„Wenn Red und Larry das auch wissen, warum zum Teufel versuchen sie Kontakt mit ihm zu bekommen?“, fragte Dan Flemming erregt. „Ich begreife immer weniger, was sie heim treibt!“
„Vielleicht das, was auch dich dazu bewegt nach Pelcon zurückzukehren“, erwiderte Lee. „Oder aber, sie sind so gemein und schlecht, dass sie nach den Informationen, die sie wohl über ihren Halbbruder Jim eingeholt haben, glauben, ihn mit hinab in den Höllenstrudel ziehen zu können, in den sie ihrer Meinung nach durch den Vater gelangten. Wer kann schon die Gedanken dieser Menschen lesen? Es ist nur schade, dass du mit keinem dieser Brüder jemals Kontakt gehabt hast, Dan.“
„Ich kannte nur Stuart Jugens“, erwiderte Dan rau. „Ich habe ihn in sehr schlechter Erinnerung. Ich sehe nur immer wieder vor Augen, wie er meinen Vater umbrachte und wie er durch meinen Schuss scheinbar tot auf die Fahrbahn fiel. Damals glaubte ich einen Menschen erschossen zu haben. Ich war wie irr vor Angst. Es hieß, dass Stuart Jugens tot sei, sonst wäre es erst gar nicht zu der Anklage gegen mich und der Todesstrafe gekommen. Ich aber wollte leben, ich wollte nicht sterben. Das Bild von Stuart Jugens prägte sich unauslöschlich in mir ein, musste ich mir doch sagen, dass ich ihn getötet hatte. Auch jetzt noch, da ich weiß, dass ich ihn nicht tötete, habe ich noch ständig sein bleiches Gesicht vor Augen. — Das wird wohl bleiben, solange ich lebe.“
10.
Die drei Sattelpartner hatten es vorgezogen, die Siedlung ohne Rücksprache mit dem Sheriff zu verlassen. Gegen Abend passierten sie die Distriktgrenze.
„Jetzt solltest du absteigen und auf dem Heimatboden niederknien“, sagte Lee zu Dan Flemming. „Ist dir nicht danach zumute, Dan?“
„Ja“, entgegnete Dan schlicht. Er hatte wie Lee und Paul sein Pferd angehalten und saß ganz gelockert im Sattel. Er blickte wie seine Partner in das Land. Soweit der Blick auch reichte, überall wogte das wellige Buschgelände, häufig von Prärieinseln unterbrochen. Irgendwo im Süden lag Pelcon, die Rinderstadt, das Zentrum des Prärielandes. Die Schatten der Dunkelheit sanken auf das Land herab. Ein helles Leuchten war weit im Westen zu sehen, wo die Sonne unterging.
Die Fährte von Hannigan und der ihn begleitenden Jugens-Brüder hatte sich verloren. Das hatte jetzt, da sie das Ziel des Bandentrupps kannten, nichts mehr zu bedeuten. Man brauchte keine kostbare Zeit mehr zu verschwenden.
„Dan“, wandte Paul sich an seinen jungen Begleiter, „langsam musst du dir darüber klar werden, was du hier willst. Bleiben kannst du nicht, wenn auch das Gesetz des Rechts, das man im Herzen trägt, auf deiner Seite ist und dir die Drei-Stäbe-Ranch zusteht. Auf dem Papier sieht das allerdings ganz anders aus. Stuart Jugens hat deinen Vater dermaßen überrumpelt, dass kein öffentliches Gesetz hinter dir stehen wird. Es steht also fest, dass du die Ranch für immer verloren hast. Das musste dir ganz klar sein, Dan.“
„Allein um die Ranch zu besichtigen, dafür bist du nicht zurückgekommen, Dan“, wandte Lee sich an ihn. „Es wäre alles viel unkomplizierter, wenn es nur darum ginge. Rache aber, die andere Seite, ist etwas, was auf einen selbst zurückkommen kann. Willst du die alten Wunden wieder aufreißen?“
„Niemandem ist damit gedient“, sagte Paul langsam. „Wir sollten uns vierzehn Tage in deiner Heimat gönnen, um einen außerordentlichen Urlaub einzulegen. Wenn wir dann nicht aufgehalten werden, sollten wir uns still und leise verziehen. Das Gesetz soll sich die Schufte holen. Wir sind weder Kopfgeldjäger noch Vollstrecker, Dan.“
„Und wenn ich bleibe, um eine Arbeit aufzunehmen?“
„Dann würdest du das eines Tages zu bereuen haben, mein Junge“, warnte Paul ihn. „In manchen Menschen ist eine Sucht, sich selbst zu verletzen. Du gehörst zu diesen Menschen, Dan. Denke daran, wie dir zumute sein wird, jene Schufte, die dir alles nahmen, ständig in der Nähe zu wissen. Kein Mensch kann auf die Dauer so etwas ertragen.“
„Sollen sie ungestraft davonkommen?“
„Nein“, erwiderte Paul ruhig und zog die Brauen hoch. „Niemand kommt ungestraft davon. Lass dir das Leben von Stuart Jugens noch einmal durch den Kopf gehen, dann wirst du wissen, was ich meine. Das Schicksal selbst sorgt schon dafür, dass jeder das selbst bekommt, was er herauf beschwor. Die Rückkehr von Red und Larry Jugens wird für die anderen gewiss kein freudiges Ereignis sein, im Gegenteil, es braut sich etwas Finsteres für Stuart Jugens zusammen. Ich bin zwar kein Hellseher, aber das spüre ich sehr sicher.“
„Langsam stellt sich bei mir das Gefühl ein, dass ihr beiden nur zu meiner Bewachung bei mir geblieben seid?“, sagte Dan vorwurfsvoll. „Ich bin alt genug, um ohne euch auszukommen!“
„Uns bekommst du jetzt nicht mehr von deiner Seite, Dan. Reiten wir weiter. Es scheint mir, dass es bereits brenzlig wird. Glaubst du das nicht, Bruder?“, wandte Lee sich an Paul, der daraufhin nickte.
„Es liegt zu viel Blei in der Luft“, sagte Paul ernst. „Ich frage mich überhaupt, warum wir diesen störrischen Jungen begleiten? Es gibt bessere Gegenden und gesündere Luft.“
Lee grinste vor sich hin. Man spürte die Zuneigung der beiden riesenhaften Männer zu ihrem Schützling, aber auch, dass beide eiskalte Burschen waren und Nerven aus Drahtseilen zu besitzen schienen.
Die Nacht hatte sich über das Land gebreitet, als die drei Reiter die Lichter von Pelcon vor sich sahen.
„Jetzt freue dich, Kleiner“, sagte Lee. „Wirf deinen Stetson in die Luft und begrüße die Stadt
nach Cowboyart. Halte unseretwegen deine Gefühle nicht zurück.“
Er unterbrach sich, hob sich im Sattel und lauschte hinter sich in die Nacht hinein. Dann gab er seinen Begleitern einen Wink, ihm mit ihren Pferden in die Deckung der Büsche zu folgen. Wenig später waren die drei verschwunden. Die Pferde standen dicht beieinander, und die Reiter waren bereit, ihnen die Nüstern zuzuhalten. Alle drei vernahmen sie jetzt den rasch näher kommenden Hufschlag eines einzelnen Pferdes auf der staubigen Straße, die nach Pelcon führte. Ein Reiter jagte einen Augenblick später vorbei, und noch war der Hufschlag des Tieres nicht verklungen, als Hufschlaggeräusche einer starken Reiterkavalkade hörbar wurden, die kurz darauf auftauchte.
Man brauchte kein Hellseher zu sein, um festzustellen, dass der einzelne Reiter verfolgt wurde und jeden Augenblick von der Verfolgermeute gestellt werden konnte. Die Verfolger waren mit ihren bedeutend frischeren Pferden weit ausgeschwärmt. Einige kamen so dicht am Versteck der drei Partner vorbeigeritten, dass die Zweige sich bewegten. Deutlich sahen die im Versteck harrenden Männer, dass der Verfolgte sich verzweifelt umblickte und die Arme hob. Er griff jedoch nicht einmal zur Waffe, um sich die Verfolger vom Leibe zu halten, er versuchte nicht einmal einen Trick, um sich hinter dem Pferdekörper oder sonst wo in Deckung zu bringen und den Kampf zu eröffnen, er machte im Gegenteil den Eindruck, als wäre er am Ende seiner Kraft. Er sackte in sich zusammen, zog an den Zügeln und ließ das Pferd wenden. Dann hielt er das Tier an, hob die Hände von den Zügeln und nahm sie hoch.
„Dan“, sagte Paul nachdenklich, „wenn mich kein Spuk narrt, so jagt die Meute dort doch tatsächlich Kan Palmer, den Rohhäuterboss. Das ist doch kaum zu glauben, dass er sich ohne die Hilfe seines Stammes auf die Suche nach Ann machte. Ich muss mich irren, das kann einfach nicht sein!“
„Du irrst dich nicht, Bruder“, sagte Lee, „es ist Kan Palmer. Auch ich habe ihn erkannt.“
Er sprach nicht weiter, denn was sich da vor den Augen der Beobachter abspielte, war so eindringlich, dass es einem schier den Atem nahm. Die Verfolger hatten Kan Palmer eingekreist und kamen nun von allen Seiten auf ihn