Das Ende. Mats Strandberg. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Mats Strandberg
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги для детей: прочее
Год издания: 0
isbn: 9783038801290
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gezogen sind.«

      Ich denke nach und schließlich fällt mir ein, dass eine meiner Mitschülerinnen irgendwann nicht mehr kam. Ich sehe ein Mädchen mit langen blonden Haaren und wachsamem Blick vor mir.

      »Wir sind einmal bei euch zu Hause gewesen, um etwas über Dominica zu erfahren«, erklärt Lucinda.

      Ich stöhne auf, weil ich mich noch gut an diesen Tag erinnere.

      Natürlich war es Stina, die auf die Idee gekommen war, die gesamte Klasse zu uns einzuladen. Sie sollten sehen, dass wir eine ganz normale Familie waren, auch wenn es rein äußerlich betrachtet anders erschien. Judette hatte verschiedene landestypische Gerichte des Inselstaates zubereitet. Yams und Maniok, diverse Currys und selbst gebackenes Brot. Aber ich wollte nicht dabei sein. Damals war ich eher scheu und wusste nicht, worüber ich mit den anderen Kindern reden sollte. Jedenfalls war ich total dagegen gewesen, dass sie in unsere Wohnung einfallen würden.

      Letztendlich wurde es noch schlimmer, als ich befürchtet hatte.

      Lucinda hat offenbar meine Gedanken gelesen, denn sie muss kichern.

      »Ach komm«, sagt sie. »Das war doch voll super.«

      »Für mich aber nicht. Mir war es total peinlich, als alle fragten, wie zwei Mütter zusammen ein Kind kriegen können. Und Stina hatte wieder mal viel zu viel geplappert. Die Kids konnten das doch noch gar nicht kapieren.«

      »Ich hab jedenfalls hinterher zu meinem Vater gesagt, dass ich auch lesbisch werden will«, sagt Lucinda. »Bei euch kam es mir viel lustiger vor.«

      »Aber jetzt würdest du es bestimmt nicht mehr so lustig finden. Sie haben sich nämlich scheiden lassen. Allerdings wohnen sie wieder zusammen.«

      »Aha. Und wie läuft’s?«

      »Erstaunlich gut. In den meisten Dingen sind sie sich ziemlich einig. Zum Beispiel darin, dass ich öfter zu Hause sein sollte.«

      »Und warum bist du es nicht?« Sie hält inne. »Sorry, das geht mich nichts an.«

      »Nein, schon okay. Ich weiß nur nicht genau, wie ich es erklären soll.«

      Unter der Wasseroberfläche erkenne ich schemenhaft einige Fische, die sich ruckartig und nervös vorwärtsbewegen.

      »Ich würde mir wünschen, sie wären nicht mir zuliebe wieder zusammengezogen«, sage ich. »Wir hatten uns gerade an den neuen Alltag mit zwei Wohnungen gewöhnt und ich fühlte mich bei beiden wohl. Doch jetzt bin ich derjenige, der ihrem Zusammenleben einen Sinn geben soll, und … und das wäre ja auch okay, wenn nicht … Ach, mir kommt es so vor, als müsste alles, was wir tun, plötzlich eine besondere Bedeutung erhalten. Weißt du, was ich meine? Dadurch wirkt alles so künstlich.«

      »Genauso war es mit meinem Vater, als ich krank wurde. Wie eine Never-ending-Nutze-den-Tag-Story, bei der man nicht mal zum Luftholen kommt.«

      Als sie die Augen verdreht, muss ich lachen.

      »Ja genau«, stimme ich ihr zu. »Aber vielleicht wird es ja bald besser. Meine Schwester Emma kommt für eine Weile zu uns und dann können sie sich auf die stürzen.«

      Bumbum brummt und betrachtet uns, den Kopf auf den Vorderpfoten abgelegt. Ich werfe einen Blick auf die Wasserrutsche. Als ich klein war, erzählte Emma mir eines Tages, dass sie gesperrt worden war, weil irgendwer die Rutschfläche mit Rasierklingen präpariert hatte, sodass alle aufgeschlitzt wurden, die hinunterrutschten.

      Die Eltern standen am Beckenrand und warteten auf ihre Kinder … erst kam das Blut … und dann kamen ihre Überreste.

      Das Bild vom rot gefärbten Wasser, das die Rutsche hinunterrann, war in meiner Fantasie so real geworden, dass es mir jetzt wie eine wahre Erinnerung vorkommt. Ich hatte nur lange nicht mehr daran gedacht. Ich frage mich, ob es ein Gerücht war oder Emmas freie Erfindung. Sie liebte es nämlich geradezu, mir Angst einzujagen. Und erstaunlicherweise gefiel es mir auch. Meine Schwester stand schon immer für alles Spannende. Zum Beispiel hatte sie heimlich auf dem Balkon geraucht, wenn die Mütter nicht zu Hause waren. Oder sich die Augen tiefschwarz geschminkt. Oder auch nachts heimlich telefoniert und sich ständig über irgendwelche Dinge kaputtgelacht, die ich noch nicht begriff.

      Ich will Lucinda fragen, ob sie auch von der Sache mit den Rasierklingen gehört hat, doch stattdessen höre ich mich sagen:

      »Emma ist schwanger.«

      »Und in welchem Monat?«

      »Im sechsten«, antworte ich und breche unvermittelt in Tränen aus.

      Lucinda wird neben mir stocksteif, aber ich kann einfach nicht aufhören zu weinen.

      »Sorry«, sage ich. »Es ist nur …«

      »Nein, nein, schon okay. Ist doch verständlich.«

      Aber ich merke, dass es sie ebenfalls ziemlich mitnimmt. Zum Glück kommt Bumbum angetapst, um mich zu trösten. Er winselt unruhig und legt mir eine Pfote auf die Schulter, was meine düsteren Gedanken ein wenig vertreibt.

      »Welche Rasse ist das eigentlich?«, fragt Lucinda, während ich ihn kraule.

      »Landseer. Die sind mit den Neufundländern verwandt.«

      »Sicher, dass er nicht doch ein Pony ist?«

      Ich muss lachen.

      »Und warum heißt er Bumbum?«

      Ich ziehe die Nase so diskret hoch, wie ich nur kann, und antworte, dass ich ihn so genannt habe, als ich noch klein war und wir ihn gerade erst vom Züchter geholt hatten. Damals hat er lauter Stühle umgekippt, ist gegen jeden Türrahmen gelaufen und andauernd über seine eigenen großen Pfoten gestolpert.

      Damit bringe ich Lucinda zum Lachen und endlich löst sich etwas die Anspannung zwischen uns. Sie erzählt nach einer Weile von der TellUs-App, in der sie angefangen hat zu schreiben.

      »Ich glaub zwar kaum, dass irgendwer da draußen sie lesen wird«, sagt sie mit einem Nicken in Richtung Himmel, »aber für mich ist es wie eine Therapie.«

      Ich frage mich, ob sie mir damit sagen will, es auch mal auszuprobieren. Offenbar scheine ich es nötig zu haben.

      »Ich versuche irgendwie auszublenden, was gerade passiert«, entgegne ich. »Aber es funktioniert nur bedingt.«

      Sie lächelt und plötzlich sehe ich sie vor mir als Kind mit mehreren Zahnlücken im Mund und in einem rosafarbenen Pulli. Sie steht im Klassenraum vor der Wandtafel.

      »Jetzt weiß ich wieder«, sage ich. »Du warst doch diejenige, die immer davon geredet hat, Schriftstellerin zu werden.«

      »Hab ich das?«

      »Dieser scheißende Riese hat einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen.«

      Lucinda lacht auf.

      »Welcher scheißende Riese?«

      »Du hattest damals ein Märchen geschrieben, das du uns in der Spielstunde vorgelesen hast. Der Riese hat den Menschen im Ort erst alles Essbare weggefressen und danach in den Fluss geschissen, sodass sie das Wasser nicht mehr trinken konnten.«

      Lucindas Wangen röten sich.

      »Du warst sehr zufrieden, weil es ja eigentlich um Umweltverschmutzung ging«, fahre ich fort. »Und du hast uns nebenher beigebracht, was eine Metapher ist.«

      Jetzt müssen wir beide lachen.

      »Ich bin bestimmt unausstehlich gewesen«, sagt sie und steht abrupt auf. »Ich muss jetzt leider gehen. War nett, dich getroffen zu haben.«

      Ich empfinde es genauso, dennoch bleibe ich sitzen und biete ihr nicht an, sie zu begleiten. Ich will nicht riskieren, dass es wieder zu förmlich zwischen uns wird oder das Gespräch ins Stocken gerät.

      »Ja, man sieht sich«, sage ich.

      Früher war es ganz normal,