Königliche Hoheit. Thomas Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Thomas Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 4064066117030
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Bestand des Marstalles auf das Notwendigste herabgesetzt … Was verschlug das? Des Großherzogs Geldverachtung empörte sich gegen den Zwang in plötzlichen Ausbrüchen, und während die Bewirtung bei den Hoffestlichkeiten die äußerste Grenze erlaubter Einfachheit erreichte, während zum Souper am Schlusse der Donnerstagkonzerte im Marmorsaal ohne Abwechslung nichts als Roastbeef in Remouladensoße und Gefrorenes auf den roten Sammetdecken der goldbeinigen Tischchen serviert wurde, während an des Großherzogs eigener von Wachskerzen strotzender Tafel alltäglich gespeist wurde wie in einer mittleren Beamtenfamilie, warf er trotzig die Einkunft eines Jahres für die Wiederherstellung der Grimmburg hin.

      Aber unterdessen verfielen seine übrigen Schlösser. Herrn von Bühl standen einfach nicht die Mittel zur Verfügung, ihre Verwahrlosung zu verhindern. Und doch war es schade um manche davon. Die, welche in der weiteren Umgebung der Residenz und draußen im Lande gelegen waren, diese zierlich üppigen, in Naturschönheit eingebetteten Refugien, deren kokette Namen auf Ruhe, Einsamkeit, Vergnügen, Zeitvertreib und Sorglosigkeit hindeuteten oder eine Blume, ein Kleinod bezeichneten, bildeten Ausflugsorte für die Residenzler und die Fremden und warfen an Eintrittsgeldern dies und jenes ab, was zuweilen – nicht immer – für ihre Instandhaltung benutzt wurde. Bei denen jedoch, die in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt lagen, war das kaum der Fall. Da war das Empire-Schlößchen Eremitage, das am Rande der nördlichen Vorstadt so verschwiegen und anmutig-streng, aber längst unbewohnt und vernachlässigt inmitten seines wuchernden Parkes, der in den Stadtgarten überging, zu seinem kleinen, von Schlamm starrenden Teich hinüberblickte. Da war Schloß Delphinenort, welches nur eine Viertelstunde Weges von dort, im nördlichen Teile des Stadtgartens selbst, der ehemals ganz der Krone gehört hatte, seine Ungepflegtheit in einem ungeheuren, viereckigen Springbrunnenbecken spiegelte: mit beiden stand es bejammernswert. Daß namentlich Delphinenort, dieses erlauchte Bauwerk, Frühbarock im Geschmack, mit dem vornehmen Säulenaufbau seines Portals, seinen hohen, in kleine, weiß gerahmte Scheiben geteilten Fenstern, seinen gemetzten Laubgewinden, seinen römischen Büsten in den Nischen, seinem splendiden Treppenaufgang, seiner ganzen gehaltenen Pracht auf immer, wie es schien, dem Verfall überlassen bleiben sollte, war der Schmerz aller Liebhaber baukünstlerischer Schönheit, und als es eines Tages infolge unvorhergesehener, ja abenteuerlicher Umstände wieder zu Ehren und Jugend gelangte, erweckte das in diesen Kreisen jedenfalls allgemeine Genugtuung … Übrigens war von Delphinenort in fünfzehn oder zwanzig Minuten der Quellengarten zu erreichen, der ein wenig nordwestlich zur Stadt gelegen und mit ihrem Zentrum durch eine direkte Trambahnlinie verbunden war.

      In der Benutzung der großherzoglichen Familie standen allein Schloß Hollerbrunn, die Sommerresidenz, ein Trakt von weißen Gebäuden mit chinesischen Dächern, jenseits der Hügelkette, welche die Hauptstadt umringte, kühl und angenehm am Flusse gelegen und berühmt durch die Fliederhecken seines Parks; ferner Schloß Jägerpreis, das völlig in Efeu gehüllte Jagdhaus inmitten der westlichen Waldungen; und endlich das Stadtschloß selbst, das »Alte« genannt, obgleich es durchaus kein neues gab.

      Es hieß so, ohne Vergleich, nur eben um seines Alters willen, und die Krittler fanden, daß seine Auffrischung dringlicher gewesen wäre als die der Grimmburg. Verblichenheit und Zerschlissenheit herrschte bis in die Räume hinein, die unmittelbar der Repräsentation und der hohen Familie zum Aufenthalt dienten, zu schweigen von den vielen unbewohnten und unbenutzten, die in den ältesten Gegenden des vielfältigen Gebäudes lagen, und in denen es nichts als Erblindung und Fliegenschmutz gab. Seit einiger Zeit war dem Publikum der Zutritt versagt – eine Maßnahme, die offenbar in Hinsicht auf den anstößigen Zustand des Schlosses getroffen war. Aber Leute, die Einblick hatten, Lieferanten und Personal, gaben an, daß aus mehr als einem stolzen und steifen Möbelstück das Seegras hervorgucke.

      Das Schloß bildete zusammen mit der Hofkirche einen grauen, unregelmäßigen und unübersichtlichen Komplex mit Türmen, Galerien und Torwegen, halb Festung, halb Prunkgebäude. Verschiedene Zeitalter hatten an seiner Ausgestaltung gearbeitet, und große Partien waren baufällig, verwittert, schadhaft, zum Bröckeln geneigt. Es fiel steil ab zum westlichen, tiefer gelegenen Stadtteil, zugänglich von dort auf brüchigen, von rostigen Eisenstangen zusammengehaltenen Stufen. Aber dem Albrechtsplatz war das gewaltige, von kauernden Löwen bewachte Hauptportal zugewandt, zu dessen Häupten ein frommes, trotziges Wort: »Turris fortissima nomen Domini«, halb nur noch leserlich, eingemeißelt stand. Hier war Wache und Schilderhaus, Ablösung, Trommeln, Parade und Auflauf von Gassenbuben …

      Das Alte Schloß besaß drei Höfe, in deren Ecken sich schöne Treppentürme erhoben und zwischen deren Basaltfliesen übrigens meistens allzuviel Unkraut sproß. Aber inmitten des einen Hofes stand der Rosenstock – stand dort von jeher in einem Beet, obgleich sonst keine gärtnerischen Anlagen vorhanden waren. Es war ein Rosenstock wie andere mehr, ein Kastellan wartete ihn, er ruhte im Schnee, er empfing Regen und Sonnenschein, und kam die Zeit, so trieb er Rosen. Es waren außerordentlich herrliche Rosen, edelgeformt, mit dunkelrotsamtenen Blättern, eine Lust zu sehen und wahre Kunstwerke der Natur. Aber diese Rosen besaßen eine seltsame und schauerliche Eigentümlichkeit: sie dufteten nicht! Sie dufteten dennoch, aber aus unbekannten Gründen war es nicht Rosenduft, was sie ausströmten, sondern Moderduft – ein leiser, aber vollkommen deutlicher Duft nach Moder. Jedermann wußte das, es stand im Reiseführer, und die Fremden kamen in den Schloßhof, um sich mit eigener Nase davon zu überzeugen. Auch ging ein populäres Gerede, da oder dort stehe geschrieben, daß irgendwann einmal, an einem Tage der Freude und der öffentlichen Glückseligkeit, die Blüten des Rosenstockes auf die natürlichste und lieblichste Art zu duften beginnen würden.

      Übrigens war es begreiflich und unvermeidlich, daß die Einbildungskraft des Volkes durch den sonderbaren Rosenstock gereizt wurde. Sie wurde es auf ähnliche Art durch die »Eulenkammer« im Alten Schlosse, die eine Polterkammer sein sollte. Sie lag an gänzlich unverfänglicher Stelle, nicht weit von den »Schönen Zimmern« und dem »Rittersaal«, wo die Herren des Hofes sich zur großen Cour zu versammeln pflegten, und also in einem vergleichsweise neuen Teil des Gebäudes. Aber es sollte nicht geheuer dort sein, und zwar insofern, als zuweilen ein Rumoren und Lärmen darin entstand, das außerhalb des Gemaches nicht zu vernehmen und dessen Ursprung unerfindlich war. Man schwor, daß es spukhafter Herkunft sei, und viele behaupteten, daß es sich vornehmlich vor wichtigen und entscheidenden Ereignissen in der großherzoglichen Familie bemerkbar mache – ein ziemlich unbewiesenes Gemunkel, das selbstverständlich nicht ernster zu nehmen war als andere volkstümliche Erzeugnisse einer historischen und dynastischen Stimmung, wie zum Beispiel eine gewisse dunkle Prophezeiung, die über hundert Jahre hinweg überliefert worden war, und die in diesem Zusammenhange Erwähnung finden mag. Sie war von einer alten Zigeunerin ausgegangen und lautete dahin, daß durch einen Fürsten »mit einer Hand« dem Lande das größte Glück zuteil werden werde. »Er wird«, hatte dies zottige Weib gesagt, »dem Land mit einer Hand mehr geben, als andere mit zweien nicht vermöchten.« – So stand der Ausspruch aufgezeichnet, und so wurde er gelegentlich angeführt.

      Aber um das Alte Schloß lag die Residenz, bestehend aus Altstadt und Neustadt, mit ihren öffentlichen Gebäuden, Monumenten, Brunnen und Anlagen, ihren Straßen und Plätzen, welche die Namen von Fürsten, Künstlern, verdienten Staatsmännern und ausgezeichneten Bürgern trugen, in zwei sehr ungleiche Hälften geteilt durch den mehrfach überbrückten Fluß, der in großer Schleife das südliche Ende des Stadtgartens umging und sich zwischen den umringenden Hügeln verlor … Die Stadt war Universität, sie besaß eine Hochschule, die nicht sehr besucht war, und an der ein beschauliches und ein wenig altmodisches Gelehrtentum herrschte; einzig der Professor für Mathematik, Geheimrat Klinghammer, genoß in der Welt der Wissenschaft bedeutenden Ruf … Das Hoftheater, wiewohl kärglich dotiert, hielt sich auf anständiger Höhe der Leistung … Es gab ein wenig musikalisches, literarisches und künstlerisches Leben … Einiger Zuzug von Fremden fand statt, die an der gemessenen Lebensführung, den geistigen Darbietungen der Residenz teilzunehmen wünschten, begüterte Kranke darunter, die dauernd die Villen in der Umgebung des Quellengartens bewohnten und als fähige Steuerzahler von Staat und Gemeinde in Ehre gehalten wurden …

      Das war die Stadt; das war das Land. Das war die Lage.

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