Auch in Münster freuten sich Punks und Psychobillys auf eine Riesensauerei, denn Anfang März trat die Band im legendären Odeon an der Frauenstraße auf. Die Wartezeit bis zum Einlass vertrieben sich die Konzertbesucher damit, sich auf der Straße vor dem Club schon mal gegenseitig mit Mehltüten zu bewerfen. Anwohner, die nicht über den aktuellen Musiktrend aus England auf dem Laufenden waren, riefen die Polizei. Die kam und wurde ebenfalls großzügig bestäubt.
Die Lage konnte aber entschärft werden, weil sich die Lebensmittelschlacht nun durch den Konzertbeginn in den Club verlagerte. Dort ging es vom ersten Lied an zur Sache: Die Band duschte das Publikum mit Farbe und Wasser; das Publikum warf Mehl und Eier zurück. Ein Fan schilderte hinterher:
»Alles hat in einer Pampe gewogt – es war phantastisch!«
Weniger phantastisch war für viele Besucher, dass sie ihre gesamten Klamotten anderntags in die Mülltonne werfen und die zementartig verklebte Haarpracht nur noch abrasieren konnten.
Die Clubbetreiber hatten zwar vorgesorgt und den Saal mit einer Plane ausgelegt, doch die blieb wirkungslos. Die Reinigungskraft brach angesichts der Schlammmassen vor Verzweiflung in Tränen aus.
Volle Deckung, Mehl im Anflug! King Kurt verwandelten die Frauenstraße in eine Schlammschlacht.
In dieser Woche im Jahr 1938 …
… flog der falsche Graf auf.
Die Berliner Gestapo informierte Münsters Gauleitung über folgenden Fall: Der Leiter der Münsteraner katholischen Knaben-Mittelschule war in Berlin verhaftet worden.
Er hatte sich als »Dr. Dr. h. c. Lutz Graf von Bothmar« ausgegeben und war mit einigen hohen Tieren aus Staat und NSDAP durch Berliner Nachtlokale gezogen, wo er »erhebliche Geldbeträge verausgabte«.
Er gab sich als ehemaliger Garde-Kavallerieoffizier aus und zeigte seinen Saufkumpanen bei jeder Gelegenheit den Orden »pour le merite« und das Eiserne Kreuz I. Klasse, die er allerdings bei einem Trödelhändler gekauft hatte – der »Hauptmann von Köpenick« lässt grüßen …
Die Ermittlungen ergaben, dass der falsche Offizier 30.000 Reichsmark aus der Kasse der Münsteraner Klosterbrüder unterschlagen hatte. Um nicht aufzufliegen, fälschte er fortgesetzt Belege.
Aufgegriffen wurde er in einem berüchtigten Berliner Bordell, das als Massagesalon getarnt war. Hier hatte er gemeinsam mit einem Generalstaatsanwalt und einem Landgerichtsrat die Puppen tanzen lassen.
Die Gestapo zog daraus den Schluss, dass der falsche Graf vom Münsteraner Klerus nach Berlin geschickt worden war, um dort zu sondieren, welche Repressalien das NS-Regime gegen die Kirche plante.
Der Verdacht konnte aber nicht bewiesen werden. Das Schicksal des Hochstaplers ist unbekannt …
Mit Münsters Klosterkasse dicke Hose in Berlins Rotlichtszene der 1930er – wie hier im legendären »Salon Kitty«.
In dieser Woche im Jahr 1960 …
… Kalter Krieg: Münsterland vs. Moskau.
Am 5. März 1946 verkündete Englands Kriegshaudegen Churchill, dass sich ein »Eiserner Vorhang« in Europa gesenkt habe, und zwar »from Stettin to Triest«. Ein Jahr später erschien in den USA das Buch »The Cold War«. Damit hatte die Ära des Kalten Krieges ihren Namen!
Der Kalte Krieg der Machtblöcke in Ost und West betraf auch das Münsterland.
Die NATO-Strategen erwarteten hier einen Vorstoß der DDR-Streitkräfte zu Zielen an Rhein und Ruhr. Darum wurde im Münsterland militärische Vorsorge getroffen.
Die A43 bei Dülmen wäre im Kriegsfall durch eine schnell demontierbare Mittel-Leitplanke zur provisorischen Start- und Landebahn für Jagdflieger umfunktioniert worden. Die Flieger waren in Rheine stationiert und übten über dem Münsterland ihre Manöver. In der Schirlheide bei Ostbevern lagerten Raketen, am Schöppinger Berg atomare Sprengköpfe, in Hopsten Atombomben. Bei Saerbeck entstand eines der größten Munitionsdepots in Westdeutschland.
Zudem kennzeichnete die Bundeswehr in Westdeutschland alle Brücken mit gelben Hinweisschildern für die »Militärische Lastenklasse«. Darauf ist angegeben, bis zu welchem Gewicht ein Panzer oder LKW die Brücke überqueren darf und ob der Verkehr in beide oder nur eine Richtung rollen darf. Mit dem Zerfall der Sowjetunion und der deutschen Wiedervereinigung war der Kalte Krieg vorbei. Im Rahmen des »2 + 4-Vertrages« wurde festgelegt, dass die neuen Bundesländer nicht mit den gelben Panzerschildern bestückt werden durften. Die Schilder sind daher das letete Relikt der Teilung im öffentlichen Raum.
Relikt des Kalten Krieges: Die Promenade am Zoobad ist für Panzer über 16 Tonnen nicht befahrbar.
In dieser Woche im Jahr 1820 …
… fand der Prozess gegen die Seherin statt.
Anna Katharina Emmerick wurde bei Coesfeld geboren und trat mit 28 Jahren in das Augustinerkloster in Dülmen ein. Doch das Kloster wurde bald darauf säkularisiert und Emmerick wurde Haushälterin bei einem Pfarrer.
Dort wurden ihre chronischen Erkrankungen und Schmerzen so schlimm, dass sie bald nur noch bettlägerig war.
Gleichzeitig bekam sie jedoch oft mystische Visionen und wurde als »Seherin« in der Region bekannt. Als an ihrem Körper auf rätselhafte Weise Stigmata – die Wundmale Christi – erschienen, war die Sensation perfekt.
Doch dem Staat Preußen missfiel das Aufsehen und die Behörden ordneten eine gerichtliche Untersuchung wegen Verdachts des Betrugs an.
Als Sachverständiger wurde u. a. der Münsteraner Homöopath Clemens von Bönninghausen gehört. Die Gutachter kamen zu dem Schluss, dass die Wundmale nicht übernatürlichen Ursprungs seien, konnten aber auch keine andere Ursache nachweisen.
Der Romantik-Schriftsteller Brentano interessierte sich für den Fall und reiste nach Dülmen. Er besuchte Anna Katharina oft und schrieb ihre Erinnerungen auf, die er zu einem Buch und einer Biographie Emmericks verarbeitete.
1824 starb die Mystikerin im Alter von 50 Jahren. 2004 wurde sie seliggesprochen. 2010 fand man bei Bauarbeiten in Buldern eine mumifizierte Frauenhand, die Emmerick zugeschrieben wird.
Heilige Wundmale konnte auch Münsters Homöopath Bönninghausen nicht mit Kügelchen heilen.
In dieser Woche im Jahr 1952 …
… zog der Send wieder zurück.
Warum heißt Münsters größtes Volksfest eigentlich nicht »Kirmes« wie anderswo, sondern Send? Send kommt von Synode und schon im Mittelalter fand anlässlich der zweimal im Jahr stattfindenden Kirchenversammlung auch ein Markt statt. Die Synode tagte im Dom, der Markt breitete sich auf dem Domplatz aus. So ging das hunderte von Jahren. Doch 1855 ging Klerus und Anwohnern der Lärm von Buden, Schaustellern und Karussells auf die Nerven. Der Send wurde aufgeteilt:
Die Viehhändler zogen vors Schloss, der Rest der Volksbelustigung vor die Aegidiikaserne (heute Aegidiimarkt).
1916, mitten im I. Weltkrieg, wurden beide Märkte wieder zu einem Großevent zusammengelegt und außerdem ein zusätzlicher Sommersend eingeführt. Die Veranstaltung auf dem damaligen Hindenburgplatz etablierte sich schnell als Lokalfolklore mit überregionaler Anziehungskraft. Doch mit Ausbruch des II. Weltkriegs war erstmal Schluss mit lustig.
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