Die Bell’sche Ungleichung
Die meisten Quantenexperimente umfassen den einen oder anderen Versuchsaufbau zur Bell’schen Ungleichung. Dieses in der Quantenphysik berühmte Experiment führte John Bell durch, ein irischer Physiker, der eine praktische Messmethode entwickelte, die zeigt, wie sich Quantenteilchen wirklich verhalten.9 Bei diesem einfachen Test nimmt man zwei Quantenteilchen her, die einmal Kontakt miteinander hatten, trennt sie und misst dann beide. Diese Teilchen entsprechen einem Paar namens Daphne und Ted, die einmal zusammen waren, aber jetzt getrennt sind. Daphne kann sich entscheiden, eine von zwei Richtungen einzuschlagen, ebenso Ted. So, wie wir die Realität mit unserem gesunden Menschenverstand sehen, ist Daphnes Entscheidung völlig unabhängig von Teds Entscheidung.
Als Bell sein Experiment durchführte, erwartete man, dass eine der Messungen größer sein würde als die andere – als Ausdruck der „Ungleichung“. Doch ein Vergleich der Messungen ergab, dass beide gleich waren und so seine Ungleichung „verletzt“ wurde. Irgendein unsichtbarer Draht schien diese beiden Quantenteilchen über den Raum hinweg zu verbinden, der dafür sorgte, dass sie einander folgten. Seitdem ist Physikern klar: Wenn die Bell’sche Ungleichung verletzt ist, bedeutet das, dass zwei Dinge verschränkt sind.
Diese Ungleichung hat für das Verständnis des Universums enorme Konsequenzen. Indem wir die Nicht-Lokalität als natürliche Facette der Natur akzeptieren, erkennen wir an, dass zwei Grundpfeiler unserer Weltsicht falsch sind: dass Einfluss nur über Zeit und Raum hinweg stattfindet und dass Teilchen wie Daphne und Ted und wohl auch die Dinge, die aus Teilchen bestehen, nur unabhängig voneinander existieren.
Zwar nehmen moderne Physiker die Nicht-Lokalität mittlerweile als gegebenes Merkmal der Quantenwelt hin, trösten sich aber mit der Behauptung, dass diese merkwürdige, nicht einleuchtende Eigenschaft der subatomaren Welt nur für „Dinge“ gelte, die nicht größer seien als ein Photon oder Elektron. Sobald es um die Ebene der Atome und Moleküle gehe, die die Physik als „makroskopisch“ oder groß betrachtet, beginne das Universum sich wieder „anständig“ zu verhalten, nach den vorhersagbaren, messbaren Newton’schen Gesetzen.
Mit einem einzigen winzigen, daumennagelgroßen Kristall haben Tom Rosenbaum und seine Doktorandin diese Vorstellung zunichtegemacht. Sie haben gezeigt, dass große Dinge wie Atome nicht-lokal verbunden sein müssen, sogar in Materie, die so groß ist, dass man sie in der Hand halten kann. Nie vorher war die Quanten-Nicht-Lokalität in so großem Maßstab demonstriert worden. Obwohl die Versuchsprobe nur ein winziger Salzsplitter war, war sie für das subatomare Teilchen ein herrschaftlicher Landsitz, in dem 1 Million Billionen (1 000 000 000 000 000 000 oder 1018) Atome Platz hatten. Rosenbaum, der normalerweise nur sehr ungern über Dinge spekulierte, die er nicht erklären konnte, bemerkte, dass sie etwas Außergewöhnliches über die Natur des Universums entdeckt hatten.
Und ich erkannte, dass sie einen Mechanismus für Intention ausgemacht hatten:
Sie hatten gezeigt, dass Atome, die grundlegenden Bausteine der Materie, durch nicht-lokale Einwirkung beeinflussbar sind. Große Dinge wie Kristalle hielten sich nicht an die Spielregeln der großen Welt, sondern an die anarchischen Regeln der Quantenwelt, indem sie ohne erkennbaren Grund unsichtbar verbunden blieben.
Nachdem Sai ihre Erkenntnisse aufgeschrieben hatte, feilte Rosenbaum noch ein wenig an der Sprache und schickte den Artikel 2002 an Nature, eine Zeitschrift, die für ihre konservative Einstellung und ihre exakten Begutachtungen bekannt ist. Vier Monate nach den Anregungen der Rezensenten veröffentlichte Sai Ghosh ihren Aufsatz schließlich im weltweit bedeutendsten Wissenschaftsjournal, ein beachtliches Kunststück für eine 26-jährige Doktorandin.10
Einer ihrer Rezensenten, Vlatko Vedral, nahm das Experiment mit einer Mischung aus Interesse und Frustration zur Kenntnis.11 Als Jugoslawe, der am Imperial College in London studiert hatte, während in seiner Heimat der Bürgerkrieg tobte und das Land anschließend auseinanderbrach, hatte sich Vedral in seiner Wahlheimat ausgezeichnet und war ausgewählt worden, die Quanteninformationswissenschaft an der University of Leeds zu leiten. Vedral, groß und von seiner Erscheinung her einem Löwen ähnelnd, gehörte einer kleinen Wiener Gruppe an, die in der Quantenphysik an vorderster Front arbeitet, auch an der Verschränkung.
Vedral hatte als Erster theoretisch die Wirkung vorhergesagt, die Ghosh und Rosenbaum schließlich drei Jahre später gefunden hatten. Er hatte den Artikel 2001 bei Nature eingereicht, aber die Zeitschrift hatte ihn abgelehnt, da ihr Experimente lieber waren als Theorie. Schließlich gelang es Vedral, seinen Artikel in der renommierten physikalischen Fachzeitschrift Physical Reviews Letters zu veröffentlichen.12 Nachdem Nature entschieden hatte, Ghoshs Untersuchung zu publizieren, boten ihm die Herausgeber eine versöhnliche Geste an. Sie ließen ihn den Aufsatz rezensieren und boten ihm in derselben Ausgabe die Gelegenheit, seine Meinung zu den Erkenntnissen zu äußern.
In dem Artikel gestattete sich Vedral zu spekulieren. Die Quantenphysik gelte als die präziseste Methode, die beschreibe, wie aus Atomen Moleküle werden, so schrieb er, und da die ganze Chemie auf der Beziehung der Moleküle zueinander basiere und die Chemie wiederum die Grundlage der Biologie darstelle, könne die Magie der Verschränkung tatsächlich der Schlüssel für das Leben selbst sein.13
V. Vedral und zahlreiche andere Wissenschaftler in seinem Kreis glaubten nicht, dass diese Wirkung nur bei Holmium auftritt. Unsere wenig entwickelte Technologie ist das Hauptproblem dabei, Verschränkung aufzudecken. Diese Wirkung lässt sich momentan nur isolieren und beobachten, wenn man Atome in einer so kalten Umgebung verlangsamt, dass sie sich kaum mehr bewegen. Dennoch hatten mehrere Physiker Verschränkung der Materie bei 200° Kelvin oder – 100° Fahrenheit [das sind ca. – 73° Celsius, Anm. d. Übers.] beobachtet – eine Temperatur, die an einigen der kältesten Stellen auch auf der Erde vorkommt.
Andere Forscher haben mathematisch nachgewiesen, dass die Atome und Moleküle überall, selbst in unserem Körper, instantan, also zeitgleich, und unablässig Informationen austauschen. Thomas Durt von der Vrije Universiteit in Brüssel demonstrierte anhand eleganter mathematischer Formulierungen, dass fast alle Quantenwechselwirkungen Verschränkung hervorrufen, unabhängig von der inneren und äußeren Umgebung. Selbst Photonen, die winzigsten Lichtpartikel, die von den Sternen ausströmen, sind mit jedem Atom verbunden, dem sie auf ihrem Weg zur Erde begegnen.14 Verschränkung bei normalen Temperaturen scheint ein natürlicher Zustand des Universums zu sein, auch in unserem Körper. Jede Interaktion zwischen den einzelnen Elektronen in uns führt zu Verschränkung. Nach Benni Reznik, einem theoretischen Physiker an der Universität von Tel Aviv, sind wir von wogendem leerem Raum mit verschränkten Teilchen umgeben.15
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Der englische Mathematiker Paul Dirac, ein Begründer der Quantenfeldtheorie, postulierte als Erster, dass es so etwas wie das Nichts oder leeren Raum nicht gebe. Selbst wenn man alle Materie und Energie aus dem Universum herauskippte und den „leeren“ Raum zwischen den Sternen untersuchte, würde man eine „Unterwelt“ finden, in der es vor subatomarer Aktivität wimmelt.
In der Welt der klassischen Physik bezeichnet ein Feld einen Einflussbereich, in dem zwei oder mehr Punkte durch eine Kraft verbunden sind, etwa Schwerkraft oder Elektromagnetismus. Doch in der Quantenwelt entstehen Felder durch Energieaustausch. Nach Heisenbergs Unschärferelation besteht ein Grund dafür, dass man Quanten letztlich nicht erkennen kann, darin, dass ihre Energie in einem dynamischen Muster immer wieder neu verteilt wird.
Das Nullpunkt-Feld
Subatomare Teilchen werden zwar häufig als winzige Billardkugeln bezeichnet, jedoch ähneln sie mehr kleinen