»Ned ist ein lieber Junge, und ich hoffe, er wird sich seine Illusionen lang genug bewahren, um ein paar hübsche Gedichte darüber zu schreiben, aber glauben Sie denn, dass nur in der Gesellschaft die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass er sie bald verliert?«
Selden antwortete ihr mit Achselzucken. »Warum nennen wir all unsere hochherzigen Ideen Illusionen und die niedrigen Wahrheiten. Reicht es nicht schon aus, die Gesellschaft zu verdammen, wenn man merkt, dass man eine solche Ausdrucksweise übernimmt? Ich hätte diese Art zu reden in Ned Silvertons Alter beinahe angenommen, und ich weiß, wie Bezeichnungen Meinungen eine andere Färbung geben können.«
Sie hatte ihn noch niemals zuvor mit solcher Bestimmtheit sprechen hören. Für gewöhnlich gab er sich als Eklektiker, der die Dinge mit leichter Hand hin- und herdreht und vergleicht, und der Blick in die Werkstatt, in der seine Überzeugungen geformt wurden, rührte sie.
»Ach, Sie sind genauso schlimm wie andere Sektierer«, rief sie aus. »Warum nennen Sie Ihre Republik eine Republik? Sie ist eine geschlossene Vereinigung, und Sie erheben willkürliche Einwände, nur um andere draußen zu halten.«
»Es ist nicht meine Republik; wenn sie es wäre, würde ich einen Staatsstreich inszenieren und Sie auf den Thron setzen.«
»Während Sie glauben, dass ich in Wirklichkeit nicht auch nur einen Fuß über die Schwelle brächte. Sie verachten meine Ambitionen, Sie meinen, sie seien meiner nicht würdig!«
Selden lächelte, aber ohne Ironie. »Na ja, ist das nicht ein Kompliment? Ich halte solche Ambitionen durchaus der meisten Leute für würdig, die sich von ihnen ihr Leben bestimmen lassen.«
Sie wandte sich um und betrachtete ihn ernst. »Aber kann es nicht sein, dass ich, wenn ich die Möglichkeiten dieser Leute hätte, diese besser nutzen würde? Geld steht für alles Erdenkbare, was man damit erreichen kann, es beschränkt sich nicht auf Diamanten und Automobile.«
»Nein, nicht im Geringsten; Sie könnten Ihre Freude an diesen Dingen dadurch wiedergutmachen, dass Sie ein Krankenhaus gründen.«
»Aber wenn Sie glauben, dass es diese Dinge sind, an denen ich wirklich Freude habe, müssen Sie meine Ambitionen ja für gut genug für mich halten.«
Selden nahm diesen flehentlichen Einwand mit einem Lachen entgegen. »Ach, meine liebe Miss Bart, ich bin nicht die göttliche Vorsehung, die Ihnen garantieren kann, dass Sie an den Dingen Freude haben werden, die Sie zu bekommen versuchen!«
»Dann ist alles, was Sie mir sagen können, dass ich, nachdem ich mich mit aller Kraft bemüht habe, sie zu bekommen, sie wahrscheinlich nicht besonders mögen werde.« Sie atmete tief ein. »Was für eine elende Zukunft Sie mir vorhersagen!«
»Nun – haben Sie das nicht schon selbst alles so gesehen?«
Langsam röteten sich ihre Wangen, es war kein Erröten, das aus der Aufregung erwuchs, es kam vielmehr aus den tiefsten Tiefen ihres Fühlens; es war, als hätte ihr geistiges Bemühen es hervorgebracht.
»Schon oft, so oft«, sagte sie. »Aber die Zukunft wirkt so viel düsterer, wenn Sie sie mir zeigen!«
Er antwortete nicht auf ihren Ausruf, und eine Zeit lang saßen sie schweigend da, und etwas schwang zwischen ihnen in der weiten Ruhe der Luft. Aber plötzlich wandte sie sich ihm schon geradezu heftig zu.
»Warum tun Sie mir das an?«, rief sie aus. »Warum sorgen Sie dafür, dass alles, wofür ich mich entschieden habe, mir hassenswert erscheint, wenn Sie mir nichts an seiner statt zu geben haben?«
Diese Worte rissen Selden aus der Grübelei, in die er versunken war. Er wusste selbst nicht, warum er sie dazu gebracht hatte, ein solches Gespräch mit ihm zu führen. Von allen Alternativen, wie man einen Nachmittag allein mit Miss Bart verbringen konnte, hätte er diese für die letzte gehalten, die er sich ausgesucht hätte. Aber es war einer der Augenblicke, in dem keiner von beiden mit einer bestimmten Absicht zu sprechen schien, in dem vielmehr eine Stimme tief drinnen in jedem von ihnen den anderen über unergründliche Tiefen des Gefühls hinweg zu rufen schien.
»Nein, ich habe Ihnen nichts dafür zu geben«, sagte er, setzte sich aufrecht hin und wandte sich um, um sie anzusehen. »Wenn ich es hätte, würde es Ihnen gehören, das wissen Sie.«
Sie nahm diese abrupte Erklärung auf eine Weise auf, die noch sonderbarer war als seine Art, sich zu äußern: Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen, und er sah, dass sie einen Augenblick lang weinte.
Es dauerte jedoch nur einen Augenblick, denn als er sich näher zu ihr beugte und ihre Hände mit einer eher ernsten als leidenschaftlichen Geste wegzog, wandte sie ihm ihr Gesicht zu; es war nicht entstellt nach ihrem Gefühlsausbruch, und er sagte sich, ein wenig grausam zwar, dass sogar ihr Weinen eine Kunst sei.
Diese Überlegung gab seiner Stimme die nötige Festigkeit, als er zwischen Mitleid und Ironie fragte: »Ist es nicht ganz natürlich, dass ich versuche, all die Dinge, die ich Ihnen nicht bieten kann, schlecht zu machen?«
Ihr Gesicht hellte sich daraufhin auf, aber sie zog ihre Hand weg, nicht mit einer Geste der Koketterie, sondern so, als wolle sie auf etwas verzichten, auf das sie keinen Anspruch habe.
»Aber ich bin es doch, die Sie schlechtmachen, nicht wahr«, erwiderte sie freundlich, »wenn Sie so sicher sind, dass das das Einzige ist, was mir etwas bedeutet?«
Selden merkte, wie etwas in ihm erschrak, aber das war nur das letzte Zucken seines Egoismus. Fast sofort antwortete er ganz einfach: »Aber es bedeutet Ihnen doch etwas, nicht? Und ich kann das nicht ändern, wie sehr ich es mir auch wünsche.«
Er hatte so vollständig aufgehört, daran zu denken, wohin ihn diese Wendung des Gesprächs führen könnte, dass er ganz deutlich Enttäuschung empfand, als sie ihm ihr Gesicht zuwandte, auf dem der Spott nur so funkelte.
»Ah«, rief sie aus, »trotz all Ihrer feinen Rederei sind Sie doch ein genauso großer Feigling wie ich, denn Sie hätten nichts von alledem gesagt, wenn Sie nicht genau gewusst hätten, wie meine Antwort aussehen würde.«
Der Schock, den ihre Erwiderung auslöste, hatte zur Folge, dass Seldens schwankende Absichten feste Form annahmen.
»Ich bin mir Ihrer Antwort nicht so sicher«, sagte er ruhig. »Und ich will Ihnen gegenüber so gerecht sein zu glauben, dass Sie es auch nicht sind.«
Jetzt war die Reihe an ihr, überrascht auszusehen; nach einer Weile fragte sie: »Wollen Sie mich heiraten?«
Er lachte laut auf. »Nein, ich will nicht – aber ich würde es vielleicht, wenn Sie es wollten!«
»Das habe ich Ihnen ja gesagt – Sie sind sich meiner so sicher, dass Sie sich das Vergnügen gönnen können, Experimente zu machen.« Sie entzog ihm ihre Hand, die er wieder genommen hatte, und schaute traurig zu ihm herunter.
»Ich mache keine Experimente«, erwiderte er. »Oder wenn ich es doch tue, dann mit mir selbst und nicht mit Ihnen. Ich weiß nicht, welche Folgen sie für mich haben werden – aber wenn eine davon es ist, Sie zu heiraten, will ich das Risiko eingehen.«
Ihr gelang ein schwaches Lächeln. »Es wäre mit Sicherheit ein großes Risiko – ich habe Ihnen nie verborgen, wie groß das Risiko wäre.«
»Ah, Sie sind der Feigling!«, rief er aus.
Sie war aufgestanden, und er stand ihr gegenüber, seine Augen sahen in die ihren. Die sanfte Einsamkeit des schwindenden Tages hüllte sie ein; es schien, als seien sie in dünnere Luft emporgehoben. All die feinen Einflüsse der Stunde zitterten in ihren Adern und zogen sie zueinander hin, wie die losen Blätter zur Erde hingezogen wurden.
»Sie sind der Feigling«, wiederholte er und nahm ihre Hände in die seinen.
Sie lehnte sich für einen Moment an ihn, so als ob sie nun endlich ihren müden Flügeln Ruhe gönnen könnte; er hatte das Gefühl, als schlüge ihr Herz eher von der Anstrengung eines langen Fluges als von der Aufregung, welche die neuen