Herr Grünlich kehrte bald nach dem Weihnachtsfeste nach Hamburg zurück, denn sein reges Geschäft forderte unerbittlich seine persönliche Gegenwart, und Buddenbrooks stimmten mit ihm stillschweigend darin überein, daß Tony vor der Verlobung Zeit genug gehabt habe, seine Bekanntschaft zu machen.
Die Wohnungsfrage ward brieflich geordnet. Tony, die sich ganz außerordentlich auf das Leben in einer Großstadt freute, gab dem Wunsche Ausdruck, sich im Innern Hamburgs niederzulassen, wo ja auch – und zwar in der Spitalerstraße – sich Herrn Grünlichs Kontore befanden. Allein der Bräutigam erlangte mit männlicher Beharrlichkeit die Ermächtigung zum Ankaufe einer Villa vor der Stadt, bei Eimsbüttel … in romantischer und weltentrückter Lage, als idyllisches Nestchen so recht geeignet für ein junges Ehepaar – »procul negotiis« – nein, er hatte sein Latein gleichfalls noch nicht völlig vergessen!
Es verging der Dezember, und zu Beginn des Jahres sechsundvierzig ward Hochzeit gemacht. Es gab einen prächtigen Polterabend, bei dem die halbe Stadt anwesend war. Tonys Freundinnen – darunter auch Armgard von Schilling, die in einer turmhohen Kutsche zur Stadt gekommen war – tanzten mit Toms und Christians Freunden –, darunter auch Andreas Gieseke, Sohn des Branddirektors und studiosus iuris, sowie Stephan und Eduard Kistenmaker, von »Kistenmaker & Sohn« –, im Eßsaale und auf dem Korridor, der zu diesem Behufe mit Talkum bestreut worden war … Für das Poltern sorgte in erster Linie Konsul Peter Döhlmann, der auf den Steinfliesen der großen Diele alle irdenen Töpfe zerschlug, deren er habhaft werden konnte.
Frau Stuht aus der Glockengießerstraße hatte wieder einmal Gelegenheit, in den ersten Kreisen zu verkehren, indem sie Mamsell Jungmann und die Schneiderin am Hochzeitstage bei Tonys Toilette unterstützte. Sie hatte, strafe sie Gott, niemals eine schönere Braut gesehen, lag, so dick sie war, auf den Knien und befestigte mit bewundernd erhobenen Augen die kleinen Myrtenzweiglein auf der weißen moirée antique … Dies geschah im Frühstückszimmer. Herr Grünlich wartete in langschößigem Frack und seidener Weste vor der Tür. Sein rosiges Gesicht zeigte einen ernsten und korrekten Ausdruck; auf der Warze an seinem linken Nasenflügel bemerkte man ein wenig Puder, und seine goldgelben Favoris waren mit Sorgfalt frisiert.
Droben in der Säulenhalle, denn dort sollte die Trauung stattfinden, hatte sich die Familie versammelt – eine stattliche Gesellschaft! Da saßen die alten Krögers, ein wenig kümmerlich beide schon, aber wie stets die distinguiertesten Erscheinungen. Da waren Konsul Krögers mit ihren Söhnen Jürgen und Jakob, welch letzterer, wie die Verwandten Duchamps, von Hamburg gekommen war. Da war Gotthold Buddenbrook und seine Frau, die geborene Stüwing, mit Friederike, Henriette und Pfiffi, die sich leider alle drei wohl nicht mehr verheiraten würden … Da war die mecklenburgische Nebenlinie durch Klothildens Vater, Herrn Bernhardt Buddenbrook vertreten, der von »Ungnade« hereingekommen war und mit großen Augen das unerhört herrschaftliche Haus seines reichen Verwandten betrachtete. Die in Frankfurt hatten nur Geschenke geschickt, denn die Reise war doch zu umständlich … An ihrer Stelle aber waren, als einzige, die nicht der Familie zugehörten, Doktor Grabow, der Hausarzt, und Mamsell Weichbrodt, Tonys mütterliche Freundin, zugegen – Sesemi Weichbrodt mit ganz neuen grünen Haubenbändern über den Seitenlocken und einem schwarzen Kleidchen. »Sei glöcklich, du gutes Kind!« sagte sie, als Tony an Herrn Grünlichs Seite in der Säulenhalle erschien, reckte sich empor und küßte sie mit leise knallendem Geräusch auf die Stirn. – Die Familie war zufrieden mit der Braut; Tony sah hübsch, unbefangen und heiter aus, wenn auch ein wenig blaß vor Neugier und Reisefieber.
Die Halle war mit Blumen geschmückt und ein Altar an ihrer rechten Seite errichtet worden. Pastor Kölling von St. Marien hielt die Trauung, wobei er mit starken Worten im besonderen zur Mäßigkeit ermahnte. Alles verlief nach Ordnung und Brauch. Tony brachte ein naives und gutmütiges »Ja« heraus, während Herr Grünlich zuvor »Hä-ä-hm!« sagte, um seine Kehle zu reinigen. Dann ward ganz außerordentlich gut und viel gegessen.
… Während droben im Saale die Gäste, mit dem Pastor in ihrer Mitte, zu speisen fortfuhren, geleiteten der Konsul und seine Gattin das junge Paar, das sich reisefertig gemacht hatte, in die weißnebelige Schneeluft hinaus. Der große Reisewagen hielt, mit Koffern und Taschen bepackt, vor der Haustür.
Nachdem Tony mehrere Male die Überzeugung ausgesprochen hatte, daß sie sehr bald zu Besuch nach Hause kommen und daß auch der Besuch der Eltern in Hamburg nicht lange auf sich warten lassen werde, stieg sie guten Mutes in die Kutsche und ließ sich von der Konsulin sorgfältig in die warme Pelzdecke hüllen. Auch ihr Gatte nahm Platz.
»Und … Grünlich«, sagte der Konsul, »die neuen Spitzen liegen in der kleineren Handtasche zu oberst. Sie nehmen sie vor Hamburg ein bißchen unter den Paletot, wie? Diese Akzise … man muß das nach Möglichkeit umgehen. Leben Sie wohl! Leb' wohl, noch einmal, meine liebe Tony! Gott sei mit dir!«
»Sie werden doch in Arensburg gute Unterkunft finden?« fragte die Konsulin …
»Bestellt, teuerste Mama, alles bestellt!« antwortete Herr Grünlich.
Anton, Line, Trine, Sophie verabschiedeten sich von »Ma'm Grünlich« …
Man war im Begriffe, den Schlag zu schließen, als Tony von einer plötzlichen Bewegung überkommen ward. Trotz der Umstände, die es verursachte, wickelte sie sich noch einmal aus der Reisedecke heraus, stieg rücksichtslos über Herrn Grünlichs Knie hinweg, der zu murren begann, und umarmte mit Leidenschaft ihren Vater.
»Adieu, Papa … Mein guter Papa!« Und dann flüsterte sie ganz leise: »Bist du zufrieden mit mir?«
Der Konsul preßte sie einen Augenblick wortlos an sich; dann schob er sie ein wenig von sich und schüttelte mit innigem Nachdruck ihre beiden Hände …
Hierauf war alles bereit. Der Schlag knallte, der Kutscher schnalzte, die Pferde zogen an, daß die Scheiben klirrten, und die Konsulin ließ ihr Batisttüchlein im Winde spielen, bis der Wagen, der rasselnd die Straße hinunterfuhr, im Schneenebel zu verschwinden begann.
Der Konsul stand gedankenvoll neben seiner Gattin, die ihre Pelzpelerine mit graziöser Bewegung fester um die Schultern zog.
»Da fährt sie hin, Bethsy.«
»Ja, Jean, das Erste, das davongeht. – Glaubst du, daß sie glücklich ist mit ihm?«
»Ach, Bethsy, sie ist zufrieden mit sich selbst; das ist das solideste Glück, das wir auf Erden erlangen können.«
Sie kehrten zu ihren Gästen zurück.
Fünfzehntes Kapitel
Thomas Buddenbrook ging die Mengstraße hinunter bis zum »Fünfhausen«. Er vermied es, oben herum durch die Breitestraße zu gehen, um nicht der vielen Bekannten wegen den Hut beständig in der Hand tragen zu müssen. Beide Hände in den weiten Taschen seines warmen, dunkelgrauen Kragenmantels schritt er ziemlich in sich gekehrt über den hartgefrorenen, kristallisch aufblitzenden Schnee, der unter seinen Stiefeln knarrte. Er ging seinen eigenen Weg, von dem niemand wußte … Der Himmel leuchtete hell, blau und kalt; es war eine frische, herbe, würzige Luft, ein windstilles, hartes, klares und reinliches Wetter von fünf Grad Frost, ein Februartag sondergleichen.
Thomas