Sie sitzt still da und lässt die Worte des Engels nachwirken. Verwundert fragt sie: «Doch sag Weihnachtsengel, weshalb sprichst du dann jetzt zu mir?»
«Ach, Frau, du müsstest es doch wissen! Alle sollen diese Botschaft immer wieder vernehmen, so auch du. Doch nicht alle vernehmen sie so deutlich und direkt wie du jetzt. Wer uns hören will, muss sich der Stille hingeben und sein Herz öffnen. Kann dies jemand nicht, so ist die Botschaft auch in einem Bild, in Musik oder in einem Licht erkennbar. Oder er hört uns durch die Worte anderer Menschen.»
Sie sitzt immer noch staunend und nachdenklich da. Sollte sie so ein Mensch sein, der diese Worte weiterträgt? Sie schaut noch einmal hoch zu ihrem Weihnachtsengel, doch dieser blickt nun wieder starr hinaus ins Kirchenschiff und bleibt stumm.
Schliesslich macht sie sich auf, verlässt die dunkle Kirche und wandert durch die Vollmondnacht heimwärts. Sie wird von zauberhaft silbrig funkelndem Licht umgeben, die Luft scheint zu flimmern, Nebel und silbriges Schneegestöber hüllen sie ein. So wandert sie verzaubert immer weiter, spürt die Botschaft dieser heiligen Nacht und plötzlich scheint ein Flügel sie zu streifen.
Hansueli Balmer
Tanzender Advent
Wenn der Himmel
i däm Röckli tanzet
isch es schön
Chinderauge lüüchte
es liises Berüehrtsii im Gsicht
es Stuune
s’Liecht
vom Himmel
chunnt is Härz
Wiehnacht
Wenn der Himmel
mit der Wiehnacht
chunnt cho z’tanze
hets di nüm
treits di furt
chasch nid blibe höckle
muesch ufstah
muesch di bewege
schwäbsch über em Bode
gspürsch Wärmi
füehlsch di ghalte
der Körper wird Musig
der Rhythmus fahrt i d’Bei
u s’Gmüet isch frei
Wenn der Himmel
i de Wölkli chunnt cho z’tanze
und d’Wiehnacht
wie vo Witem lächlet
isch es schön
Solotänzer
Beschwingt
breche ich auf
erfahrener Verheissung
entgegen
schwebenden Schrittes
bewege ich mich
wie im Tanz
Leben
erfüllt
über sich hinausweisend
bricht ein
feurig
wohlig
drängt mich
innere Wärme
voran
Lichtglanz
von weit her
zieht mich
in die Nähe
zu dir
eng umschlungen
in deinen Armen wiegend
bewege ich mich
wie im Tanz
Weihnacht
Zwischen Himmel
und Erde
bewegt sich
berührt sich
Licht
das Nacht
durchbricht
wegweisend
leuchtend
der Stern
in dir
und über dir
singend
hoffend
tanzend
Aufbruch
Wärme
Neubeginn
damals
jetzt
«Ursula Trachsel
Es ist ein Ros’ entsprungen
«Mir wäre lieb gewesen, wenn es gleich fertig gewesen wäre», sagtest du damals, vor etwas mehr als zwei Jahren. Du bist zu Hause die Treppe hinuntergestürzt, hast dir den Oberschenkel gebrochen, die Schulter arg verletzt, und zahlreiche blaue Flecken zeugten von deinem Unglück.
Lange bist du da gelegen, bevor ein Nachbar dich gefunden hat. «Acht Kinder habe ich geboren, aber diesen Schmerz nach dem Sturz, ich meinte, ihn nicht aushalten zu können», sagtest du.
Es ist nicht «fertig gewesen». Man hat dir ein Stück Metall anstelle des Oberschenkelknochens eingesetzt, deine Schulter bandagiert, die blauen Flecken gesalbt und dich mithilfe eines Rollators – ein Stosserli, wie du den neuen Begleiter nennst – mobilisiert.
Für dich ist schnell einmal klar geworden, dass die selbstständige Haushaltführung in deiner Wohnung im Bergdorf mit den langen Wintern nicht mehr möglich sein würde. Ein Platz im Altersheim war frei und du bist eingezogen: mit dem Stosserli, einem kleinen Koffer und schwerem Herzen. Du schliefst fortan nicht mehr im breiten Holzbett, das du über fünfzig Jahre mit deinem Mann geteilt hattest. Du hattest keine eigene Küche mehr zum Zubereiten deiner Minestrone und Backen deiner Apfelkuchen. Damals, vor etwas mehr als zwei Jahren, wurde deine Welt innert weniger Wochen demontiert.
Heute bist du in deiner neuen Welt angekommen. Dein Lebenswille ist nochmals erstarkt. In Demut und Dankbarkeit hast du das für dich Gute erkannt und deinen Platz im Altersheim gefunden.
Heute, mit 96 Jahren, hast du in deiner neuen Welt gelernt zu geniessen, wohl erstmals in deinem Leben in diesem Ausmass. Du geniesst das feine Essen, immer mit Dessert, wie du zu betonen pflegst. Du geniesst es, eingecremt zu werden nach Dusche oder Bad; du würdest dich jeweils so wohl fühlen wie ein «Mämmi» – ein Säugling. Du geniesst es, nicht länger mit Hausarbeit belastet zu sein; alle Pflegenden seien so aufmerksam und sorgfältig, betonst du immer wieder. Du machst mit bei allen Aktivitäten: du malst, du kochst, du turnst, du jasst, du singst. «Weisst du, wir krächzen mehr, als wir singen, aber es macht Freude», sagtest du mir, als wir zusammen Weihnachtslieder gesungen haben in deinem Zimmer im Altersheim.
«Es ist ein Ros’ entsprungen, aus einer Wurzel zart» – wie das Blümlein im kalten