Natürlich begegnete er auf diesen Erlenfahrten des öfteren auch der Katja Kaminski, die immer wortlos, ihn keines Blickes würdigend, an ihm vorüber galoppierte. Auch sie eine Siegerin, hatte sie sich doch durch ein Gerichtsurteil ein für alle Mal das Recht auf die Benutzung des Erlenwegs gesichert.
Zunächst fanden diese Erlenfahrten fast täglich statt. Dann, wenn andere sich um die frühe Nachmittagsstunde noch ein wenig aufs Ohr legten, ließ Igor anspannen und den Wagen dekorieren. Aber schließlich gingen diese Fahrten, wie auch die damit verbundenen Begegnungen an ihrer eigenen Monotonie zugrunde und wurden schließlich versteinerte Geschichte.
Der geneigte Leser wird nun, nach diesen Bemerkungen, besser verstehen, warum die Ankündigung, Katja Kaminski wolle dem Hause Alexandrowitsch einen Besuch abstatten, den Igor nicht schlafen ließ. Was mochte dieses Teufelsweib wollen, fragte er sich. Hat sie womöglich schon wieder einen Prozeß im Sinn? Aber diesen Gedanken verwarf er bald wieder, da er annahm, daß die Kaminski für diesen Fall ihn eher mit einem Papier ihres Anwalts überrascht hätte.
Am nächsten Tage nun, als die Zeit des Besuches heran gekommen war, lief Igor »gestiefelt und gespornt«, wie man so zu sagen pflegte, durch das geräumige Wohnzimmer. Zwar muß ich hier insofern eine kleine Korrektur anbringen, als er in Wirklichkeit keine Sporen angelegt hatte – denn er saß nicht mehr gern zu Pferde, weil er dies bis zum Überdruß beim Militär hatte tun müssen –, aber er hatte doch seine Breeches und seine braunen Stiefel angezogen. Zudem trug er eine dicke Joppe, was ihn wegen des schon beheizten Wohnzimmers bald ins Schwitzen brachte. Aber er wollte dieser Person – mochte man sie nun Dame, Canaille oder Hexe nennen – durch seinen Aufzug von vornherein deutlich machen, daß er für ein langes Geschwätz, oder gar Gezänk, kaum Zeit zu erübrigen hätte.
Als dann die Kaminski das Zimmer betrat, stellte sich heraus, daß auch sie mit Stiefeln bekleidet war. Aber was für ein Unterschied: Ihre zierlichen Füße steckten in feinen schwarzen Lackstiefeln, während Igors Stiefel, wegen seiner dicken Waden, ein Mehrfaches des Umfanges erreichten.
»Frau Kaminski«, nickte er ihr zu, »Sie sehen, ich befinde mich gerade im Aufbruch. Die Rammosers wollten, daß ich ihnen einmal bei der Steuerabrechnung zur Hand gehe …«
»Aber man darf sich doch setzten, Igor Alexandrowitsch?«, fragte sie, von unten auf seine massige Gestalt schauend.
»Selbstverständlich«, kam es aus Igor heraus, und er wies auf einen kleinen Sessel, der zusammen mit einem zweiten neben einem metallenen Rauchtischchen stand.
Katja hatte ihre jugendliche Gestalt bis in diese Tage hinein, da sie wohl um die sechzig Jahre alt sein mochte, erhalten. Als sie ihre kleine graue Pelzkappe abnahm, sprangen, so wie schon vor vielen Jahren, ihre langen schwarzen Haare hervor, die sie über der Stirn zu einem Pony geglättet hatte, und ihre dunklen Augen hatten nichts von ihrem Glanz aber auch ihrer unruhig umspringenden Aktivität verloren.
»Ihr seid doch sicher gekommen, um mir etwas zu sagen«, murmelte Igor, auf den das Erscheinungsbild der kleinen Person nicht ohne Eindruck geblieben war.
»Ich muß gestehen, daß ich nicht weiß, ob ich es Euch sagen soll, oder ob ich es Euch zu lesen geben soll …«
»Wie denn? Ist das so schwierig?«, fragte Igor, der sich auf so eine Andeutung keinen Reim machen konnte.
»Es handelt sich um einen Brief meines Vaters, den er vor vielen Jahren aus England meiner Mutter geschrieben hat. Ich fand ihn erst letzte Woche beim Aufräumen«, sagte Katja.
»Ja, aber was habe ich damit zu tun, Katja, – ääh – Ent-schuldigung – Frau Kaminski« …, verhaspelte er sich.
»Du kannst ruhig Katja zu mir sagen, – kannst mich auch duzen, – mußt ja nicht gleich schwarze Hexe zu mir sagen«, kam es aus ihr heraus.
»Entschuldigung, – aber damals …«
»Na gut, um es kurz zu machen: mein Vater hat dort über Dich – ich darf dann ja wohl auch Du zu Dir sagen – einige Äußerungen gemacht.«
»Aber ist es recht, daß Du mir davon Kenntnis gibst?«, fragte Igor.
»Das habe ich mir lange überlegt«, sagte Katja mit entschlossener Stimme, »Ich denke, daß es richtig ist; und damit ich nichts Falsches sage, lese ich Dir die Sätze, die Dich betreffen, vor«.
Damit holte sie aus ihrer kleinen Handtasche ein Couvert hervor und entnahm diesem einen zusammengefalteten Brief. Als sie ihn auseinander legte, blickten ihre schönen dunklen Augen Igor unverwandt an, so daß dieser verlegen auf seine Stiefelspitzen zu schauen begann.
»Also hier steht es«, begann sie. Und dann fortfahrend: »Eigentlich ist Igor Alexandrowitsch, wenn auch mitunter etwas jähzornig, ein gutherziger, wackerer Mensch, und gegen eine Verbindung mit Katja wäre im Grunde überhaupt nichts einzuwenden. – So, – jetzt ist es heraus, Igor. Nun wirst Du mich fragen, warum ich das hier vortrage. Dazu sage ich Dir: Ich habe ja jetzt unsere ganze Familie zu vertreten – oder das, was davon noch übrig ist –, deshalb wollte ich Dir nur damit sagen, daß mein Verhalten Dir gegenüber nicht dem der ganzen Familie entspricht. Ich wollte Dir nur deutlich machen, daß meine Eltern anders über Dich gedacht haben als ich. Du solltest nur eben diese Wahrheit wissen, Igor, eben die ganze Wahrheit. Das war der Grund für diese Eröffnung«.
Igor, der während des Briefzitates aufgesprungen war, schrie nun dazwischen: »Also das war es: verkuppeln wollten die mich …«
Jetzt sprang auch die Kaminski auf und ließ ihren Spazierstock aus einer beachtlichen Höhe auf die Fliesen des Wohnzimmers herabspringen, so daß es einen kurzen metallenen Knall gab.
»Niemand wollte Dich verkuppeln – schließlich gab es ja auch noch mich – ja glaubst Du denn, ich hätte mich verkuppeln lassen«, schrie jetzt auch die Katja Kaminski.
»Na, jedenfalls in meiner Familie wurden solche Verkupplungspläne nicht geschmiedet, – das kann ich mit Fug und Recht sagen«, entgegnete Igor, dabei jedes Wort einzeln betonend. Und gleichsam, als sei ihm ein ungeheuer wichtiger Gedanke gekommen rief er in voller Lautstärke:
»Sebastian, – Sebastian!«
Dieser war im Nu zur Stelle, hatte er doch ein wenig gelauscht, und wiewohl er auch nicht den vollen Sinn des bisherigen Gesprächs hatte erfassen können, so glaubte er doch, daß nun das eingetreten sei, was er befürchtet hatte und weshalb er auch von dem Empfang der alten Dame abgeraten hatte.
»Sebastian«, begann Igor, »nun hör mir mal zu und sage mir auf Dein Ehrenwort: Haben jemals meine Eltern – und Du kennst sie ja wohl ebenso lange wie ich – mir gegenüber geäußert, daß Katja, – also ich meine, daß hier die gnädige Frau für mich die rechte Frau wäre? Aber jetzt sag uns die Wahrheit!«
»Das nicht mein Herr, – aber …«
»Verflixt, was heißt das: Das nicht mein Herr, aber …?«
»Mein Herr, sie haben nie etwas Derartiges zu Ihnen gesagt,- das hätten sie sich ja auch wohl gar nicht getraut –, aber zu uns, ich meine zur Dienerschaft, da haben sie doch dann und wann etwas Ähnliches geäußert.«
»Ha-ha, ha-ha«, triumphierte jetzt die Kaminski und reckte den versilberten Knauf ihres Spazierstockes in die Höhe gegen Igor, jedes ha-ha damit betonend.
»Raus – raus!«, schrie Igor gegen Sebastian gewandt mit solcher Lautstärke, daß dieser sofort verschwand. Aber im gleichen Augenblick besann er sich – vielleicht auch weil er meinte, in Gegenwart einer Dame, und sei sie auch eine Katja Kaminski, zu heftig reagiert zu haben – und rief sogleich wieder:
»Sebastian, Sebastian«, und dieser, abermals in der Tür erscheinend, wußte gar nicht wie ihm geschah, als Igor eine »Entschuldigung« stammelte