»Vegetarier werden hier kaum glücklich werden«, weiß der weise Bier- und Landschaftskundschafter, und er weiß obendrein: »Für den Wanderer mit Auto ergeben sich schnell Promilleprobleme.« Deshalb bleibt er, wandern hin, wandern her, vielleicht doch besser und lieber in einem jener Wirtshäuser hocken, über die Herrmann die herrliche Information preisgibt: »Täglich von früh bis abends geöffnet. Kein Ruhetag, keine Ferien.«
132 Dreier
Breiter könnte das Grinsen kaum sein, das M. A. Numminen, hinter einem Billardtisch stehend, zur Schau trägt. Ehrlicher könnte es auch nicht sein. Der »Helge Schneider von Finnland« (SWR), studierter Philosoph und Soziologe, Musiker, Entertainer und Autor, ist, davon durfte ich mich mal einen ganzen Tag lang persönlich überzeugen, ein grundsympathischer, sanftmütiger und an praktisch allen Dingen der Menschenwelt interessierter Komiker. Jede Bosheit, jeder Anflug von Misanthropie scheint ihm fern.
Hier, auf dem Umschlagphoto des endlich auf deutsch erschienenen Buches Der Kneipenmann (Frankfurt/Main 2003), sehen wir jenen Schelm, der nicht nur in Finnland durch eine gnadenlos virtuose Wittgenstein-Suite (jetzt unter dem Titel Numminen sings Wittgenstein ebenfalls bei Zweitausendeins erhältlich) oder den Roman Tango ist meine Leidenschaft zu Ruhm gelangte. Und wir sehen ihn dort, wo er sich offenbar am liebsten rumtreibt: in einer typischen finnischen Bierbar, in der seit 1969, anders als in Norwegen und Schweden, das sogenannte Dreierbier ausgeschenkt werden darf.
Das Dreier hat einen Alkoholgehalt von 4,5%, und es wird von all jenen verschmäht, die meinen, etwas Besseres zu sein, und daher Wein und Starkbier saufen. Numminen hingegen schätzt die kleinen Leute, die Arbeiter, Arbeitslosen und Rentner, die die Dreierbars bevölkern. Deshalb unternahm er eine 20.000 Kilometer lange Exkursion durchs ganze Land und machte sämtlichen 350 finnischen Bierschenken seine Aufwartung.
132 von ihnen widmet sich sein von zärtlicher Anteilnahme und humanem Wohlgefühl durchwehter Bericht. So knapp die Texte gehalten sind, so erwärmend wahrhaftig wirken die Protokolle der teils konfusen, teils anheimelnden Gespräche zwischen Menschen, die in Tankstellenbars und Lokalitäten von fürchterlichem finnischen Aussehen und mit Namen wie Jungrentierbulle oder Himmel-Wald-Einöde einfach schön trinken und sich etwas erzählen.
Numminens soziologische Aufmerksamkeit und sein unermüdlicher Drang auf der Jagd nach der »eisernen Reserve« – Kaffee, Krapfen und Bier – lassen ihn hier nicht so sehr als »anarcho-dadaistisches Gesamtkunstwerk« (Berliner Zeitung) auflaufen, sondern als Parteigänger der staatsfernen Schwadroneure, Kommunisten und Gescheiterten. Und obschon es zu slapstickartigen Situationen kommt (Numminen hobelt trotz schier berstender Blase zunächst ein weiteres Dreier runter, weil er die Schwemmentoilette nicht aufsuchen will, ohne dem Wirt vorher einen anständigen Obolus entrichtet zu haben), enden viele der Geschichten ohne falschen Pointenhackerhabitus, nämlich zum Beispiel vorbildlich so: »Numminen trinkt seinen Krug aus und schiebt eine Pastille hinterher.« Respektive »ein paar Flaschen Dreierbier als Sedativ«. Denn »Numminen trinkt Bier und überläßt sich seinen Gedanken.«
Das genügt.
Blond und blau
Wenn die Schönheit nach der aristotelischen Einheitslehre eine Handlung, einen Ort und eine Zeit braucht, um als solche wirklich zu werden und wahrlich eine wahre Schönheit zu sein, die unser Gemüt läutert und gegebenenfalls, was noch besser wäre, aufreizt und anheizt – dann muß sie, die Schönheit, sich eigentlich nur in den Odenwald begeben oder, das stimmt vielleicht eher, ebenda gewissermaßen ereignen.
Ein ordentlicher, plausibler sommerlicher Landregen näßt Wiesen, Buschgruppen und Laubwälder, und dort, wo der Odenwald am einleuchtendsten ist, mittendrin und rund um den in seiner bayerischen Variante abscheulichen, hier aber durchaus begrüßenswerten Ort Fürth, dehnt sich danach auch der Himmel besonders weich und wolkenverspielt und läßt sein gelbes Licht gutmütig über die Gräser streichen.
Eine Zeit hätten wir also, den Frühsommer mit seinen angenehm frotzeligen Wetterverhältnissen. Wie halten wir es mit dem Ort im engeren »Sinn« (G. Schröder)? Da greifen wir nicht ganz zufällig das Gasthaus Eselsmühle am Ortseingang von Fürth-Ellenbach heraus. Die Wiese hinter der 1998 eröffneten Gaststätte weitet sich schon unglaubhaft herrlich in den Odenwälder Naturraum hinein, der Schlierbach mit quasi direktem Meeranschluß via Rhein und sonstige Gewässer gluckert durch die Gegend, und auf der Terrasse imponiert eine synästhetisch hochkorrekte Ansammlung wasserblauer Stühle und Sonnenschirme (inklusive Regenabweiserfunktion).
Wer handelt nun da – und wie? Es sind dies Gine und Hajo Becke, die die ehemalige Ölmühle, die vor geraumer Zeit durch einen seitens des Müllers inständig und ganztägig praktizierten Verzehr alkoholischer Waren »die Bachgass’ runtergegangen« war, zum makroregionalen In- und Outdoor-Place und Meeting-Point Nummer eins um- und ausgebaut haben. Der Zappa-Plattenhorter und -hörer bäckt selber Sauerteigbrot, und zusammen mit seiner Frau verantwortet er einen mörderischen Kochkäse (den man übers Schnitzel gieße!) sowie eine schwerlich überschaubare Palette zum Teil balinesisch veredelter HiFi-Gerichte, etwa eine Hühnerbrust in »Kokosnußcurryzitronengrascurcumatamarindensauce«. Im übrigen, Hajo Becke besteht darauf, das kurz zu erwähnen, führe man auch »eine Tasse Kaffee« – nebst, ergänzen wir gern, über hundert Single Malts, einem pfälzischen Vizeweltmeisterwein halbtrocken, Grappas von Nonine und Ludwigshafener Mayer-Bier, das der alte Esel Dr. Kohl weder in seiner behämmerten Geburts- und Wohnstadt noch, Gott sei gepriesen, im indonesisch-modern eingerichteten Gastraum der Eselsmühle verdrückt.
Draußen quaken und hantieren rund um eine gravitätische Linde diverse Senioren- und Familientrupps, gemischte Zusammenkünftler und anderweitige Einzelgestalten herum; und eine blonde Bedienung, die unzweifelhaft schönste Frau im Odenwälder Verzahnungsgebiet Bayern/Baden-Württemberg/Hessen.
»Hier ist es immer so ekelhaft entspannt«, meint ein Stammgast. »Blau, blau, blau ist der Sonnenschirm«, rumpelt derweil das unter Zugabe eines Haselnußgeistes oder eines Zitronenbirnenbrandes gentil wegrutschende Hirn, ja, »blau, blau, blau blüht die Bierblume, holdiglich hell, olé!«
Terrassiertes Terrain
Für den automobil Herumreisenden in Sachen Wirtshauswesen dürfte es sich prinzipiell schicken, südwestlich von Würzburg über die Siegfriedstraße einen neuerlichen und hartnäckigen, ja verbohrt erfolgsverliebten Auffindungsversuch zu unternehmen, einen weniger strategisch angelegten als eher der sommerlichen Free-Mind-Gesinnung und also Aleatorik gehorchenden Erkundungsversuch, der zwar nicht Großrinderfeld oder Tauberbischofsheim, aber dann bereits Königheim, Schweinberg oder – in harter Annäherung an den Odenwald vom Bayerischen her, das hier mit seinen weiten Weizen- und Gerstenfeldern fast ein bißchen amerikanisch anmutet – schließlich das einstige Limes-Städtchen Walldürn zum Ziel hat; respektive Schneeberg vor Amorbach, der bloßen namensmagischen Erfrischungsversprechen in jederlei Beziehung wegen.
Und weil die Sätze, insbesondere nach langer Fahrt, auch mal kürzer sein können, kommt jetzt ein ziemlich kurzer: Realiter fündig wird man wirtshausspezifisch in Boxbrunn. Erst. Das mag an der Abschottung der in Bayern gewöhnlich von Umgehungsstraßen großzügig umgürtelten Landortschaften liegen, was dem Fremden das Vordringen in Gasträume welcher Art auch immer nicht unbedingt erleichtert, beziehungsweise und folglich daran, daß der Bayerische Hof in Boxbrunn direkt an der B 47, der Nibelungenstraße, herumsteht, im Grenzgebiet des Bayerischen Odenwaldes, vermutlich sogar exakt zwischen Amorbach und Michelstadt, aber das müssen andere ausmessen.
Da liegt er halt, der Bayerische Hof. Man bremst, man parkt vor dem Haus, und man sitzt im Biergarten, allein, in einem Straßengarten an einem Samstagspätnachmittag, auf einem schlicht terrassierten Terrain.