Geschichte und Erdkunde fand ich ebenfalls ganz spannend. Dort erfuhr ich etwas über andere Länder, und so etwas fesselte meine Aufmerksamkeit immer, ebenso wie Miss Starr, unsere Geschichtslehrerin. Sie war sehr zierlich und keine klassische Schönheit, aber so gebaut wie keine andere Frau, die ich kannte. Es war, als hätte der liebe Gott ausprobieren wollen, wie er eine Frau bestücken konnte. Mathe war mir ein Buch mit sieben Siegeln, wie eine fremde Sprache, was dieses Fach ja wahrscheinlich auch irgendwie ist. Algebra ist mir heute noch ein Rätsel, obwohl meine jüngste Tochter Virginia sich inzwischen alle Mühe gibt, mir den Stoff der achten Klasse zu verklickern. Die Naturwissenschaften gingen mir auf den Zeiger, und das einzige Thema, das mich einigermaßen ansprach, war Astronomie. Das war wirklich cool.
Football spielte an der Schule auch eine große Rolle, obwohl die Wettkämpfe mit anderen Schulen wie der Richmond oder der Fitzroy High eher unbewaffneten Zweikämpfen glichen. Ich war froh, für die Prahran High aufzulaufen, denn wir hatten ein paar echte Psychopathen im Team. Ein Typ tat das ganze Spiel über so, als sei er ein Cowboy – er klatschte sich beim Laufen auf den Hintern und hoppelte, als säße er auf einem Pferd, während er ein ohrenbetäubendes „Yee-hah!“ ausstieß. Während eines Spiels knockte er einen seiner Gegner mit einem kernigen Klaps richtiggehend aus. Als der Schiedsrichter ihn vom Feld stellte, erklärte er: „Der hat mit dem Mädchen vom Sheriff getanzt!“ Ein anderer aus unserem Team fuhr ein unsichtbares Motorrad. Wir haben nie ein Spiel verloren.
Auf der Chapel Street, ganz in der Nähe von der Pfandleihe, in der ich meinen ersten Bass gekauft hatte, gab es ein altes, ausgedientes Kino, in dem regelmäßig eine Musikveranstaltung namens „That’s Life“ stattfand. Das Kino, das direkt gegenüber vom Bahnhof Windsor lag, hatte man notdürftig umgebaut und dabei wenig erfolgreich versucht, es wie einen coolen Nachtclub aussehen zu lassen, und der Laden war vor allem berüchtigt für die Schlägereien, die dort zwischen den Sharpies und den Mods stattgefunden hatten. Wie in vielen anderen kleinen Hallen und Theatern traten hier am Freitag- und Samstagabend Bands auf. Da es keine Schanklizenz gab, durfte auch kein Alkohol verkauft werden, und das wiederum führte dazu, dass es beim Einlass keine Altersbeschränkung gab. Natürlich wurden zum Ausgleich schon auf dem Weg zum Konzert große Mengen Bier gekippt. Und es galt als ausgesprochen angesagt, einen Flachmann mit Scotch in der Tasche zu haben, ebenso wie eine Rolle mit Klebefilm umwickelter Zwei-Pence-Stücke, die genau in eine geballte Faust passte und schnell zur Hand war, wenn es nötig wurde. Kurz gesagt, es war ein Ort perfekter abendlicher Unterhaltung, noch dazu von meiner Wohnung im Prahran Hilton bequem zu Fuß zu erreichen.
Wir – meine Bandkollegen Graham, Micky, Norm und ich – gingen oft ins Life, wie der Laden kurz genannt wurde, aber auch ins Garrison an der High Street, in die Ormond Hall, ins Opus in der St. Kilda City Hall oder in den Try Boys Club an der Surrey Road. Dort erlebten wir die besten Lokalbands der damaligen Zeit, die Master’s Apprentices, Billy Thorpe & The Aztecs, Doug Parkinson In Focus, Chain und Carson, bei denen der phantastische Broderick Smith am Mikrofon stand. Später sang er bei meiner absoluten Lieblingsband, den Dingoes.
Im Try Boys wurde es schnell mal ein bisschen brenzlig, weil hier die Surrey Road Gang herrschte. Die Jungs waren nicht zu unterschätzen: Gerüchteweise war ein Mitglied der Bande bei einem Straßenkampf getötet worden, und einige seiner Gefolgsleute hatten sich für eine Verbrennung im eigenen Haus entschieden, um seine Asche später in tiefer Nacht im Prahraner Schwimmbad zu verstreuen. Die Geschichte kursierte einige Jahre, und angesichts des Rufes, den einige der angeblich Beteiligten genossen, zweifelte ich nicht daran, dass sie der Wahrheit entsprach. Ein alter Schulkamerad von mir, Wade Dix, stand dieser Gang recht nahe, ebenso sein Bruder Lee. Ihr Vater war in der Painters And Dockers Union organisiert, der Gewerkschaft der Maler und Hafenarbeiter, die damals die Kais von Melbourne regierte. In den Pubs von Prahran tauchten öfter mal Dinge auf, die irgendwie mal „beim Verladen runtergefallen“ waren, und ich bin mir ziemlich sicher, dass Dix Senior bis zu den blutunterlaufenen Augen in diesen krummen Sachen steckte.
Wade wuchs vor allem meiner Mutter über die Jahre richtig ans Herz; sie hätte ihn bestimmt adoptiert, wenn er zu haben gewesen wäre. Er war ein schmächtiger Junge mit olivfarbener Haut, so wie ich. Und er hatte es nicht leicht, wie sich jederzeit an den vielen blauen Flecken, Schnitten, Beulen und Kratzern ablesen ließ, die seine Haut zierten. Angesichts der Umstände, unter denen er aufwuchs, war es ein Wunder, dass er ein so sonniges Gemüt entwickelte, aber gerade deswegen konnte meine Mutter ihn so gut leiden. In kürzester Zeit stieg sie bei ihm von „Mrs. E.“ zu „Mum“ auf, und das wollte bei Wade eine Menge heißen. Er besorgte sich später ein paar bezahlte freie Wochen auf der Arbeit, indem er einen Finger in eine Metallpresse steckte. Ruckzuck säbelte ihm die schwere Presse ein ordentliches Stück seines Fingers ab, und er konnte die nächsten vier Wochen bei vollem Lohn zu Hause bleiben. Wades Bruder rechnete schnell aus, dass er sich auf diese Weise noch einmal neun freie Monate würde erschleichen können, wenn er sich einen Finger nach dem anderen vornahm.
Silvester 1969 ging ich mit all meinen Freunden ins That’s Life zu einer Nachmittagsshow, die vom Radiosender 3XY gesponsert wurde. 3XY spielte vor allem die Top-40-Songs der damaligen Zeit, also die Beatles, die Stones, die Kinks, die Beach Boys, die Monkees, die Easybeats oder andere Hitgaranten, außerdem die typischen Eintagsfliegen, die anderweitig Berühmt-Berüchtigten und leider auch ziemlich viel Bubblegum Music, wie man die besonders naiven, klebrig-süßen Pop-Hits nannte, die von „Bands“ wie den Archies oder der 1910 Fruitgum Company produziert wurden.
Zu den Bands, die bei dieser Silvester-Show auftraten, zählte unter anderem die Gruppe Compulsion. Ein Maori namens Reno, der schwer auf Jimi Hendrix machte, spielte bei ihnen Gitarre, und ihr Manager war Michael Browning, dem mit dem Sebastians und dem Berties zwei große Rock-Clubs in Melbourne gehörten. Außerdem spielten noch die Valentines aus Perth. Sie hatten damals einen kleinen Hit mit „My Old Man’s A Groovy Old Man“, das aus der Feder von George Young und Harry Vanda stammte. Young und Vanda waren das Songwriter-Team hinter den legendären Easybeats und echter australischer Rock-Adel, auch wenn sie eigentlich aus Schottland beziehungsweise Holland stammten.
Die Valentines waren Teenybopper wie später die Bay City Rollers. Sie trugen eine Uniform aus enganliegenden Schlaghosen, Plateauschuhen und Hippie-Hemden mit durchsichtigen Chiffonärmeln, alles in knalligem Orange. Eigentlich waren sie eine ganz gute Band mit ihren beiden Leadsängern, aber für meinen Geschmack ein wenig zu poppig. (Die Hendrix-Cover von Compulsion waren eher mein Geschmack.) Und es war nicht ganz einfach, sich diese grauenhaften orangefarbenen Outfits wegzudenken. Bei den Mädchen kamen sie allerdings ziemlich gut an, und sie hatten sogar ihren eigenen Fan-Club – lauter junge Frauen, die sich die Lunge aus dem Hals kreischten und Schilder hochhielten, auf denen Sprüche standen wie BE MY VALENTINE IN ’69.
Die Valentines legten als erstes mit ein paar Motown-Songs los und spielten schon mit ordentlich viel Druck, das musste man ihnen lassen. Die meisten Titel sang ein Typ namens Vince Lovegrove, aber der andere Sänger fiel mir weitaus mehr auf. Ganz offensichtlich hatte er schon ein bisschen was getankt, aber noch deutlich Lust auf mehr. Ich saß vor den Lautsprechern am Rand der Bühne und sah ihn öfters während der Soli und nach den Songs nach hinten gehen, um sich eine Flasche Johnnie Walker an den Hals zu setzen. Dann ging er wieder auf die Bühne und brüllte ins Mikrofon. Selbst in dem scheußlichen Orange versprühte er eine gewisse Coolness und Stil. Im Laufe des Konzerts fing er ziemlich an zu schwitzen, und irgendwann sah ich etwas Seltsames unter den Chiffon-Ärmeln. Allmählich zeichneten sich dunkle Tätowierungen ab – er hatte wohl versucht, sie mit Make-up abzudecken, aber durch den Schweiß verlor sich das. Der Typ verwandelte sich vor meinen Augen in Bon Scott.
Es war meine allererste Begegnung mit Bon. Ich fand ihn extrem cool, auch wenn