„Lieber nicht“, winkte Butch ab und setzte sich zu Radek an den wackligen Biertisch, „wir werden gleich nach Prag fahren. Geschäftlich.“
Radek lächelte vielsagend: „Ihr habt wieder ein anderes Auto?“
„Stimmt, aber nur einen Leihwagen. Dana hat in den Golf eine ziemliche Delle gefahren. Jetzt lassen wir das reparieren, damit nichts rostet“, gab sich Butch besorgt.
„Dann war das vorhin wohl wieder eine Probefahrt von Dana?“
Butch rieb sich die Kopfhaut und ging nicht weiter darauf ein. Seine Armbewegung hatte einen großflächigen Schweißfleck auf dem langärmligen Baumwollshirt bloßgelegt.
„Morgen spielt Prag gegen die Letten, die WM kann man ja abhaken“, wechselte er schnell das Thema.
„Ach Butch, du weißt doch, dass ich davon nicht viel verstehe. Konnten unsere bei der Weltmeisterschaft denn wenigstens was reißen?“, fragte Radek unsicher.
„Ach was! Wir haben nicht mal die Quali für die WM geschafft“, höhnte Butch.
Radek, der Bauer, der seit ein paar Jahren aus Altersgründen keine Landwirtschaft mehr betrieb, bewunderte den Buchmacher für seine Fußballkenntnisse, der selbst die Namen ausländischer Clubs und Ranglisten aus dem Effeff kannte. Nur fragte Radek ihn viel zu selten danach.
Beide Männer horchten auf. Über die geschlossene Vorderfront des Bauernhofs war ein Auto zu hören. In unmittelbarer Nähe verstummte der Motor.
„Wahrscheinlich ist Lenka gekommen. Sie wird sich ums Haus und die Tiere kümmern, bis wir wieder zurück sind.“ Butch schaute dabei zum Hoftor, als ob er hindurchschauen könnte. „Tut mir leid, dass ich so ungemütlich bin“, entschuldigte er sich und streckte Radek die rechte Hand entgegen. „In ein paar Tagen sind wir wieder da. Und dann gibt’s einen Cognac“, kündigte er augenzwinkernd an.
Radek wischte sich schnell die Hand an der Hose ab, bevor er den Händedruck erwiderte.
Mit einem: „Wir seh’n uns, und grüß mir Maria“ klopfte Butch auf den verwitterten Tisch und eilte über das bucklige Kopfsteinpflaster zum Ausgang.
Eine halbe Stunde später reisten die Svobodas ab.
Kurz hinter Krumlau hatten sie sich an einer Würstchenbude gestärkt. Jetzt fuhren sie entlang der Moldau, die im Hochsommer rudernde Kanu- und Kajakfahrer bevölkerten. Orange und gelbe Schwimmwesten tanzten wie Leuchtpunkte übers unruhige Wasser. Dana beobachtete vom Beifahrersitz aus das bunte Treiben auf dem sich quirlig schlängelnden Fluss. Die Klimaanlage des Wagens blies leise auf Hochtouren.
„Wir fahren aber nicht nach Mannheim?“, durchbrach Dana die schweigsame Fahrt.
Butch sah sie überrascht an. „Was wäre so schlimm daran?“
„Du hast Nerven“, entgegnete Dana verärgert.
„Genau betrachtet, wäre es nicht einmal die schlechteste Idee. Kein Mensch würde damit rechnen“, amüsierte sich Butch.
„Wie kannst du so reden? Es war eine einzige Katastrophe!“ Danas Stimme wurde lauter.
„Schätzchen – keine Katastrophe, sondern Berufsrisiko“, neckte er sie.
„Weißt du eigentlich, dass ich deshalb immer noch schlechte Träume habe?“
„Was gibt es da zu träumen?“, fragte Butch ungerührt.
„Was gibt es da zu träumen?“, äffte Dana ihn nach.
„Du dramatisierst“, versuchte Butch das Thema zu beenden. Er hatte den Vorfall längst abgehakt. Weder beschäftigte noch interessierte es ihn mehr, dass er bei ihrem letzten Ding kurzfristig geglaubt hatte, im Kellertresor eingeschlossen zu sein, und sämtliche Bankangestellten die Gunst des Augenblicks zur Flucht genutzt hatten. Dass sie Dana dabei umgeschubst hatten – ja und? „Ist doch Schnee von gestern.“
Dana ließ nicht locker. „Sei ehrlich: Würdest du es nochmal tun?“
„Was?“
„Na, einem Passanten auf offener Straße die Pistole vor die Nase halten und ihm das Auto klauen?“
Butch wollte darauf nicht eingehen. Nach seinem Dafürhalten hatte es die Situation erfordert.
Dana beugte sich nach vorn, um Butch in die Augen zu
sehen. „Ist dir eigentlich klar, wie gefährlich das war, du
Gentleman?“ In ihrer Stimme lag ein bedrohlicher Unterton.
„Schätzchen, beruhig dich“, beschwichtigte Butch, ohne seinen Blick von der Fahrbahn abzuwenden, „ist doch alles gutgegangen.“ Besänftigend strich er ihr über den linken Oberschenkel. Der leichte Stoff ihrer Sommerhose fühlte sich heiß an.
Butch drückte sich in seinen Sitz und umklammerte nun mit beiden Händen das Lenkrad. Mit diesem Nachspiel hatte er nicht gerechnet, denn nach den Vorkommnissen hatten sie nie wieder darüber geredet. Nicht einmal, nachdem sie das gekaperte Auto abgestellt und die Fahrt in ihrem eigenen Pkw fortgesetzt hatten. Vielleicht hatte sich dazu keine Gelegenheit geboten, als sie entlang der B 38 bis Neustadt konzentriert den krächzenden Ansagen der Polizeifunkzentrale auf dem kompakten Handgerät gelauscht hatten. Doch spätestens ab Speyer Richtung Heilbronn, auf der A 6 gen Osten, wäre Zeit zur Reflektion gewesen. Aber auch da hatten sie kein Wort mehr über das Fiasko gewechselt.
„Dana, sieh es doch mal so: Hunderttausend sind damals rausgesprungen. War doch richtig cool“, versuchte Butch einzulenken. „Und keine Sorge, meine Kleine, diesmal ist es ein Heimspiel. Wir werden alte Bekannte in Karlsruhe besuchen.“
„Wieso? Hast du Heimweh?“ Dana schien irritiert. Butch lachte auf. „So war das nicht gemeint! Ich rede von einer lukrativen Adresse. Ist noch nicht allzu lange her, dass wir dort einen Besuch abgestattet haben.“
„Wenn du meinst.“ Es klang ergeben.
„Ja, ich meine“, betonte er. „Und wenn’s dich beruhigt: Es gibt dort kein Kellergeschoss. Alles ebenerdig. Wir müssen uns also auch nicht trennen.“ Butch wandte sich zu Dana. „Ist das ein Angebot?“
Dana drehte am Strasssteinchen ihres rechten Ohrsteckers und schaute versonnen auf den Moldau-Stausee, den sie das Meer nannte und in dessen stahlblauer Unendlichkeit sich heute unzählige Segelboote verloren.
Sie näherten sich einem dunklen Fichtenwald, der fast bis ans Ufer reichte. Butch bog in einen Waldweg ab. Bald würden sie den versteckten Grenzübergang erreicht haben. Aber war das überhaupt noch von Relevanz? Die Grenze war schließlich offen.
„Welche Uhrzeit hast du geplant?“ Dana versuchte, den Faden wiederzufinden.
„High Noon.“
Auch kein schlechter Western, dachte Butch, aber nicht annähernd so gut wie Butch Cassidy und Sundance Kid.
Karlsruhe, 13. Juli 2010
Vielleicht ist es ja einfacher, eine Bank zu überfallen, als in meinem Alter noch einmal eine Existenz aufbauen zu wollen.
Nur in Momenten größter Selbstzweifel war Wiebke imstande, derlei Gedanken zu entwickeln. Für gewöhnlich neigte sie nicht zu Sarkasmus. Trotzdem entdeckte sie diese unangenehme Eigenschaft zunehmend an sich. Sie schrieb es ihrer Ungeduld zu. Warum auch, zum Teufel, wollte dieses Telefon einfach nicht klingeln? Unablässig trug sie es bei sich, als wäre es angewachsen. Seit zwei Wochen richteten ihre Ohren sich permanent auf das schwarze, rechteckige Ding, aber es schwieg. Am liebsten hätte sie es gegen die Wand gepfeffert. Würde es auch nur ein einziges Mal ertönen, wüsste sie, dass sie irgendjemand wahrgenommen hatte, da draußen in der ihr fremd gewordenen Welt der Redakteure.
Nervös blies sie den Rauch ihrer Zigarette über die betonierte