Der Iceman. Anthony Bruno. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anthony Bruno
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Зарубежная психология
Год издания: 0
isbn: 9783854454328
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17. Dezember 1986 – 8.45 Uhr

       Einunddreißig

      9.45 Uhr

       Zweiunddreißig

      10.45 Uhr

       Dreiunddreißig

       Vierunddreißig

       Nachwort

       Danksagungen

       Anmerkung des Autors

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      Widmung

      Zum Andenken an alle bekannten und unbekannten

      Opfer von Richard Kuklinski

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      Der Junge drückte sich dicht an die Backsteinmauer und lauschte. Die Nacht war voller Geräusche. Gedämpft drang das Rattern der Dieselmotoren aus dem Rangierbahnhof von Hoboken herüber, auf dem Hudson ertönten die Sirenen der Schlepper, die Flachkähne mit Müll flussabwärts schoben in Richtung zur offenen See. Im Rücken spürte er das Rumpeln des Verbrennungsofens auf der anderen Seite der Mauer, die leicht vibrierte. Ständig wurde in dieser Gegend Müll ver­brannt. Er schaute hinauf zu den Sternen, die trübe durch die aufsteigenden Rauchschwaden schimmerten. Für den vier­zehnjährigen Richard Kuklinski war das ganze Leben ein einziger Müllhaufen, und er hatte es gründlich satt. Er konn­te einfach nicht mehr. Er lehnte an einer Ziegelwand, die angenehm warm war. Sein Atem bildete Dampfwolken in der eisigen Luft. Mit seiner verschwitzten Hand umklammerte er eine hölzerne Kleiderstange, während er wachsam in der Dunkelheit Aus­schau hielt und auf Schritte lauschte, und auf eine Stimme. Johnnys Stimme.

      Er musterte die erleuchteten Fenster der Siedlung. Sein Zuhause war irgendwo da oben, aber er wusste nicht genau, welches Fenster es war. Eigentlich spielte es auch keine Rolle. Die Wohnungen hier an der

      16. Straße waren alle gleich, mies und verkommen. Die schwere hölzerne Stange stammte aus dem einzigen Schrank, den es bei ihnen gab, dem Schrank im Flur. Total überflüssig, dachte der Junge. Er hatte kaum irgendwelche Sachen wegräumen müssen, um sie mitzunehmen. So ungefähr die einzigen Kleider, die er und seine beiden jüngeren Geschwister besaßen, trugen sie auf dem Leib. Wann immer etwas zerschlissen war und seine Mutter es sich leisten konnte, gingen sie einfach in die Stadt und kauften neue Sachen, die sie gleich anzogen. Manchmal merkten sie erst zu Hause, dass das Preisschild noch dran war. Er spürte sein ausgefranstes, durchgescheuertes Hemd und schämte sich dafür, wie er herumlaufen musste. ›Lumpenrichie‹, ›Penner‹, ›Polackenskelett‹ usw. – so hänselte man ihn dauernd. Doch so schlimm wie Johnny war keiner.

      Seine Mutter kümmerte es nicht, wenn er sich beschwerte. Sie kaufte die Sachen für ihn absichtlich immer ein paar Nummern größer, damit er noch eine Zeitlang hineinwach­sen könne, wie sie sagte. Aber das passierte nie, egal wie lange er sie trug, und er war so mager, dass sie um ihn herumflatterten wie … ja, wie die Lumpen eines Penners.

      Bin auch beinah ein Penner, dachte er. Die anderen Kinder trieben sich in Banden herum, aber er kam mit ihnen nicht zurecht. Lieber durchstreifte er ganz für sich allein stunden­lang die Straßen und beobachtete, was es so zu sehen gab – wie die Matrosen sich drüben in Hoboken betranken und mit den Huren davontorkelten, wie die müden Arbeiter sich lustlos in die Maxwell House Fabrik schleppten und am Ende des Tages doch nur ein paar lächerliche Kröten verdient hatten; wie oben am Journal Square die Kunden erbittert mit den Ladenbesitzern stritten, um bei einem Pfund Kartoffeln ein paar schäbige Pennies zu sparen.

      Es war alles Müll. Überall gab es Leute, die nur wegen ein paar jämmerlicher Piepen durchdrehten: Dabei war alles bloß Scheiße. Merkten sie das nicht?

      Auf einem seiner Streifzüge war er einmal die Henderson Street entlanggeschlendert und hatte draußen vor der Manischewitz-Fabrik einen Laster entdeckt. Auf der offenen Lade­fläche stapelten sich Holzkisten voller Flaschen, lauter Wein­flaschen. Irgendwas stand auf den Kisten drauf, aber in dieser komischen jüdischen Schrift, genau wie im Fenster der Metzgerei drüben an der Newark Avenue. Nur ein Wort war in Englisch: ›Kosher‹. Richie wusste nicht, was das bedeutete, doch er hatte gehört, dass Juden eine Menge Wein für ihre religiösen Zeremonien brauchten, und Juden hatten Geld. Sie tranken bestimmt kein billiges Zeug, also musste dieser Wein etwas wert sein.

      Er ging um den Laster herum und sah, dass die Kabine leer war. Kein Mensch war in der Nähe. Sein Herz begann zu hämmern. Er müsste nur zugreifen. Sicher kam der Fahrer gleich zurück, und dann wäre es zu spät. Vorsichtig schaute er sich um und ging wieder nach hinten zur Ladefläche, wartete ab, bis ein paar Autos vorbeigefahren waren, und spähte hinüber zu den Laderampen der Fabrik. Niemand zu sehen.

      Plötzlich war das einzige Geräusch, das er noch hören konnte, sein klopfendes Herz. Er griff nach einer Kiste, um sie herunterzuziehen, aber sie war schwerer als erwartet. Der ganze Stapel geriet ins Schwanken, und er hatte Angst, auf die Heckklappe zu steigen, um besser zupacken zu können. Wenn man ihn im Laster erwischte, wäre es für jeden klar, was er vorhatte. Aber er musste diesen Wein haben. Er hatte noch nie im Leben Wein probiert, doch er wollte ihn, weil er wusste, dass er etwas wert war.

      Der Schweiß brach ihm aus, als er zögernd einen Fuß auf die Heckklappe stellte. So rasch wie möglich zerrte er die Kiste herunter, ehe der ganze Stapel umkippen konnte, und sprang wieder auf den Bürgersteig. Die Kiste war schwer, sehr schwer, und er fühlte sich schuldig wie ein Judas. Rasch stemmte er sie auf die Schulter und lief los. Sein Rücken schmerzte, und sein Herz raste. Er dachte an das Paramount Kino in der Stadt und die Cowboyfilme, die er dort am Samstagnachmittag gesehen hatte, in denen die Helden immer mit schäbigen Ganoven kämpften. Und so einer war er jetzt auch. Zum Verbrecher geworden durch roten Wein.

      Er rannte den ganzen Weg zurück zur Siedlung, lief direkt zu den Verbrennungsöfen und knallte die schwere Metalltür hinter sich zu. Ein Fenster im Ofen von der Größe eines Briefumschlags tauchte den dunklen Raum in einen rötlich-glühenden Schimmer. Richie stellte die Kiste ab, starrte auf das Feuer und erinnerte sich an den Schwachsinn, den die Nonnen in der Schule dauernd über die Hölle verzapften. Er glaubte kein Wort davon. Mit diesem Gewäsch versuchten sie bloß, einem Angst zu machen und unter ihrer Fuchtel zu halten. Er zog eine Flasche aus der Kiste und betrachtete sie aufmerksam. Der Wein war so dunkel, dass sogar der Feuer­schein ihn nicht durchdringen konnte. Mit seinem Taschen­messer probierte er, den Korken zu lockern. Sein Herz hämmerte immer noch wie verrückt, und der Ofen verbreitete eine Hitze, dass sein Gesicht glühte. Verbissen stocherte er an dem Korken herum, um ihn irgendwie rauszudrücken, aber das funktionierte nicht, deshalb zerschnitt er ihn im Fla­schenhals, kratzte die losen Stücke heraus und presste dann den Rest in die Flasche. Langsam hob er sie an die Lippen. Seine Hand zitterte. Der Geschmack war ganz anders, als er gedacht hatte, kräftig und süß und eigentlich gar nicht ange­nehm. Vielleicht war das so etwas, woran man erst ›Ge­schmack‹ finden musste. Sein wohlhabender Onkel Mickey gebrauchte oft diesen Ausdruck: Es bedeutete, dass etwas auf Anhieb möglicherweise nicht so gut schien und doch etwas Besonderes war. Richie spuckte einige Korkkrümel aus und nahm vorsichtig einen weiteren Schluck. Es dauert wohl, bis man sich an so was Gutes gewöhnt, dachte er. Er trank, so viel er nur konnte, und versteckte dann die Kiste unter einigen alten Zeitungen in einer Ecke.

      In dieser Nacht ging es ihm erbärmlich. Dauernd musste er sich erbrechen, lauter purpurne Flüssigkeit, aber nicht, weil er betrunken gewesen wäre. Er war vielmehr einfach krank vor Angst, dass