»Die Künstler, die Punk geschaffen haben«, sagt der Drehbuchautor Johnny Gems, »waren Malcolm und Vivienne, und sie haben ihn auf diese 60er Jahre Kunstschul-Weise geschaffen. Die ganze Revolution, Anti-Materialismus, Yippie, Pro-Minoritäten.« »Vivienne wusste wenig darüber, dass sich Malcolm nicht für die Revolution engagierte«, meint Robin Scott, »er engagierte sich für sich selbst, und sie hat lange gebraucht, um das zu erkennen.«
Im Sommer 1969 hatte sich Malcolm in eine Position manövriert, in der er Ärger verursachen konnte. In der Woche vor dem riesigen Rolling Stones Konzert im Hyde Park redete Malcolm so lange von einem kostenlosen Festival in den Goldsmith-Gebäuden, bis es stattfand. Robin Scott, der zu jener Zeit mit einer Gruppe arbeitete, die Mighty Baby hieß, und Fred Vermorel, der einen Vortrag mit dem Titel »Alles an einem Arbeitstag« halten sollte, standen auf dem Programm. Am letzten Tag sollte eine Diskussion mit »R.D. Laing, William Burroughs, Alex Trocchi, Michael X, Jim Dine, Hausbesetzern, radikalen Studenten und Arbeitern stattfinden.« Andere, die noch nicht zugesagt hatten, waren »Pink Floyd, das Living Theatre, die Rolling Stones und John Lennon«.
Keiner von ihnen kam, auch nicht die weniger bekannten Leute auf dem Programm. Fred Vermorel erinnert sich an das Festival als ein legendäres Desaster: »Kaum eine der Bands, die angekündigt waren, erschien, und in dem daraus entstehenden Chaos wurde die Polizei gerufen und ein Mini-Aufstand entwickelte sich.« Malcolm jedoch erinnert sich daran wie an einen großen Erfolg, sein Vorgeschmack auf das Showbiz. Er lernte einen altmodischen karnevalartigen Hype zu schätzen: Welche Rolle spielt schon die Wirklichkeit, wenn man Eindruck schinden kann? Die darauffolgenden Ereignisse machten deutlich, dass eine Katastrophe ebenso interessant sein konnte wie Erfolg.
Malcolms wichtigstes Projekt in Goldsmith war der »Oxford Street Film«, an dem er mit Helen Mininberg und Patrick Casey arbeitete. Er hatte sich gerade mal wieder von Vivienne getrennt, heiratete 1969 eine türkisch-französische Jüdin, Jocelyn Hakim: »Sie brauchte eine Aufenthaltsgenehmigung«, sagte er, »wir heirateten im Standesamt von Lewisham. Wir hatten keine Ringe, also musste ich rausrennen und welche aus einem Kaugummiautomaten besorgen.« Mit den 50 Pfund für die Hochzeit wurde der Oxford Street Film begonnen, zog sich dann aber wegen Geldmangels und dem Fehlen einer klaren Idee über achtzehn Monate ziellos dahin, bevor er unabgeschlossen liegenblieb. Außer ein paar Negativrollen ist vom Film nichts mehr erhalten, dennoch wird anhand der Liste der Einstellungen und des Drehbuchs eines deutlich: Wenn es eine Arbeit aus Malcolms sprunghafter Kunstschullaufbahn gibt, die man als Vorläufer der Sex Pistols bezeichnen könnte, dann wäre es dieser Film. In einer der vielen Synopsen für den Film bemerkt ein alter Mann: »Ich würde heute nicht geboren werden wollen, alles ist so teuer, alles so trist. Die Kinder haben keine Zukunft.«
Der Film über die Oxford Street begann als ein Stück pro-situationistischer Psychogeographie auf der Hauptverkehrsstraße des Konsums, die noch immer als lebendiges Beispiel für alles, was an der Zivilisation falsch ist, betrachtet werden kann. Konsum und seine neuen Tempel, die Kaufhäuser, waren damals faszinierende Objekte einer chiliastischen Linken. Beispielsweise begrüßte die deutsche Kommune 1 auf einem Flugblatt in sarkastischer Weise den Brand im Brüsseler Kaufhaus »A L’innovation« am 22. Mai 1967, Black Mask und King Mob veranstalteten verschiedene Aufruhraktionen, und 1968 legten Baader und Ensslin Brandbomben in zwei Frankfurter Warenhäusern.
Die Fotos, die Malcolm und Helen als Leitfaden für die 16mm Gesamtlänge aufnahmen, stellten eine Art Manifest dar: eine unmenschliche Landschaft, voller geheimer Zeichen. Hier überreden die Kaufhausangestellten die Kunden, wie Mannequins auszusehen; der leere öffentliche Raum wird beherrscht von zerstörerischem Verkehr; Passanten werden von einer vergrößerten Pistole auf einem Kinoplakat bedroht; bestrumpfte Mannequinbeine repräsentieren eine sterile Sexualität; überall stehen monolithische Bürohochhäuser.
Die Filmemacher interessierten sich auch für die Flüchtigkeit der Oxford Street: die Taschenspielertricks, mit denen Kunden geblendet werden. Ein Treatment vom Mai 1970, an dem Malcolm und Jamie Reid arbeiteten, konzentriert sich auf die Entfremdung durch die Mode: Der Film beginnt in den Innenräumen von Mr Freedom, mit einem TV-Bildschirm, auf dem die Bedeutung weiblicher Mode in der Gesellschaft und als Geschäft herausposaunt werden. Frustration und Klaustrophobie bauen sich auf, in den Geschäften und in der U-Bahn. Vor einem Fenster mit der Aufschrift HOLIDAYS wird ein junger Mann bis zur Bewusstlosigkeit zusammengetreten. Der Film endet mit einer großartigen Parade der Londoner Kaufhäuser. Mitten in diesem Spektakel ist eine Szene aus der situationistischen Dämonologie zu sehen: »Man sieht Rauch aus einem Gebäude aufsteigen, ein Restaurant brennt. Die Prozession hält an.«
Ein letztes Drehbuch vom Mai 1971 verfolgt einen anderen Kurs. Dieses Mal gibt es einen Star – eine echte Attraktion, die aus dem Film keine Revolte, sondern eine Hommage macht. Zur alten Struktur kommt überall Pop hinzu: Die Vorsitzende des Billy-Fury-Fanclubs spricht über ihr Idol, während ein Kiosk auf der Oxford Street »den Glanz der Reklametafeln zur Schau stellt.« Der Kommentar wird von einem Neunjährigen mit quietschender Stimme gesprochen. Im Delphinarium auf der Oxford Street »vollführen Delphine dumme Kunststücke«. Presseausschnitte stellen kommerzielle Reklame willkürlicher Gewalt gegenüber.
In einem letzten verzweifelten Brief an seinen Tutor hofft Malcolm auf die Finanzierung durch Larry Parnes, den Manager von Billy Fury. Irgendwann im Juni 1971 war die Sache ad acta gelegt. Es war Zeit für ein Leben außerhalb des Elfenbeinturms. Innerhalb von sechs Monaten wechselte Malcolm Identität und Betätigungsfeld: Er nahm den Namen seines verschwundenen Vaters an und war nun Malcolm McLaren, Rock’n’Roll-Couturier, Modeschöpfer und Händler. Die Warnungen der Angry Brigade ignorierend, die in ihrem Communique zum Anschlag auf Biba 1971 erklärte, dass »die Mode im Kapitalismus nur ein rückwärtsgewandtes Element sein kann«, begann McLaren »authentische« 50er-Jahre-Mode an eine kleine, aber wählerische Kundschaft zu verkaufen. Warum dieser Wandel?
Spätestens im Sommer 1971 war aktive situationistische Politik gefährlich geworden: Der Mitgliedschaft in der Angry Brigade verdächtigte Personen wurden von Detective Inspector Roy Habershon verhaftet, der eine zerfledderte Ausgabe von Die Gesellschaft des Spektakels als Handbuch benutzte. Der Prozess war eine langwierige Angelegenheit. Von der Verhaftung bis zur Verurteilung im Dezember 1972 vergingen mehr als 18 Monate. Während dieser Zeit wurde die Boulevardpresse ständig mit Berichten und eindrucksvollen Fotos eines inneren Feindes versorgt, der ausgemerzt werden musste.
Der Wirtschaftsaufschwung nach dem Krieg war im Juli 1966, als eine sechsmonatige Lohnsperre erlassen und das Pfund abgewertet wurde, zum Stillstand gekommen. Es begann der lange Niedergang: 1972 lag die Inflation bei 13 Prozent, und im Januar diesen Jahres überstiegen die Arbeitslosenzahlen zum ersten Mal seit den 30er Jahren die Millionengrenze. Die politische Stimmung spiegelte dies wieder. Im Juni 1970 wurde zum ersten Mal seit sechs Jahren eine konservative Regierung unter Ted Heath gewählt: Sein Markenzeichen war ein neuer, harter »Realismus«, was sich schon auf dem Parteitag der Tories im Januar 1970 im Selsdon Park Hotel angedeutet hatte. Wie Hugo Young in seiner Biographie über Margaret Thatcher bemerkt: »Der Selsdon-Mann wurde durch die Labour-Rhetorik lebendig: ein haariges, urzeitliches Tier, das damit droht, alle Errungenschaften, die der Sozialismus in der britischen Gesellschaft nach dem Krieg hervorgebracht hatte, bei lebendigem Leibe zu verschlingen.«
Die ersten Risse im Nachkriegskonsens wurden sichtbar, der sowohl von Labour als auch den Konservativen kräftig gefördert worden war. Das Pendel entfernte sich von der sozialen Liberalisierung, die seit den frühen 60er Jahren den Ton angegeben hatte. Nirgends wurde das deutlicher als im Begriff der »tabufreien Gesellschaft«, den Mrs Whitehouse für die 60er Jahre geprägt hatte.
Von 1970 an gab es eine Flucht aus der Untergrundgemeinde. Viele neue Ideen, die dort entstanden waren, wurden institutionalisiert. Hausbesetzer wurden Hausbesitzer; lokale Aktivisten wurden Leiter von Abenteuerspielplätzen; Utopisten traten in die Labour Party ein. Viele schlossen sich autoritären, östlich-religiösen