man einfach viel zu viel Musik aufnehmen konnte. Es wurde schlichtweg zu kompliziert, den Überblick zu bewahren. Man konnte die Dinge sogar rückwärts abspielen!

      Über viele Jahre hinweg sammelte ich so meine Ideen, wodurch ein Archiv entstand, aus dem ich mich bei Bedarf bedienen kann. Damals war alles noch so primitiv, dass man gar keinen wirklichen Referenzrahmen hatte. Die Dinge konnten nur besser werden. Man könnte ja so viel über die Geschichte und Entwicklung der Aufnahmetechnologie berichten. Sowohl das Guinness-Buch der Rekorde als auch Perfecting Sound Forever von Greg Milner informieren einen gut über die Frühzeit dieser Prozesse. Damals war analoge Technik noch das Maß aller Dinge. Glühende Röhren und Lötverbindungen. Kabel, so weit das Auge reichte. Transformer und zahlreiche andere Boxen, die jeweils eine einzige Aufgabe erfüllten. Dies war die Ära, in der Verzerrung und Summen von vornherein immer da waren – und doch entstanden so viele unfassbar gut Aufnahmen, mithilfe nur weniger Spuren und ein paar Tricksereien seitens des Studiotechnikers.

      Der physische Akt, Tonbänder zwischen einzelnen Takes oder der Arbeit eines ganzen Tages zurechtzuschneiden, war eine altehrwürdige Tradition. Der Engineer brauchte dafür Unmengen von Rasierklingen, Tesafilm, Schneidblöcke und Markierstiften. Ein kleiner Fehler konnte verheerende Folgen nach sich ziehen. Heute werden digitale Editiertechniken bei praktisch allem, was wir zu hören bekommen, zum Einsatz gebracht. Heute wollen wir, dass alles genau im Takt und exakt gestimmt ist. Wir sind in der Lage, nach Lust und Laune herumzutüfteln – noch lange, nachdem alles im Kasten ist. Das nennt sich Post-Production. Zum Glück können wir praktisch alles mit unserer Musik bewerkstelligen, was uns gefällt. Die Pro-Tools-Aufnahmetechnologie hat sich zum Standard entwickelt, bei der mithilfe von sogenannten Plug-ins Tonhöhe und Takt extrem präzise angepasst, einzelne Wörter an die passende Stelle verschoben und auch sonst jede vorstellbare Mix-Option eingesetzt werden kann. Wenn man sich etwas nur vorstellen kann, lässt es sich auch bewerkstelligen. Obwohl man sich dabei mitunter auch im Kreis bewegt …

      Zu diesem Zeitpunkt hatte ich gut sechs Jahre damit verbracht, Konzerte in Großbritannien und Europa zu spielen. Außerdem hatte ich zwei Alben aufgenommen,