Weltkrise und Ignoranz. Robert Kurz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Robert Kurz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783862870646
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der Prozeß der ökonomischen Verwertung zu erschöpfen beginnt. Der Prozeß geht weiter, aber nur noch als negativer, als Krisenprozeß, der nicht mehr positiv mit Hoffnungen besetzt werden kann.

      Die technische Entwicklung wird unvereinbar mit der modernen Metaphysik des Geldes. Aber vor dieser Stufe der Reflexion schreckt das moderne kritische Denken zurück, weil es damit seine eigenen Grenzen überwinden müßte. Ausgerechnet in dem Augenblick, in dem der reale Totalitarismus des Geldes die Wirklichkeit umfassend wie nie beherrscht, wird die gesellschaftskritische Theorie selber in ihrem Anspruch als totalitär denunziert. Sie hat ihre Schuldigkeit getan, aber jetzt soll sie das gesellschaftliche Ganze gerade in seiner Krise in Ruhe lassen. Der reale gesellschaftliche Widerspruch, der in der bisherigen Weise nicht mehr bewältigbar ist, soll einfach aus dem Denken verbannt werden. Das dunkle Ende der modernen Entwicklung wird absurderweise gefeiert als Übergang zu einem »illusionslosen Pragmatismus«. Zusammen mit der Gesellschaftskritik hört das reflexive Denken überhaupt auf.

      Die Reflexions-Intelligenz verschwindet. Aber die Funk­tions-Intelligenz hat nicht gesiegt, sondern sie ist bloß verwaist. Weil sie von der theoretischen Reflexion zwar der Kritik ausgesetzt wurde, dabei aber immer auch Orientierung und damit neue Legitimation bezog, wird das Ende ihres strukturellen Gegenpols zu ihrer eigenen Krise. Die Funktions-Eliten laufen ins Leere, ihr Funktionieren kann die Krise der Realität nicht mehr bewältigen und endet in der Groteske. Aber das fällt gar nicht auf, weil auch das Alltagsbewußtsein in einen völlig reflexionslosen Zustand übergegangen ist. Die vielgerühmte Fähigkeit des modernen Individuums, sich selbst zu reflektieren, »neben sich« zu treten und das eigene Tun gewissermaßen virtuell von außen zu betrachten, löst sich zusehends auf. Diese Fähigkeit verschwindet, weil sie an die positive Entwicklung der modernen Gesellschaft gebunden war. Gerade an ihrem Ende ist diese Gesellschaft auf gespenstische Weise eins zu eins mit sich identisch geworden. Die postmodernen Generationen ver­stehen schon die Begriffe der Reflexion nicht mehr, die ihnen innerhalb weniger Jahre so fremd geworden sind wie der Totenkult des alten Ägypten. Sie sind das, was sie sind, und sonst gar nichts. Sie sind unmittelbar identisch mit ihrem banalen Tun, je unmöglicher dieses Tun wird.

      Die Krise der Realität wird von der Postmoderne verdrängt, indem sie versucht, an die Stelle der Gesellschaftskritik ein simuliertes Recycling des vormodernen Bewußtseins zu setzen: Die abgerüstete Philosophie möchte ganz unschuldig zurückkehren zu den antiken Paradigmen von »Ethik« und »Lebenskunst«. Aber sie vergißt, daß die gesellschaftlichen Voraussetzungen dieses Denkens gar nicht mehr existieren. Die vormoderne unkritische Denkweise war nur möglich unter der Bedingung, daß die Gesellschaft statisch in sich ruhte und das reflexive Denken nicht etwa gleich Null, sondern auf eine göttliche Weltordnung bezogen war. Es gibt kein Zurück zu dieser Bedingung. In seinem Endstadium wird das moderne System daher zur ersten völlig reflexionslosen Gesellschaft der Geschichte. Mit der Fähigkeit zur Selbst­reflexion verliert es eine Grundbedingung menschlicher Existenz. Eine Gesellschaft, die nur noch funktioniert, ist keine menschliche mehr und kann schließlich auch nicht mehr funktionieren. In einer leeren Bewegung, die jeden übergeordneten Sinn und jedes Ziel verloren hat, muß das normative Denken der »Ethik« wirkungslos verpuffen, weil es in nichts mehr verankert ist. Und die Philosophie vom »gelungenen Leben«, vom individuellen Menschen als »Kunstwerk« seiner selbst, wird zur traurigen Farce, weil sie die Krise der modernen Metaphysik ignoriert. Sie proklamiert sich als »postmetaphysisches« Denken, obwohl die reale gesellschaftliche Metaphysik der Moderne unbewältigt bleibt. Die postmoderne Selbst-Ästhetisierung findet in einem brennenden Haus statt.

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