„Aber Sie können krank sein und trotzdem kein Fieber haben. Gestatten Sie mir dieses eine Mal, Ihr Arzt zu sein. Zunächst müssen Sie zu Bett gehen, ferner …“
„Sie irren sich“, unterbrach er mich. „Mir ist so wohl, wie mir bei der Aufregung, an der ich leide, nur sein kann. Wenn Sie wirklich mein Bestes wollen, dann müssen Sie mir helfen, diese Aufregung zu überwinden.“
„Und wie kann das geschehen?“
„Sehr einfach. Jupiter und ich machen einen Ausflug in die Festlandshügel und bei diesem Ausflug brauchen wir jemand, dem wir vertrauen können. Sie sind der Einzige, auf den wir uns verlassen dürfen. Ob wir nun Erfolg haben oder nicht, in jedem Fall wird die Erregung, die Sie bei mir bemerken, danach vorüber sein.“
„Ich will Ihnen gerne in jeder Weise zu Diensten sein“, antwortete ich. „Aber wollen Sie etwa sagen, dass dieser höllische Käfer irgendetwas mit Ihrem Ausflug in die Hügel zu tun hat?“
„Unbedingt.“
„Dann, Legrand, kann ich mich an einer solch verrückten Geschichte nicht beteiligen.“
„Das tut mir leid – sehr leid –, denn dann müssen wir es allein versuchen.“
„Allein versuchen! Sie sind sicher nicht bei Sinnen! – Aber halt, wie lange soll dieser Ausflug dauern?“
„Wahrscheinlich die ganze Nacht. Wir werden sofort aufbrechen und auf jeden Fall bei Sonnenaufgang zurück sein.“
„Und Sie versprechen mir auf Ehrenwort, dass, wenn diese tolle Geschichte vorüber und die Käferangelegenheit zu Ihrer Zufriedenheit erledigt ist, Sie dann nach Hause zurückkehren und meinen Ratschlägen folgen, als wäre ich Ihr Arzt?“
„Ja, das verspreche ich. Und nun wollen wir aufbrechen, denn wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Mit schwerem Herzen begleitete ich meinen Freund. Wir brachen um vier Uhr auf – Legrand, Jupiter, der Hund und ich. Jupiter nahm die Sense und die Spaten – er bestand darauf, alles zu tragen –, wie es mir schien, mehr aus Furcht, die Geräte im Bereich seines Herrn zu lassen, als aus einem Übermaß an Arbeitslust oder Gefälligkeit. Sein Benehmen war sehr mürrisch und „das verdammte Käfer“ waren die einzigen Worte, die während des Marsches über seine Lippen kamen. Mir selbst waren ein paar Blendlaternen anvertraut worden, während sich Legrand mit dem Käfer begnügte, den er an einem Stück Peitschenschnur angebunden trug. Er schwang ihn beim Gehen vorwärts und rückwärts mit dem Gesicht eines Hexenmeisters. Als ich diesen letzten klaren Beweis von der Geistesverwirrung meines Freundes sah, konnte ich kaum die Tränen zurückhalten. Ich hielt es aber für das Beste, auf seine Idee einzugehen, wenigstens für den Augenblick oder bis ich eine Gelegenheit fand, ernstere Maßnahmen mit Aussicht auf Erfolg zu ergreifen. Inzwischen versuchte ich vergebens, etwas über den Zweck unseres Unternehmens zu erfahren. Nachdem es ihm gelungen war, mich zur Teilnahme daran zu bewegen, schien er nicht in der Laune zu sein, sich über etwas weniger Wichtiges zu unterhalten, und auf alle Fragen bekam ich nur die Antwort: „Wir werden sehen!“
Auf einem Ruderboot setzten wir am Ende der Insel über den Flussarm, erstiegen die Höhen am Festlandsufer und wandten uns nach Nordwesten durch ein außerordentlich wildes und verlassenes Stück Land, wo auch nicht die Spur eines menschlichen Fußtrittes zu sehen war. Legrand führte uns entschlossen vorwärts, wobei er nur von Zeit zu Zeit einen Augenblick Halt machte, um nach gewissen Wegzeichen zu sehen, die er offenbar selbst bei einer früheren Gelegenheit angebracht hatte.
Wir waren auf diese Weise ungefähr zwei Stunden marschiert und die Sonne neigte sich gerade zum Untergang, als wir in eine Gegend kamen, so unendlich traurig, wie ich nie etwas gesehen hatte. Es war eine Art Tafelland nahe dem Gipfel eines fast unersteigbaren, von unten bis oben dicht bewachsenen Hügels, der mit riesigen Felsspitzen besät war, die lose auf dem Boden zu liegen schienen, so dass es aussah, als würden sie nur durch die Bäume, an die sie sich anlehnten, verhindert ins Tal herabzustürzen. Nach allen Seiten liefen tiefe Schluchten und gaben der Landschaft den Anschein von ernsterer Feierlichkeit. Eine natürliche Abflachung, die wir erklettert hatten, war so dicht mit Brombeeren überwachsen, dass wir bald die Unmöglichkeit entdeckten, uns ohne die Sense einen Weg hindurchzubahnen. Jupiter ging auf Geheiß seines Herrn daran, uns einen Pfad frei zu machen bis dicht an einen riesigen Tulpenbaum, der mit acht oder zehn Eichen auf der Höhe stand und sie weit überragte. Er übertraf auch alle Bäume, die ich je gesehen hatte, an Schönheit seiner Form und seines Laubes, an der gewaltigen Ausdehnung seiner Äste und der allgemeinen Majestät seines Aussehens. Als wir diesen Baum erreichten, wandte sich Legrand an Jupiter und fragte ihn, ob er sich wohl getraue, ihn zu erklettern. Der alte Mann schien etwas verblüfft zu sein über diese Frage und gab einen Augenblick keine Antwort. Schließlich näherte er sich dem riesigen Stamm, ging langsam um ihn herum und besah ihn sich genau. Als er seine Prüfung beendet hatte, sagte er gleichmütig: „Ja, Massa, Jup klettern auf jeden Baum, den er im Leben gesehen haben.“
„Dann hinauf mit dir so schnell wie möglich, denn es wird bald zu dunkel sein für unsere Angelegenheit.“
„Wie weit muss ich hinauf, Massa?“, fragte Jupiter.
„Steige zuerst den Hauptstamm hinauf, das Weitere will ich dir dann schon sagen. Und halt! Nimm hier den Käfer mit.“
„Das Käfer, Massa Will? Das Goldkäfer?“, schrie der Neger und fuhr entsetzt zurück. „Wozu müssen das Käfer mit auf den Baum? Ich verdammt sein, wenn ich das tun!“
„Wenn ein großer, starker Neger wie du, Jup, Angst hat, einen kleinen, unschädlichen, toten Käfer anzufassen, dann kannst du ihn an der Schnur hinaufziehen – aber wenn du ihn nicht auf irgendeine Art mitnimmst, dann bin ich genötigt, dir mit dieser Schippe den Schädel einzuschlagen.“
„Was wollen denn Massa?“, fragte Jupiter, der sich schämte und plötzlich nachgiebig wurde. „Sie immer Streit suchen mit alten Nigger. War ja nur Scherz. Ich das Käfer fürchten? Was gehn mich Käfer an!“ Damit fasste er sorgfältig das äußerste Ende der Schnur und machte sich, indem er das Insekt so weit wie möglich von seiner Person abhielt, daran, den Baum zu erklettern.
In seiner Jugend hat der Tulpenbaum oder Liriodendron tulipiferum, die prächtigste Erscheinung der amerikanischen Wälder, einen auffallend glatten Stamm und erreicht oft eine bedeutende Höhe ohne Seitenäste. Im reiferen Alter wird aber seine Rinde rissig und uneben und viele kurze Äste erscheinen an dem Stamm. Daher war auch in diesem Falle die Schwierigkeit des Kletterns mehr scheinbar als wirklich. Indem er sich mit Armen und Knien so fest wie möglich an den riesigen Zylinder drückte, mit den Händen nach vorstehenden Stümpfen griff und auf anderen die nackten Zehen ruhen ließ, wand sich Jupiter bis auf den ersten großen Ast, nachdem er allerdings ein- oder zweimal mit großer Not der Gefahr des Abstürzens entgangen war. Er schien jetzt die ganze Aufgabe in der Hauptsache für erledigt zu halten. Das Gefährliche an dem Unternehmen war jedenfalls vorbei, obgleich der Kletterer sich nunmehr sechzig oder siebzig Fuß über dem Erdboden befand.
„Welchen Weg müssen ich jetzt gehen, Massa Will?“, fragte er.
„Jetzt steige den stärksten Ast hinauf – den hier auf dieser Seite“, sagte Legrand.
Der Neger gehorchte ihm unverzüglich und offenbar ohne viel Mühe. Er stieg höher und höher, bis man in dem dichten Laubwerk, das ihn umgab, keinen Schimmer mehr von seinem breiten Körper sah. Nach einer Weile hörte man seine Stimme wie eine Art Hallo.
„Wie viel weiter sollen ich klettern?“
„Wie hoch bist du?“, fragte Legrand.
„Ich so hoch sein“, antwortete der Neger, „dass ich sehen den Himmel von dem Ast.“
„Kümmere dich nicht um den Himmel, sondern höre, was ich dir sage. Sieh hinunter und zähle die Äste, die an dieser Seite unter dir sind. An wie viel Ästen bist du vorbeigeklettert?“
„Eins, zwei, drei, vier, fünf – ich sein an fünf Ästen vorbei, Massa, an dieser Seite.“
„Dann