Der Kartenabreißer an der Oper war mir sogleich sympathisch, als er Antoinette mit Gleichmut erklärte, warum sie ihr doch so schönes Telefon nicht mit in die Oper nehmen dürfe. Anders als der Offizier, der meinen Namen ungeschminkt in den Schlosssaal geschmettert hatte, war der Kartenabreißer, der keine Orden aber ein Hörgerät, linkes Ohr, trug, wahrscheinlich überzeugt, ich sei der Pfleger der Dame. In gewisser Hinsicht stimmte das sogar.
Der Bulle reagierte nur auf Melonen
Glyndebourne gefiel mir, weil es dort relativ unkonventionell zuging. Die Veranstaltungen begannen am Nachmittag, meist Mozart, und noch bevor die Sonne sich fortstahl, wurde eine große Pause eingeklingelt, die Bayreuth als Provinzbühne erschienen ließ. Das verwöhnte Volk eilte zu den in Rolls Royce, Jaguar oder Bentley verstauten Fresskörben. Die Butler warfen karierte Decken auf die Kuhweiden, die die Oper umringten, Champagner-Korken knallten, Hummer-Sandwiches wurden gereicht und gelegentlich näherten sich Kühe. Verständlich, wann werden sie je mit wirklich vorzüglichem Krabben- oder Hummersalat gefüttert?
Antoinette hatte auf ihr Telefon nicht verzichtet, natürlich, aß Kirschen und warf die Kerne auf die Schnauze eines in der Nähe grasenden Bullen.
Er reagierte nicht.
Die Prinzessin hatte, passend zum roten Telefon, einen roten Mantel dabei, eine Kreation von Oscar de la Renta, den sie nun vor dem trägen Stier hin und her wedelte. Vergebens versuchte ich, sie zu stoppen, indem ich ihr mitteilte, dass spanische Toreros mir verraten hätten, dass nicht die Farbe Rot die Tiere provoziert, sondern die Bewegung des Tuches.
„Und warum“, fragte sie irritiert zurück, „stehe ich wie eine Verrückte auf der Weide und schwenke meinen Mantel? Wegen der Fliegen?“
Ein Gentleman von der karierten Kaschmir-Decke nebenan trat in die von Antoinette nicht verschossenen Kirschkerne und offerierte der königlichen Hoheit ein Glas Champagner. Klar war für mich, dass er damit die Stierprovokation unterbinden wollte. Mir reichte er kein Glas. Da ich lediglich 1,78 Meter groß bin, hatte er mich wahrscheinlich übersehen.
Antoinette war ein enfant terrible. Sie schreckte nicht davor zurück, ihrem Cousin, dem künftigen König, bei privaten Abendessen in ihrem Haus am Holland Park Nasi Goreng zu servieren, und dazu einen Wein zu reichen, der in der Qualität dem „Cröver Nacktarsch“ entsprach. Ich versuchte, obwohl ich nicht eingeladen war, sie von diesem Speise- wie Getränkeangebot abzubringen, aber ihr Argument war so einfach wie das Gericht, das sie von ihrer philipinischen Köchin zubereiten ließ: „Was er bei mir zu essen bekommt, bietet ihm sonst niemand“. Eine glasklare Logik, zumal der König im Wartestand sich häufiger am Holland Park anmeldete.
Antoinette lebte weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft, sondern jetzt, heute. Sie reagierte spontan, oft unüberlegt, man konnte ihr nicht vorwerfen zu zögern. Irgendwann ist sie sogar auf den Hund gekommen, bei der Einweihung eines Tierheims im East End von London.
Charlotte endete im Hochofen
Antoinette hatte einen Golden Retriever entdeckt, der müde erschien und seinen Schwanz nur einige Male bewegte, wahrscheinlich um zu dokumentieren, dass er noch nicht gestorben war. Die königliche Hoheit, der Ehrengast, tätschelte das ursprünglich für die Jagd gezüchtete Tier, das plötzlich Reaktionen zeigte. Es biss kräftig, ich ahnte instinktiv, dass es ein Weibchen war, in die neuen Schuhe der Prinzessin, die sie am Vortag bei „Harrod’s“ erworben hatte, made in Italy und 400 Pfund teuer. Hündische Eifersucht, das war’s. Oder die Botschaft, dass sie sich von keiner Frau unterdrücken lässt, gleich wie schön oder berühmt. Wir fuhren zu dritt im Topolino zum Holland Park zurück, Antoinette, „Charlotte“ und ich.
Wir wurden Freunde. Instinktiv wussten wir, dem Geruch nach, natürlich, dem Geruch der Straße und der Armut, dass wir Stammesgenossen waren, Straßenkind und Straßenköter. Unsere Harmonie überdauerte einen Sommer. Charlotte ermattete zunehmend, wahrscheinlich hatte ich ihr schwaches Herz zum Infarkt getrieben, mit all den weißen „Slazenger“-Tennisbällen. Sie hatte keine Lust mehr, idiotisch hinter denen herzurennen, die sie nicht fressen konnte, die nach Gummi rochen und nicht nach Urin. Sie verweigerte sogar Filetspitzen oder Nestlés Edelhundespezial. Eines Tages verzichtete sie auf Wasser und schloss die braunen Augen. Erstmals zeigte die Prinzessin Trauer. Sie weinte, wie ein Schlosshund.
Wir wollten Charlotte nicht unter einer Trauerweide vergraben, nein, wir würden sie einäschern lassen. Juristisch, gesetzlich, verwaltungstechnisch war das ein Unding. Der Tierarzt freilich kannte nahe der Tottenham Court Road einen Altmetallhändler, der einen Mini-Hochofen betrieb. Die Urne, mit der Antoinette und ich an einem herbstlichen Sonntagmorgen über den See im Hyde Park ruderten, war so groß wie eine Zuckerdose – ob das wirklich Charlottes Asche war? Oder die eines Gänseknochens? Weiß man das bei der Asche der Menschen? Uns war’s gleich. Über dem Wasser würde fortan eine hündische Seele schweben.
Bei unseren Ausfahrten konnten wir ihr Bellen hören, welches das Gezwitscher der Vögel übertönt. Wir ruderten oft auf diesem See, von dem aus wir die Royal Horse Guards bei ihrem morgendlichen Ausritt beobachten konnten, gemächlich oder im Galopp, stets würdig, königlich.
Charlottes Asche versackte wie Kaffeesatz. Antoinette warf eine Rose ins Wasser, die einsam dahintaumelte und dann absackte. Ich ruderte weiter. Am Bootssteg warteten keine Paparazzi.
Where is your captain?
Ihre Augen waren nahezu mandelförmig geschnitten, die Haare auch ohne Farbspülung pechschwarz, die Nase sinnlich geformt, trotz der fragilen Schärfe inmitten ihres ovalen Gesichts. Ihre Zähne müssten Zahncreme-Werber um den von Pfefferminz gestreichelten Atem bringen, waagerecht, wie mit einem Computer liniert. Welch Wunder, dass Ehefrauen saudischer Prinzen und Katar-Scheichs nach nur einem unschuldigen Lächeln der Golf-Schönheit ihren Zahnarzt suchen ließen. Selbst der Hinweis der Ermittler, dieser sei jüdischen Glaubens und habe bereits an der Klagemauer gestanden, also arabischen Boden und den Propheten entweiht, störte sie nicht: Ihre Männer beharrten darauf, mit den längsten und teuersten Yachten der Welt zu protzen, also sei ihr Wunsch nicht übertrieben, mit den schönsten Zähnen der Welt in eine Taubenpastete oder Hammelkeule zu beißen.
Meine schöne Freundin, nennen wir sie Ibtissam, war ein Geschöpf der Wüste, unter der Öl sprudelte und Gas. Die globalen Konten ihrer Familie, unabhängig von unberechenbaren Weltmarktpreisen, sind entsprechend gefüllt. Ibtissam, die Lächelnde, war für den Notfall, einem Umsturz etwa, mit einem britischen Pass abgesichert, erhielt allerdings, allein wegen ihrer Schweizer Konten, auch den Pass der Eidgenossen. Ihr Vater, Bruder des Herrschers eines am Golf gelegenen Scheichtums, muss zwar den unangenehmen Ölpreisverfall verkraften, aber wie mir Ibtissam anvertraute, kommt der Onkel mit einer täglichen Dollarmillion klar. Seine Tochter lässt der Papa in dieser Krise gleichwohl nicht darben. Die Quelle wird sprudeln bis in die Unendlichkeit, so Allah will, und aufs Sparen wird sich der Scheich erst besinnen, wenn die Erde rülpst und furzt und außer heißer Luft nichts mehr aufsteigt.
Für Ibtissams wirtschaftliches Wohlergehen ist vorgesorgt: Sie besitzt seit ihrem 18. Geburtstag ein Sparschwein der nicht