Rotes Kryptonit und das Silberne Zeitalter sind untrennbar miteinander verbunden. Rotes Kryptonit war das LSD für Superhelden, und unter seinem Einfluss konnte Superman sein gesamtes Wesen entfalten und auf der scharfen Kante zur fröhlichen Selbstaufgabe und zu einem selbstauslöschenden Albtraum tänzeln – ein amerikanischer Pionier. Außerdem war rotes Kryptonit ebenso eine griffige Metapher für adoleszente Hormonschübe, körperliche Veränderungen und seltsame Stimmungsschwankungen – Dinge, die den jugendlichen Lesern nur allzu vertraut waren. Andere Ausprägungen von Kryptonit sollten bloß die Handlung vorantreiben und kein sonstiges Eigenleben entwickeln. Goldenes Kryptonit ließ Superman dauerhaft seine Kräfte einbüßen, blaues Kryptonit betraf nur Bizarros, und weißes Kryptonit tötete Pflanzen, was es ungefähr so spannend machte wie etwa Streichhölzer, DDT oder ein stabiler Spaten.
Aber Supermans ultimative Schwäche war seine geheime Identität. Warum entschloss sich der schüchterne Clark Kent nicht dazu, sein Hemd aufzuknöpfen, um seiner Lois Lane den omnipotenten Mann hinter der Fassade zu offenbaren? Stattdessen versteckte er die Wahrheit vor ihr, um sich dafür Täuschungen einfallen zu lassen, die so durchdacht waren, das es schon grausam wirkte: entsetzliche Tricks, die dieser Junge von einem Mann dieser Kindfrau vorspielte, nur um ihr „eine Lehre zu erteilen“. Die Geschichte „Die zwei Gesichter Supermans“ etwa zeigte den Helden, wie er Lois Lane versprach, sie zu heiraten, wenn sie ihn zu einem bestimmten Zeitpunkt vor der Kirche träfe. Als sie seine Bedingung erfüllte, versiegelte er mit seinem Hitzeblick ihre Autotüren, damit sie nicht aussteigen konnte. Da sie nun nicht pünktlich sein konnte, verfiel das Angebot. Ein erleichtert glucksender Superman, der die Jägerin einmal mehr überlistet hatte, entflog gen Himmel.
Wie Rumpelstilzchen und andere Märchenfiguren, die wussten, dass Namen Macht verheißen konnten, hielt Superman die Distanz zu Clark Kent aufrecht. Ihre Wege kreuzten sich höchst selten. Clark versteckte sein wahres Ich hinter einem Anzug und einer Brille. Wenn Lois, ein Mädchen, herausfände, wer er war, wäre das sein Ende. Sie würde ihn nur dazu zwingen, sein knalliges Kostüm und das Leben voller Abenteuer für etwas weniger Verfängliches aufzugeben und endlich häuslich zu werden. Sie würde von ihm erwarten, pünktlich zum Abendessen zu kommen, wenn er eigentlich Ozeandampfer zu retten hätte. Jedenfalls, wenn er eines Tages Lois heiraten würde, müsste er für immer Clark sein. Es wäre egal, wie stark oder schnell er wäre, er würde Clark sein müssen – und rund um den Globus jagen, um Lebensmittel einzukaufen.
Robin, der Wunderknabe, tauchte erstmals 1940 in den Detective Comics auf. Als „DER LACHENDE JUNGE DRAUFGÄNGER …“ und „DER INTERESSANTESTE NEUE CHARAKTER VON 1940“ eingeführt, sprang er durch die bildlichen Dompteur-Ringe, die ihm ein grinsender Batman vor die Nase hielt. Es war eine Explosion des Überschwangs, die die Ankunft dieses beherzten Anpackertypen signalisierte.
Dick Grayson wurde den Lesern als typischer Teufelskerl, als lebhafter junger Kämpfer, vorgestellt. Er war ein Waisenjunge, da seine Familie, bestehend aus Zirkusartisten, ermordet worden war. Robin war ein Kind vom Rummel, so weit von Batmans Klasse und sozialem Milieu entfernt, wie man sich nur vorstellen konnte, aber er hatte ein treues Herz und war tapferer als jeder Junge, den Batman vorher getroffen hatte. Also machte es Sinn, sich zusammenzutun, um das Verbrechen zu bekämpfen. Robins fröhliche Ausstrahlung veranlasste den verschlossenen Millionär Bruce Wayne dazu, sich ein wenig zu öffnen. Der Junge brachte eine gute Portion Lebensfreude in die gemeine Welt des düsteren Rächers. Die Hinzunahme von Robin verwandelte die Story von Batman von einer finsteren Erzählung über Verbrechen und Sühne in ein packendes Abenteuer zweier Haudegen, die so reich waren, dass sie sich alles leisten konnten. Nach 1940 war der früher so mürrische Batman beinahe stets mit einem Lächeln auf den Lippen unterwegs. Die Bathöhle füllte sich mit Trophäen, ausgefallenen Erinnerungsstücken, die seine und Robins Abenteuer bezeugten: ein Penny, so groß wie ein Riesenrad, ein Roboter-Dinosaurier, ein tödliches Arsenal an Schirmen des Pinguins sowie eine bemerkenswerte Anzahl an Bat-Fortbewegungsmitteln. Die Höhle wurde teils Museum, teils gigantische Spielzeugkiste, teils Themenpark. Durch die Augen Robins gesehen, verwandelte sich Batmans brutale, gesetzlose Welt der Schatten, des Bluts und der giftigen Chemikalien in ein Disneyland der Verbrechensbekämpfung.
Sogar die Einstellung der offiziellen Gesetzesvertreter gegenüber den maskierten Ordnungshütern änderte sich. 1939 jagte die Polizei von Gotham City Batman noch über die Dächer, doch nun waren Batman und Robin angesehene Mitbürger, die Seite an Seite mit der städtischen Polizei, die Metropole, die sie liebten, beschützten.
Der emotional unterentwickelte Batman hatte in dem jungen Waisenknaben und Akrobaten den perfekten Freund gefunden, mit dem er sein sonderbares Leben teilen konnte. Batman war von nun an gezwungen, erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen. Der wilde, düstere Ritter der frühen Batman-Comics wurde von einem anderen, gewandelten Helden abgelöst: Er war nun ein verwegener großer Bruder, der beste Freund, den sich ein Kind nur wünschen konnte. Der gefährliche Verbrecherjäger wurde zum freundlichen Detektiv, einem Mann, dem man Vertrauen schenken, ja sogar die Kinder anvertrauen konnte.
Schließlich stießen die Unterstellungen des Doktor Werthams in einer Atmosphäre voller Paranoia auf offene Ohren. Nur ein paar Superhelden überlebten halbwegs unbeschadet in dieser dunklen Ära, die über DC Comics hereingebrochen war, in dieser finsteren Epoche der Kongressanhörungen und öffentlichen Denunziationen. Auch Robin war dagegen nicht immun. All die Abartigkeit, die geronnene Tinte und die geflüsterten Anspielungen sprudelten an die Oberfläche, als sich der sinistre Doktor W. anschickte, den Wunderknaben zu entmannen.
Robin begann, Zweifel bezüglich seiner ihm zugedachten Rolle in Batmans Leben zu zeigen. In Storys wie „Batmans neuer Partner“ schmollte der Wunderknabe, da er den Verdacht hegte, langsam zugunsten Wingmans – eines Erwachsenen, der aussah, als ob Hippies eine Taube angemalt hätten – aus dem Rampenlicht weichen zu müssen. Als seine Angst vor dauerhaftem Aufenthalt auf dem Abstellgleis immer regelmäßiger auftrat, reagierte Robin immer öfter nervös und weinerlich.
Da ihnen weder Musik noch Soundeffekte zur Untermalung emotionaler Momente zur Verfügung standen, verließen sich Comics auf fließende Tränen und Melodrama. Die Figuren mussten schon flennen, um ihren jungen Lesern ihre Aufgebrachtheit glaubhaft zu machen.
Von diesen maskenhaften, tatsächlich sogar oft maskierten Gesichtern zu erwarten, dass sie etwa Subtilität vermitteln könnten, war, als erwarte man hohe Schauspielkunst von einem Bierglas. Emotionen wurden daher in voller Lautstärke betont. Da düstere Verbrechen und altmodische Keilereien unerwünscht waren, man aber irgendwie überleben musste, opferten die Superhelden ihre Würde dem Zeitgeist und begannen über ihre Bedürfnisse, ihre Ängste und (Schluck!) ihre Hoffnungen zu sprechen.
Und so verwandelte Robin sich im Laufe der Fünfziger vom Inbegriff eines jugendlichen Vigilanten in ein heulendes, entnervtes Wrack, das in der Angst lebte, seinen geliebten Batman an frischere, fähigere Boy-Partner zu verlieren – oder noch schlimmer: an Batwoman. Mit einer von Sheldon Moldoff in ständiger Schmollschnute fixierten Unterlippe wurde seine Welt zu einer schizoiden Hölle, in der Batman jederzeit hätte planen können, ihn zu betrügen oder zu verlassen, sobald er unachtsam gewesen wäre. Wenn er Batman beim Teetrinken antraf, so vermutete er sofort, dass wohl die Teekanne bald seinen Part im Dynamischen Duo einnehmen würde, worauf er dann sofort in Tränen ausbrach. Ein Cover zeigte z. B. den Jungen, wie er in einer Kirche eintrifft, wo Batman und Batwoman einander, in vollem Kostüm und – was die Szene noch surrealer erscheinen ließ – mit einem Hauch von Brautschleier bzw. Smoking dekoriert, vor dem Altar das Ja-Wort geben. Immer wieder störte er die beiden, die ihm dann herablassende Blicke zuwarfen, die ihm suggerierten,