Heute werde ich Sie also nicht sehen! Sie haben da eine unausstehliche Familie, die Sie Ihren erlesensten Freunden entzieht! Notgedrungen werde ich also heute Abend irgendeine fürchterliche Dummheit begehen müssen! … Das kommt nun von Ihrer Güte zu mir, meine liebe große Freundin. Da ich mich so töricht und so nichtig fühle, wenn ich Sie nicht sehen darf, muss ich mich unbedingt betäuben, auch auf die Gefahr hin, Sie zu erzürnen. Doch seien Sie ganz beruhigt; ich werde Ihnen nicht erzählen, wie ich meinen Abend verbracht habe.
Ihr Freund und Diener
11. Mai 183…
Laurent.
An Herrn Laurent de Fauvel
Zunächst, mein lieber Laurent, bitte ich Sie, wenn Sie ein wenig Freundschaft für mich empfinden, dass Sie zumindest nicht zu häufig Dummheiten begehen, die Ihrer Gesundheit schaden. Alle anderen seien Ihnen gestattet. Sie werden mich bitten, Ihnen nur eine solche zu nennen, und schon bin ich höchst verlegen; denn in Sachen Dummheiten kenne ich wenige, die nicht schädlich wären. Es fragt sich nur, was Sie als Dummheit bezeichnen. Wenn es sich um diese langen Abendessen handelt, von denen Sie neulich gesprochen haben, so glaube ich, diese werden Sie zugrunde richten, und das betrübt mich nur allzu sehr. Mein Gott, was denken Sie sich dabei, wenn Sie mutwillig ein so kostbares und schönes Leben zerstören? Doch Sie mögen Predigten nicht; ich begnüge mich mit der Bitte.
Und nun zu Ihrem Engländer, der Amerikaner ist und im Übrigen gerade hier war; und da ich Sie zu meinem großen Bedauern weder heute Abend noch vermutlich morgen sehen werde, muss ich Ihnen sagen, dass Sie auf jeden Fall unrecht daran tun, sein Porträt nicht malen zu wollen. Er hätte es sich etwas kosten lassen, und bei einem Amerikaner wie Dick Palmer bedeutet das viele Banknoten, die Sie nötig brauchen, eben um keine Dummheiten mehr zu machen, das heißt um nicht immer wieder dem Kartenspiel zu verfallen in der Hoffnung auf den großen Glückswurf, den Menschen mit Phantasie doch niemals erzielen, denn Menschen mit Phantasie können nicht spielen. Sie verlieren ständig und müssen dann ihre Phantasie befragen, wovon sie ihre Schulden bezahlen sollen, ein Geschäft, auf das sich diese Dame Phantasie nicht versteht und zu dem sie sich nur herablässt, um den armen Körper, den sie bewohnt, in Brand zu stecken.
Sie finden mich sicher sehr nüchtern, nicht wahr? Das ist mir einerlei. Wenn wir übrigens die Frage genauer betrachten, dann sind alle Gründe, die Sie Ihrem Amerikaner und mir gegenüber angeführt haben, keinen roten Heller wert. Sie können das Porträt nicht machen, das ist schon möglich, das ist sogar sicher, wenn es unter den Bedingungen des bürgerlichen Erfolgs geschehen muss; aber Herr Palmer hat in keiner Weise verlangt, dass dies so sein sollte. Sie haben ihn für einen Spießbürger gehalten, und da haben Sie sich getäuscht. Er ist ein Mann mit großem Urteilsvermögen und Geschmack, der etwas von Kunst versteht und begeistert von Ihnen ist. Sie können sich denken, dass ich ihn gut aufgenommen habe! Als er zu mir kam, war ich seine letzte Hoffnung; das habe ich genau gespürt, und dafür war ich ihm sehr dankbar. Übrigens habe ich ihn getröstet und ihm versprochen, ich wolle mein Möglichstes tun und Sie dazu bewegen, ihn doch zu malen. Übermorgen müssen wir diese ganze Angelegenheit noch einmal besprechen, denn ich habe mich mit besagtem Herrn Palmer für den Abend verabredet; er soll mir helfen, Ihnen gegenüber seine Sache zu vertreten, damit er Ihre Zusage mitnehmen kann.
Und nun, mein lieber Laurent, wenn wir uns jetzt zwei Tage nicht sehen, so vertreiben Sie sich die Zeit, so gut Sie können. Das dürfte Ihnen nicht schwerfallen, Sie kennen viele geistreiche Leute, und Sie verkehren in den besten Kreisen. Ich dagegen bin nur eine alte Moralpredigerin, die Sie sehr gern hat, die Sie beschwört, nicht jeden Abend so spät zu Bett zu gehen, und die Ihnen rät, sich weder Exzessen noch irgendwelchen Ausschweifungen hinzugeben. Dazu haben Sie einfach nicht das Recht: Genie verpflichtet!
Ihre Gefährtin
Thérèse Jacques.
An Fräulein Jacques
Meine liebe Thérèse, in zwei Stunden fahre ich mit Graf S*** und Prinz D*** zu einem Fest auf dem Land. Wie man mir versichert, soll viel Jugend und Schönheit dort sein. Ich verspreche und schwöre Ihnen, keine Dummheiten zu machen und keinen Champagner zu trinken …, wenigstens nicht, ohne mir bittere Vorwürfe zu machen! Was wollen Sie! Sicher wäre ich lieber in Ihrem großen Atelier herumspaziert und hätte in Ihrem kleinen lila Salon dummes Zeug geschwätzt; doch da Sie sich mit Ihren zahllosen Vettern aus der Provinz in die Einsamkeit zurückgezogen haben, wird Ihnen meine Abwesenheit morgen bestimmt auch nicht sonderlich auffallen: Sie genießen ja den ganzen Abend lang die liebliche Musik des angloamerikanischen Tonfalls. Ach! Dick heißt er, dieser gute Herr Palmer? Ich dachte immer, Dick sei die Koseform von Richard! Freilich beherrsche ich an Sprachen allerhöchstens Französisch.
Was das Porträt anlangt, so wollen wir nicht mehr davon sprechen. Sie sind viel zu mütterlich, meine liebe Thérèse, wenn Sie an meine Interessen zum Nachteil der Ihren denken. Auch wenn Sie viele gute Auftraggeber haben, so weiß ich doch, dass Ihr Edelmut es Ihnen nicht erlaubt, reich zu sein, und dass einige zusätzliche Banknoten viel besser in Ihren Händen aufgehoben sind als in den meinen. Sie würden sie dazu verwenden, andere glücklich zu machen; ich aber würde sie, wie Sie sagen, im Kartenspiel vergeuden.
Übrigens war ich noch nie so wenig zum Malen aufgelegt! Dazu bedarf es zweier Dinge, die Sie besitzen: kühle Überlegung und Inspiration; Erstere werde ich niemals besitzen, und die zweite habe ich gehabt. Außerdem ist sie mir restlos verleidet wie eine alte Närrin, die mich kreuzlahm gemacht hat, indem sie mich querfeldein auf dem hageren Rücken ihrer Schindmähre hat reiten lassen. Ich erkenne sehr wohl, was mir fehlt; auch wenn es Ihnen missfallen sollte, ich habe einfach noch zu wenig gelebt, und ich verreise jetzt für drei oder sieben Tage mit der Dame Wirklichkeit in Gestalt einiger Nymphen aus dem Opernballett. Bei meiner Rückkehr hoffe ich der vollendetste Weltmann zu sein, mit anderen Worten der blasierteste und der vernünftigste.
Ihr Freund
Laurent.
1.
Schon auf den ersten Blick verstand Thérèse nur allzu gut, dass Verdruss und Eifersucht diesen Brief diktiert hatten.
»Und doch«, sagte sie sich, »ist er nicht in mich verliebt. O nein! Er wird bestimmt niemals in irgendjemanden verliebt sein, und in mich schon gar nicht.«
Und während sie den Brief noch einmal durchlas und vor sich hin träumte, fürchtete Thérèse, sie könne sich selbst belügen, wenn sie sich einzureden versuchte, Laurent drohe in ihrer Nähe keine Gefahr.
»Ach was! Welche Gefahr denn schon«, sprach sie weiter zu sich selbst: »leiden an einer verliebten Laune? Kann man denn überhaupt an einer verliebten Laune sehr leiden? Ich weiß das einfach nicht. Ich habe nie eine gehabt!«
Doch da schlug die Wanduhr fünf Uhr nachmittags.
Nachdem Thérèse den Brief in ihre Tasche gesteckt hatte, verlangte sie nach ihrem Hut, schickte ihren Diener für vierundzwanzig Stunden auf Urlaub, gab ihrer getreuen Catherine noch einige Anweisungen und bestieg eine Droschke. Zwei Stunden später kam sie mit einer kleinen zarten Frau zurück, die leicht vornübergebeugt und tief verschleiert war, so dass nicht einmal der Kutscher ihr Gesicht zu sehen bekam. Sie schloss sich mit dieser geheimnisvollen Person ein, und Catherine trug ihnen ein kleines, aber sehr schmackhaftes Mahl auf. Thérèse umsorgte und bediente ihre Besucherin, die sie voller Entzücken und mit solcher Begeisterung anschaute, dass sie kaum essen konnte.
Laurent seinerseits bereitete sich auf die angekündigte Lustbarkeit vor; doch als Prinz D*** ihn mit seinem Wagen abholen wollte, sagte ihm Laurent, eine unvorhergesehene Angelegenheit halte ihn leider noch für zwei Stunden in Paris fest, er werde aber im Laufe des Abends in das Landhaus des Prinzen nachkommen.
Laurent hatte jedoch überhaupt nichts zu erledigen. In fieberhafter Eile hatte er sich angekleidet und mit besonderer Sorgfalt frisieren lassen. Dann warf er seinen Rock auf einen