Dr. Harald Kiwull, geboren 1943 in Litzmannstadt, heute Lodz. Aufgewachsen in einem Dorf in Norddeutschland. Studium der Rechtswissenschaft in Hamburg und Freiburg im Breisgau. War nach Tätigkeit als Zivilrichter lange Jahre Vorsitzender Richter einer Strafkammer am Landgericht Karlsruhe, deutschlandweit bekannt geworden als Berufungsrichter im sogenannten „Autobahnraser-Prozess“. Über 20 Jahre stellte er in dem von ihm mitbegründeten Verein „Kunst im Landgericht“ in 40 Ausstellungen Werke von mehr als 100 Künstlern aus. Seit seiner Pensionierung lebt Kiwull in Deutschland und Spanien. Sein erster Roman „Die Trüffel-Connection“ (2016) war in der Startauflage nach nur wenigen Wochen vergriffen.
Harald Kiwull
Knall 2
Ein Richter-Krimi
Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.
wieder für Zottel
1
Ein leises, knirschendes Geräusch weckte mich. Ich hob den Kopf und blickte auf die Uhr. Es war Viertel vor fünf. Neben mir hörte ich die ruhigen Atemzüge von Felicitas. Der Mond warf einen schrägen, bleichen Lichtstreifen über das Fußende des Bettes auf die weiße Wand links von mir. Daneben schimmerte im Halbdunkel die leicht geöffnete Tür zum dunklen Flur. Ich horchte. Wieder ein Knirschen, irgendwo in der Wohnung.
Es war kalt im Zimmer. Ich zog die Wolldecke vom Fußende hoch. Plötzlich bemerkte ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Mir stockte der Atem. Ein Arm schob sich durch den schmalen Spalt in das Schlafzimmer. Eine Hand in schwarzem Lederhandschuh fasste den Griff der Tür und zog sie langsam, lautlos und gleichmäßig zu.
Ich schüttelte mich und kniff die Augen fest zusammen, öffnete sie wieder. Richtete mich weiter auf und starrte auf die Tür. Sie war jetzt geschlossen. Ein kalter Schauer fuhr mir über den Rücken.
Einen Augenblick verharrte ich entsetzt und regungslos, wie versteinert. Dann berührte ich leicht die Schulter von Felicitas, die aber nur etwas vor sich hin murmelte und weiterschlief. Ich packte sie etwas fester. Sie drehte sich verschlafen zu mir und wollte etwas sagen. Als ich ihr den Mund zuhielt, weiteten sich ihre Augen.
Leise flüsterte ich ganz dicht an ihrem Ohr: „Still! Sei still!“ Ich lauschte wieder einen Moment. „Es ist jemand in der Wohnung. Wirklich. Ich habe gesehen, wie die Tür zugezogen wurde.“
Sie sah erst mich erschrocken an, blickte zur Tür und flüsterte: „Das hast du doch geträumt!“
„Nein, nein, ich bin sicher. Da ist jemand“, antwortete ich leise. „Ich bin vollkommen sicher!“
Es war jetzt totenstill.
Ich schlug die Bettdecke zurück, schlich zum Fußende und drückte mein Ohr an die Tür. Kein Geräusch. Ich fasste die Klinke an. Felicitas hatte sich im Bett aufgerichtet und starrte her zu mir. „Bist du verrückt“, zischte sie. „Bleib hier. Du kannst nicht hinaus.“
Einen Augenblick blieb ich noch reglos stehen und überlegte. Dann versuchte ich, die Tür mit dem Schlüssel abzuschließen. Aber das Schloss war bei der letzten Renovierung überstrichen worden. Er ließ sich nicht bewegen. Von meinem Nachttisch nahm ich mein Schweizer Taschenmesser, klappte es auf und schob die Klinge als Keil unter die Tür in der wohl etwas verrückten Hoffnung, dass dem Einbrecher die Tür damit versperrt wäre. Felicitas war jetzt hellwach und beobachtete mich.
Ich lauschte erneut. Nichts.
Das Handy war natürlich wieder mal irgendwo anders, jedenfalls nicht auf dem Nachttisch.
Auf Zehenspitzen ging ich zu Felicitas und flüsterte ihr ins Ohr: „Wir klettern aus dem Fenster. Ich muss kontrollieren, ob die Wohnungstür oder die Rollläden auf der anderen Seite des Hauses aufgebrochen worden sind. Ob ich mich vielleicht doch getäuscht habe.“
Vor ungefähr zwei Monaten war ich aus dem Dachgeschosszimmer mit den schrägen Wänden des kleinen Ettlinger Hotels ausgezogen, das ich einige Monate bewohnt hatte. Nach der Trennung von meiner Frau war ich damals Hals über Kopf dorthin übergesiedelt. Und eigentlich und etwas überraschend hatte ich mich da oben ganz wohlgefühlt zwischen diesen merkwürdigen Mitbewohnern mit ihren eigenartigen Tagesabläufen und Nachtunruhen. Aber natürlich nicht als Dauerzustand.
Durch Zufall war es mir schließlich gelungen, eine gemütliche, ebenerdige Wohnung in einem alten, romantischen Haus am Hang im Vogelsang in Ettlingen zu mieten.
Kupfer, der Präsident des Landgerichtes, hatte damals im Vorbeigehen auf dem Flur zu mir gesagt: „Das wurde aber wirklich Zeit, Knall. Dass Sie da ausziehen. War ja langsam peinlich.“ Dabei hatte er mich ziemlich vernichtend angesehen.
Ich heiße Maximilian Knall, genauer gesagt Dr. Maximilian Knall und bin Richter am Landgericht Karlsruhe. Strafsachen seit vielen Jahren. Kupfer kenne ich schon lange Zeit. Wir haben ein gutes Verhältnis zueinander.
Vor dem Schlaf- und dem Wohnzimmer erstreckt sich ein kleiner Garten schräg hinunter zur Straße, genau so breit wie das Haus und zu beiden Seiten durch hohe Mauern begrenzt, die an das Haus anschließen. Es ist nicht möglich, direkt um das Haus herumzugehen.
Der Eingang ist nur von der Nebenstraße auf der anderen Seite des Hauses zu erreichen. Dort liegen auch die Küche und das Badezimmer.
Ich überlegte und schüttelte den Gedanken an den breitschultrigen, tätowierten Angeklagten ab, der mich am Dienstag, als er aus dem Sitzungssaal von zwei Wachtmeistern hinausgeführt wurde, drohend angeblickt und irgendetwas vor sich hin gemurmelt hatte. Seine drei finsteren Kumpane aus der letzten Reihe waren schon während der Urteilsbegründung lärmend rausmarschiert.
Leise machte ich die beiden Fensterflügel auf. Die kalte Luft ließ mich schaudern. Den Garten bedeckte eine dünne Schneedecke.
„Wir klettern hier raus. Ich muss auf der anderen Seite nachsehen. Es geht nicht anders.“
Felicitas stand inzwischen neben mir und blickte aus dem Fenster hinunter in den offenen, tiefen Kellerschacht, der sich unter uns über die gesamte Breite des Fensters erstreckte. Sie sah mich etwas ratlos an. Ich zeigte auf den dicken Ast der japanischen Zierkirsche vor uns, der schräg über den Abgrund ragte. „Wenn wir uns daran festhalten, wird es klappen. Ich halte dich.“ Feli öffnete den Mund und schloss ihn wieder.
Wir horchten beide noch einmal. Nichts.
„Okay, ich fange an“, sagte ich, umklammerte mit beiden Händen den Ast und kletterte über die Fensterbrüstung nach draußen. Schräg über dem Schacht hängend gelang es mir, die Füße auf die seitliche Begrenzung zu bringen und mich hinüberzuziehen.
„Also, jetzt du. Ich stütze dich.“ Felicitas griff mutig den Ast, schwenkte die Füße aus dem Fenster, und ich konnte ihr zu mir herüberhelfen.
Erleichtert sahen wir uns im kalten Licht des Mondes an. Plötzlich schauderte Feli und blickte entsetzt auf ihre Füße. Sie stand barfuß im Schnee.
„Holst du mir meine Hausschuhe“, bat sie und blickte mich flehentlich an.
Fassungslos starrte ich auf ihre Füße, die sie nervös hin- und herbewegte. „Ich glaub es nicht“, stieß ich hervor. Kurz entschlossen packte ich erneut den Ast, zog mich in die Fensteröffnung und krabbelte so lautlos wie möglich wieder hinein. Ihre komfortablen grünen Filzpantoffeln standen friedlich, parallel zueinander vor ihrer Bettseite. Ich warf sie ihr nach draußen zu.
Wieder im Garten, nahm ich sie bei der Hand. Wir gingen zusammen den kleinen Weg schräg hinunter, vorbei an den fünf links an der Mauer stehenden, kleinen Buchsbäumen mit ihren runden, weiß gepuderten Köpfen. In unseren Schlafanzügen, die bloßen Füße in Hausschuhen, traten wir durch das Gartentürchen hinaus auf die Straße, auf der eine jungfräulich unberührte Schneeschicht durchaus romantisch im Mondlicht glitzerte.
Als wir um die Ecke bogen, zuckte ich zusammen. Von der Straße führte über den kleinen Fußweg eine Trittspur zum Haus. Abdrücke von großen Männerschuhen im Schnee. Zum Eingang und wieder zurück. Feli trabte vor mir her, ohne dass es ihr auffiel. Ich entspannte mich