Zu der Wirtschaft, auf deren Fassade ein großer Neptun prangte, gehörten noch mehrere Nebengebäude aus der Vorkriegszeit.
Die finstere Spelunke war nicht nur für ihre Brathähnchen bekannt, sondern auch als eine Art Mini-St. Pauli für Bauern und Binnenschiffer berüchtigt, auch wenn der Wirt entsprechende Gerüchte teils durch einen Anwalt dementieren ließ.
In einem Appartement-Anbau, in welchem Lokalpresse und Ortspolitiker rege »Dirnen« vermuteten, wohnten mehrere Gastarbeiterfamilien.
Mitte Januar zerriss morgens um halb zehn plötzlich eine gewaltige Explosion das Gebäude. Zwei Arbeitslose, die zuhause waren, wurden schwer verletzt. Ein Mädchen blieb unversehrt, weil ihre Wohnung an einen alten Flakbunker angebaut war.
Polizei und Feuerwehr fanden schnell heraus, dass bei der Detonation jemand nachgeholfen hatte: Eine 11-Kilo-Propangasflasche war vom Gasherd getrennt und aufgedreht worden. Die Vernehmungen ergaben, dass sich einer der arbeitslosen Mieter trotz längerer Kündigung weigerte, seine Wohnung zu räumen. Am Tag zuvor hatte der Vermieter ihn ultimativ zum Verlassen aufgefordert. Tja, raue Sitten damals …
Dabei war diese Brachialmethode eigentlich überflüssig: Wenige Jahre später wurde das gesamte Gebäudeensemble sowieso für die neue Bahnüberführung abgerissen. Heute stehen nur noch einige Reste des alten Bunkers.
Brathähnchen und Rotlicht in der Schifferspelunke am Schiffahrter Damm – bis der finstere Bau in die Luft flog.
In dieser Woche im Jahr 1942 …
… fuhr Dr. Meyer zur Konferenz.
Auf der berüchtigten »Wannseekonferenz« wurden die Zuständigkeiten, technischen und logistischen Details des Völkermordes an den europäischen Juden festgelegt. Von den Teilnehmern kam einer aus Münster:
Dr. Alfred Meyer, »Gauleiter« und Oberpräsident von Westfalen.
Meyer war aber nicht nur Münsters Regionalfürst, sondern auch Stellvertreter des Ministers für die besetzten russischen Gebiete. In dieser Eigenschaft wurde er zu der »Besprechung mit Frühstück« nach Berlin bestellt.
Von zwölf Uhr mittags bis halb zwei brauchte das Dutzend Verwaltungsbürokraten, um zu besprechen, wie man elf Millionen Menschen einer »Sonderbehandlung« unterziehen wollte. Das Wort Ausrotten wurde vermieden.
Meyer war kein schweigsamer Teilnehmer, sondern brachte aktiv Vorschläge in die Runde der Staatssekretäre ein. Anschließend gab‘s Cognac.
1984 wurde die Konferenz verfilmt. Meyers Rolle übernahm der Schauspieler Harald Dietl, der Meyer aber kaum ähnlich sieht. Münsters Gauleiter war kein »Möbelpacker«, sondern eher mickrig.
Drei Jahre später wurde Meyer als Gauleiter notgedrungen auch Verteidigungsleiter für Westfalen.
Hitlerjungs wurden mit Gewehren gegen britische Panzer geschickt, damit Meyer noch Akten verbrennen und fliehen konnte. Ein paar Tage nach Münsters Einnahme erschoss er sich im Wald.
Erst Völkermord, dann Cognac: Münsters Obernazi Dr. Meyer nahm an der »Besprechung mit Frühstück« teil.
In dieser Woche im Jahr 1951 …
… bekam Münster neue Kennzeichen.
Münsters Autofahrer mussten sich wieder mal umstellen: Es gab neue Nummernschilder. Statt des bisherigen Kennzeichens R80 für Münster und einer vierstelligen Zahl stehen nun die Buchstaben BR (»Britische Rheinzone«) übereinander, gefolgt von einer Ziffernkombination.
Seit es Autos gibt, gibt es auch Fahrerflucht. Darum führten einzelne Städte schon vor 1900 die Kennzeichenpflicht ein. Jede örtliche Behörde entwarf ihr eigenes Schild. Erst 1907 wurde eine einheitliche Regelung durchgesetzt, die allerdings nur rund zehntausend Fahrzeuge betraf. Voran stand eine römische Ziffer für das Land. Westfalen bekam als Provinz Preußens die I.
In der Praxis funktionierte das BR-Prinzip der Briten schlecht. Wegen der vielen Neuzulassungen und fehlender Abstimmung benachbarter Kreise blickten weder Zulassungsstellen noch Polizei durch den Kennzeichensalat durch.
Erst 1956 wurde in den drei Westzonen das neue System eingeführt, das bis heute besteht. Münster erhielt dabei die Buchstaben MS. Durch die Gebietsreform der 1970er verschwanden viele Kennzeichen wie BF für Burgsteinfurt oder TE für Telgte.
1993 bekam das MS-Nummernschild überregionale Prominenz durch einen erfolgreichen Kinofilm: In der Komödie »Wir können auch anders« von Detlev Buck fahren die Hauptdarsteller in einem Hanomag mit Münster-Kennzeichen durch die rasante Handlung.
Wir in MS können auch anders! Joachim Krol mit Münster-Kennzeichen und AK-47, vermutlich gegen Radfahrer …
In dieser Woche im Jahr 1946 …
… bekam Münster nasse Füße.
Heute darf sich ja jede Pfütze »Jahrhunderthochwasser« nennen. Früher mussten sich Fluten diesen Titel noch verdienen.
Ausgerechnet im ersten Nachkriegsjahr wurde Münster Anfang Februar vom größten Hochwasser seit mehr als hundert Jahren überspült. Die Aa sprang aus dem Bett und setzte ganze Innenstadtviertel knietief unter Wasser. Die eiskalten Dreckfluten richteten einige Verwüstung an, aber angesichts der verheerenden Kriegsschäden fielen diese kaum zusätzlich ins Gewicht.
Viel schlimmer war, dass die Wassermassen die Trümmerbeseitigung lahmlegten, weil die Lorenbahnen nicht mehr fahren konnten, die den Schutt auf dem Hindenburgplatz zu gigantischen Halden auftürmten, die die Münsteraner bitterironisch »Adolf-Hitler-Berge« nannten.
Fast auf den Tag genau zwei Jahre darauf setzten ungewöhnlich starke Wolkenbrüche nochmals mehrere Viertel unter Wasser und machten die City unpassierbar. Die Münsteraner pumpten und planschten wieder in den immer noch vom Krieg arg demolierten Straßen.
Zwanzig Jahre später, in den Sechzigern, fehlte das Wasser von oben dann ganz dringend: Münster ächzte unter einer abnormen Hitzewelle und Trockenheit. Vor den Toren der wenigen Schwimmbäder (die damals noch »Badeanstalten« hießen) bildeten sich endlose Schlangen. Selbst Springbrunnen und das Becken vor dem Stadthaus am Kreisel wurden für ein kühles Bad zweckentfremdet.
An Eisbären, CO2 und Klimawandel dachte damals noch niemand. Statt Klima gab‘s halt nur Wetter. Trotzdem sollte man auf meteorologische Kapriolen vorbereitet sein (siehe Bild) …
Das selbstgebaute U-Boot auf dem Kanal bietet besten Schutz vor dem nächsten »Jahrhundert«-Hochwasser!
In dieser Woche im Jahr 2000 …
… starb Roxy Heart.
Gerd Kreikenbaum war Student beim schon zu Lebzeiten legendären »Totalkünstler« Timm Ulrichs an Münsters Kunstakademie. Das Berufsverbot für (mutmaßliche) politische Extremisten machte einen Strich durch eine Lehrerstelle.
Also wurde Kreikenbaum eben freier Künstler, nannte sich fortan »Roxy Heart« und passte sein Äußeres dem Künstlernamen phantasievoll an.
Einige damals innovative Ausstellungen brachten ihm erste Achtungserfolge. In Münsters Alternativszene wurde der junge Mann schnell prominent. Auch in der Lokalpresse machte Roxy Heart von sich reden.
Seinen größten Erfolg hatte er mit seinen »Traumkästen«: Vitrinen, in denen er Plastikspielzeug und Kuriositäten zu bizarren Welten inszenierte.
Doch mit Anbrechen der 1980er Jahre endete die Ära Heart. Seine skurrile