Der neue Landdoktor Staffel 9 – Arztroman. Tessa Hofreiter. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Tessa Hofreiter
Издательство: Bookwire
Серия: Der neue Landdoktor
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783740980528
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Wendelins Handy zu suchen und es ihm zu bringen. Auch seinem Herrchen machten diese Spiele großen Spaß, aber heute Abend war der Mann nicht ganz bei der Sache. Seine Gedanken schweiften ab und waren bei dem Unbekannten, den sie getroffen hatte.

      »Das war nicht nur ein Nachtwanderer, der vom Weg abgekommen ist«, sagte er nachdenklich zu Streuner. »Was hat er tatsächlich im Wald gemacht? Irgendetwas stimmt nicht an seiner Geschichte, aber ich weiß nicht, was es ist.«

      Der Hund kümmerte sich wenig um Wendelins halblautes Gemurmel. Er forderte ganz energisch, dass sich sein Herrchen mehr auf das gemeinsame Spiel konzentrierte. Lächelnd tat Wendelin ihm den Gefallen und übte noch einmal: »Such mein Handy!« Es machte auch ihm großen Spaß, und er war sehr stolz auf seinen klugen Hund. Niemals wäre ihm der Gedanke gekommen, dass aus diesem Spiel einmal bitterer Ernst werden könnte.

      *

      Wendelins Instinkt hatte ihn nicht getrogen.

      Bei dem angeblich harmlosen Nachtwanderer handelte es sich um Gisbert von Acker, der das Jagdschlösschen gemietet und etliche Freunde zur Jagd eingeladen hatte. Da er ein sehr schlechter Schütze war, konnte er nicht die Trophäen vorweisen, mit denen er geprahlt hatte. Er hatte begonnen, Fallen auszulegen, was brutal, hinterhältig und grundsätzlich verboten ist. Ein Tier, das sich in der Falle verfing, war zu grausamen Schmerzen verurteilt, ehe es langsam und qualvoll verendete. Zu recht wurde Wilderei mit Geld- oder auch Freiheitsstrafen geahndet.

      Natürlich wusste Gisbert von Ackern das, aber das Risiko gehörte für ihn dazu. Als er auf Wendelin getroffen war, hatte er bereits zwei Fallen ausgelegt und die dritte noch im Rucksack. Im ersten Augenblick erschrak er, aber dann war Gisbert sicher, dass der andere Mann keinen Verdacht geschöpft hatte, denn Wendelin wirkte auf ihn ausgesprochen harmlos. Er stellte die letzte Falle auf, tarnte sie mit Laub und Zweigen und kehrte zur gemieteten Hütte zurück.

      Weshalb das Gebäude Jagdschlösschen genannt wurde, war ihm ein Rätsel. Die Hütte war solide gebaut und sehr geräumig, rustikal eingerichtet und mit bescheidenem Komfort ausgestattet. Es gab einen gemauerten Kamin und zusätzliche Heizkörper, die ebenso wie Herd, Kühlschrank und einige Lampen mit Gas betrieben wurden. Die Gasflaschen waren in einem gut gesicherten Schuppen untergebracht. Es gab noch das Außen-WC, Holz- und Werkzeugschuppen und einen gemauerten Raum, in dem das Wild zerlegt wurde. Schön war der mit alten Schieferplatten gepflasterte Hof mit seinem gemauerten Außenkamin und der rustikalen Sitzgruppe unter alten Eichen.

      Allerdings hatte Gisbert weniger die Schönheit dieses Ortes im Sinn als dessen Abgeschiedenheit. Von den eingeladenen Männern hatten nicht alle einen Jagdschein, und man wollte sich nicht allzu genau auf die Finger schauen lassen. Außerdem hatte sich Gisbert für seine Gäste eine besondere Überraschung einfallen lassen, die illegal und gefährlich war. Einen misstrauischen Förster auf den Fersen konnte er sich absolut nicht leisten. Seine Gäste würden morgen anreisen, und es war gut, dass sie hier draußen unbeobachtet blieben.

      Einen Haken hatte das ganze allerdings, hier draußen gab es keine Hausangestellten, keinen Lieferservice, weder Spül- noch Waschmaschine, noch nicht einmal fließendes heißes Wasser. Für Sauberkeit, Ordnung und die Mahlzeiten war er als Gastgeber persönlich verantwortlich. Da das für Gisbert nicht infrage kam, würde er sich jemanden suchen müssen, der sich ums Haus und das Wohl der Gäste kümmerte.

      Hungrig starrte Gisbert auf den Tisch, auf dem nur Brotreste und ein angetrocknetes Stückchen Käse lagen, die er nicht abgeräumt hatte. Es war höchste Zeit, dass jemand herkam und für duftende Schmorgerichte, saubere Weingläser und frisch bezogene Betten sorgte. Gleich morgen würde er sich darum kümmern müssen.

      *

      An Wendelins nächstem Arbeitstag wollte er in einen bestimmten Waldabschnitt gehen, der nach dem letzten Sturm noch nicht freigegeben war, und dort den Abtransport des Windbruchs vorbereiten. Er freute sich an der klaren Morgenstimmung, der Stille, die nur von den Vogelstimmen unterbrochen wurde, und dem herb-süßen Duft des Waldes. Sein Hund lief neben ihm her, witterte mal links, mal rechts und vergewisserte sich immer wieder mit einem Blick, dass Herrchen auch in der Nähe war.

      Plötzlich blieb Streuner stehen, spitzte die Ohren und lauschte sehr aufmerksam in Richtung des Unterholzes. Wendelin wurde aufmerksam und strengte ebenfalls seine Ohren an. Und dann hörte er es: ein klagendes Winseln und heiseres Bellen, das nicht von einem Hund stammte. Es klang herzzerreißend schmerzvoll und erschöpft.

      »Streuner, das klingt, als ob es jemandem sehr schlecht geht«, sagte Wendelin besorgt. Vorsichtshalber befestigte er eine lange Leine am Hundehalsband und ging in die Richtung, aus der die jammervollen Laute gekommen waren. Streuner zog ihn vorwärts und wies ihm den Weg durchs Dickicht.

      Und in einer steinigen Mulde, die mit Blättern und abgestorbenen Ästen gefüllt war, entdeckten sie einen jungen Fuchs, der in einer Falle gefangen war. Wendelin wurde blass vor Zorn. Wer konnte einem wehrlosen Tier so etwas antun! Wie lange das Tier hier gefangen saß und Höllenqualen litt, mochte er sich gar nicht vorstellen.

      Rasch zog er sein Holzfällerhemd aus dickem Flanell aus und streifte seine Arbeitshandschuhe über. Entschlossen näherte er sich dem jungen Tier, das offensichtlich am Ende seiner Kräfte war und panisch um sich schnappte. Wendelin schauderte. Er sah, dass beim Zuschnappen des Eisens ein Stein mit hochgeschleudert worden war, der zufällig mit zwischen die Zähne geriet und so ein völliges Zuschlagen der Falle verhindert hatte. Sonst wäre das Bein des Fuchses glatt durchtrennt worden, und er wäre verblutet, so hing verletzt fest.

      »Armer Kleiner, ich weiß nicht, ob dir das tatsächlich geholfen hat«, murmelte Wendelin voller Mitgefühl. Wieviel Schmerz und Angst musste dieses Geschöpf ausgehalten haben! »Ich werde jetzt zusehen, dass dir so schnell wie möglich geholfen wird.«

      Der Fuchs wehrte sich mit dem Mut der Verzweiflung gegen diese neue vermeintliche Bedrohung, aber Wendelin griff ihn sicher und wickelte ihn rasch in das dicke Hemd. Der Flanellstoff und seine Arbeitshandschuhe schützten den Mann gegen die nadelscharfen Reißzähne des jungen Räubers, aber Wendelin musste nicht nur den tobenden Fuchs festhalten, sondern auch noch die Falle öffnen. Dabei verletzte er seinen Arm an den Metallzähnen der Falle und begann sofort zu bluten.

      Wendelin fluchte. Er hatte keine Hand frei und kein Verbandszeug, um die Blutung zu stoppen. »Dann muss es eben so gehen, du bist jetzt wichtiger«, murmelte er zu dem strampelnden Bündel in seinen lädierten Armen. »Auf geht’s zum Doktor.« Mit Streuner dicht auf den Fersen machte sich der Mann auf den Weg zum Jeep, mit dem er während der Arbeit unterwegs war. Im Auto konnte er seinen Arm verbinden; der Fuchs war inzwischen so geschwächt, dass er den Kampf um seine Freiheit fast aufgegeben hatte. Das Bündel auf dem Beifahrersitz zuckte nur noch leicht.

      Zum Glück war Wendelin nicht tief draußen in den Wäldern gewesen und erreichte die Praxis der Tierärztin in verhältnismäßig kurzer Zeit. Rieke und ihre Mitarbeiterin waren ebenso entsetzt wie Wendelin, als er den armen Fuchs übergab und berichtete, wie er ihn gefunden hatte.

      »Eine Falle!«, knurrte Rieke, und ihre grünen Augen schossen Blitze. »Wenn wir den erwischen …«

      Die Untersuchung zeigte, dass der Fuchs einen bösen Bruch seines Oberschenkels erlitten hatte und die Wunde bereits großflächig entzündet war. Wendelin schluckte. »Wirst du …, du wirst ihn doch nicht …«, stammelte er.

      »Ich versuche alles, um ihn zu retten«, antwortete Rieke energisch. »Ich lege ihn gleich schlafen, säubere und richte das Bein, und für den Rest des Tages bleibt er hier am Tropf. Er bekommt Schmerzmittel, ein Antibiotikum und viel zu trinken. Ich kann nichts versprechen, aber ich glaube ganz fest, dass er eine Chance hat. Abends nehme ich ihn mit hinaus zum Forsthaus auf die Wildtierstation.«

      »Danke, Rieke!«, sagte Wendelin sehr erleichtert. Er traute der Tierärztin eine Menge zu, sie würde den Kleinen bestimmt durchbringen.

      »Aber, Wendelin, du weißt, dass eigentlich du zuerst zum Arzt gemusst hättest, nicht wahr? Dein Arm ist bei der Rettungsaktion verletzt worden, und damit ist nicht zu spaßen«, sagte Rieke ernst zu ihm.

      »Weiß ich doch, aber der Kleine hing wer weiß wie lange in