Carrolls und McLarens Wege kreuzten sich zwangsläufig, da Carroll dem Laden in der Nummer 430 Platten zur Verfügung stellte. Wegen der dominierenden Stellung zog Let It Rock echte Arbeiterklasse-Teds an, die fanatisch ihren Lebensstil verfolgten, und ein paar blasierte Chelsea-Typen und verdrossene Teenager. Es gab einige Katastrophen, aber der Laden brachte Geld. Ermutigt beschlossen McLaren und Westwood zu expandieren: Im August 1972 stand ein großes Rock’n’Roll-Festival im Wembley Stadion bevor, und Malcolm ließ Hunderte von T-Shirts nach eigenem Entwurf drucken – Little Richard mit dem Slogan »Vive le Rock«.
Zu diesem Festival kamen 50.000 Leute, um Chuck Berry, Bill Haley, Screaming Lord Sutch und Billy Fury zu hören. Gekleidet in eine Leopardenfellmütze und einen Drape Suit mietete McLaren dort einen Stand, aber der Verkauf entsprach nicht seinen Erwartungen:
»Das einzige, was sich bei solchen Veranstaltungen verkauft, sind Hotdogs«, sagt Ted Carroll, der von McLaren 20 Pfund bekam, um auf den Stand aufzupassen. »Er hatte gerade so seine Kosten gedeckt und stand mit 500 oder mehr T-Shirts da.«
Abgesehen von der persönlichen Enttäuschung für McLaren, verschärften die Ereignisse auf dem Festival die Widersprüche des Rock’n’Roll-Revivals. Während einige, die sich von der ursprünglichen Energie des Rock’n’Roll angezogen fühlten, an der libertären Kultur der 60er teilgenommen hatten, bewahrten andere einen unerschütterlichen Konservatismus. Als ein stark geschminkter Little Richard eine Bemerkungen über Black Power machte und begann, sich auf äußerst tuntenhafte Weise auszuziehen, buhten ihn die Teds aus. Den einzigen neuen Acts auf dem Programm, Gary Glitter und MC5, wurde kaum der Luxus gestattet, eine eigene Haltung an den Tag zu legen.
Aufgrund dieser Konstellation stand McLaren den Post-Hippies MC5 näher als dem verbissenen Traditionalismus der Teds. In Wembley machte sich die Wirklichkeit hinter der revolutionären Metapher bemerkbar. Weit davon entfernt, die proletarische Vorhut zu sein, offenbarten sich ihm seine Kunden im Gespräch als langweilig und engstirnig. Das Rock’n’Roll-Revival war eine nützliche Auseinandersetzung gewesen, um den Schutt der Hippiekultur beiseite zu räumen, aber sowohl Malcolm als auch Vivienne mussten einsehen, dass der Rock’n’Roll-Kult noch verknöcherter war als die dekadente King’s Road-Kultur, die sie stören wollten.
Innerhalb der Religion, die Pop darstellt, waren die Teds die Fundamentalisten. Viele der Kunden von 430 waren Apologeten genau jener Gesellschaft, die McLaren und Westwood verabscheuten. Sie waren keine Randfiguren, sondern gemäßigt und extravagante Beispiele eines tief verankerten englischen Konservatismus. Von ihrem Aufzug einmal abgesehen erwiesen sich die Teds als normale Angehörige der Arbeiterklasse: Durch Gruppenzwang zu einer gewaltsamen Abneigung gegenüber allen getrieben, die anders waren. Im Gegensatz dazu lag McLaren und Westwood an der Idee von Minderheiten. Die Teds waren so englisch wie Fleischpastete und Rassismus: McLaren und Westwood ernährten sich vegetarisch und boykottierten südafrikanische Orangen.
»Malcolm war sehr enttäuscht«, sagt Ted Carroll, »aber durch den Umgang mit ihnen kam er auf Ideen. Weil es in Zusammenhang mit dem Teddy Boy-Ding viel Presse über den Laden gab, entwickelte er selber Vorstellungen darüber, wie die Presse und die Gesellschaft so etwas betrachten sollten. Er war ein heller Junge: Er lernte schnell. Zu jener Zeit erwähnte ich beiläufig, dass ich Thin Lizzy managte, und er fand das sehr spannend. Es war kein großes Ding für mich, weil die Band damals noch keinen Hit hatte, aber er wollte alles wissen.«
Jede Veränderung in 430 war ein allmählicher, ungeplanter Prozess. Im Spätsommer 1972 erhielt Let It Rock den Auftrag, die Ausstattungen für Ray Connollys »That’ll be the Day« bereitzustellen, dem ersten größeren britischen Film, der auf die 50er Jahre zurückblickte. David Essex und Ringo Starr trugen öffentlich Drapes und Leopardenfelljacken von Let It Rock. Als der Film in die Kinos kam, konkurrierte er mit anderen nostalgischen Rock’n’Roll-Stücken wie »Let the Good Times Roll«, der Bühnenversion von Grease, und dem Einflussreichen Film »American Graffiti«.
Langsam entwickelte sich die Kleidung weg von dem starren Ted-Konzept. Im Herbst schlich sich ein starkes Biker-Element ein. Seit den späten 50er Jahren war die schwarze Lederjacke des Motorradfahrers zum Erkennungszeichen für den jugendlichen Straftäter geworden: angsteinflößend, aber faszinierend. Biker – oder »ton-up boys« – waren in den späten 50er Jahren in Großbritannien Kult geworden: Sie waren die ersten, die nicht nur eine neue Mobilität feierten, sondern auch den Reiz reiner, zerstörerischer Geschwindigkeit, die mit dem Tod von James Dean Eingang in die Jugendkultur gefunden hatte. Bei Rennen rund um die North Circular Road bekämpfte man nicht nur den anderen Fahrer, sondern sich selbst. Wie es sich für existentialistische Gladiatoren gehörte, war ihre Kleidung sehr aufregend, teilweise sogar fetischistisch. Wie in dem Film »The Leather Boys« von 1964 deutlich wurde, diente sie auch als Maske für sexuelle Ambiguität.
Seit 1972 wurde der gepflegte Look der frühen Biker mit dem verwahrlosten Stil der Hell’s Angels gekreuzt. Biker, die jetzt Rocker hießen, wurden zum Inbegriff des schlechten Stils, seit sie sich mit den Mods in allen möglichen Seebadeorten offene Schlachten geliefert hatten. Dieser verfemte Stil wirkte auf McLaren und Westwood mit ihrer feinen Wahrnehmung subkultureller Veränderungen sehr attraktiv. Mehr als bei den Teds besaßen diese Klamotten selbst ein dramatisches Potential, das sich steigern ließ. Die Biker-Ausstattung verbindet Sexualität mit Gewalt und Tod zu einem Urbild des 20. Jahrhunderts.
McLaren und Westwood versahen zunächst Lederjacken auf dem Rücken mit Nieten. Dann beschäftigten sie sich mit Kleidungstechnologie und fanden eine Methode, um Glitzer auf Stoff zu drucken. Wenn man einen bestimmten Kleber benutzte, konnte man Slogans auf T-Shirts brennen: Sie nahmen das Logo vom Schlagzeug von Gene Vincents Blue Caps und übertrugen es auf enge, ärmellose T-Shirts. T-Shirts funkelten in blauem Glitzer, Namen wie Elvis, Eddie und Chuck Berry wurden hervorgehoben. »Dann hatten wir die Idee, Nieten auf T-Shirts zu befestigen«, sagt McLaren. »Wir wurden einfallsreicher und begannen, Namen bestimmter Marken von 50er Jahre-Motorrädern mit Nieten zu schreiben, Namen, die wie ›Triumph‹ und ›Dominator‹ auch sexuelle Konnotationen hatten.«
»Wir bekamen es mit einem Haufen Rocker zu tun: Einige davon waren wirklich gut darin, selbst Sachen für Kunden herzustellen. Ein Junge, den wir anstellten war brillant: er malte einen Slogan, der lautete: ›Too Fast to live, too Young to Die‹. Ein außergewöhnlicher Satz. Er sagte, es sei ein Slogan, den amerikanische Gangs nach dem Tod von James Dean als Hymne aufgegriffen hatten. Im Frühjahr 1973 entschieden wir uns, den Namen des Laden zu ändern. Für die Fassade ließen wir eine schwarze Reklametafel anfertigen, auf der ein weißer Totenschädel und die Worte ›Too fast to live‹ und ›Too young to die‹ aufgemalt waren.«
McLaren und Westwood gingen weiter rückwärts in die Zukunft. So weit sie bei den Musikern, die in den Laden kamen – Jimmy Page, Marianne Faithfull, den Kinks – sehen konnten, gab es wenig wirklich originär Neues in der Popkultur, das in derselben nostalgischen Mine schürfte wie sie. Wenn es Vorboten eines neuen Zeitalters gab, oder sogar Musiker, die auf die ursprüngliche Intensität zurückgriffen, dann haben weder McLaren noch die Kultur im weiteren Sinne dies bemerkt. Als Iggy Pop und James Williamson mitten während der Aufnahmen von »Raw Power« 430 besuchten, verachtete McLaren sie als schmuddelige Hippies.
Die Kleidung ging bis in die 40er Jahre zurück und landete allmählich bei der Zoot-Suit-Mode, die das Paar für die Wurzel des Rock’n’Roll-Stils hielt. »Die Oberfläche des Teddy Boys steckte voller Rassismus, deshalb sind wir bis zu den schwarzen Wurzeln zurückgegangen. Wir schneiderten großzügig geschnittene Hosen, gepolsterte Schultern und zweireihige Jacketts, aber wir taten es mit Gespür. Es war beinahe authentischer als authentisch«, erklärt Vivienne.
In den frühen 40er Jahren war der Zoot Suit als Markenzeichen