Meditationen / Abhandlung über die Methode. Рене Декарт. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Рене Декарт
Издательство: Bookwire
Серия: Kleine philosophische Reihe
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783843801218
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und Griechisch wurden dort Jura, Technik, Medizin, Anatomie und Philosophie gelehrt.

      Angeblich durfte Descartes in La Flèche wegen seiner schlechten Gesundheit bis elf Uhr schlafen, aber üblicherweise herrschte dort eine militärische Disziplin. Geweckt wurden die Schüler um 5 Uhr morgens und hatten dann fünfzehn Minuten Zeit sich anzuziehen und zu waschen. Neben zahlreichen Unterrichtsstunden und einer drückenden Last von »Hausaufgaben« mussten die Schüler noch auf den umliegenden Feldern arbeiten, Küchendienst verrichten und das Schulgebäude reinigen. Ihnen wurde aber auch Gelegenheit geboten, die typische Freizeittätigkeit des Adels auszuüben: Sie konnten Fechten, Reiten, Schach und Tennis spielen. Im Übrigen wurde ihnen peinlichst genau die Etikette eingeprägt und sie standen ständig unter Aufsicht ihrer Lehrer.

      Descartes erster Biograf, Adrien Baillet, versichert, dass viele Prinzipien von Descartes aus seiner Schulzeit übernommen worden sind, wo der Philosoph das wissenschaftliche Arbeiten erlernt hat. Diese Prinzipien werden in der Methodenschrift erwähnt, und sie sind ihm wohl ursprünglich von den Jesuiten beigebracht worden. Baillet schreibt:

      »Von all den Vorschriften, die er von seinen Logiklehrern erhalten hatte, blieben ihm vier Regeln, die das Fundament seiner neuen Philosophie bildeten: Die erste ist, nichts als wahr zu erachten, was nicht als solches evident ist. Die zweite, Probleme möglichst in deren Bestandteile zu zerlegen, um sie leichter lösen zu können. Die dritte, beim Denken in einer gewissen Ordnung vorzugehen, bei den einfachsten und leichtesten Objekten zu beginnen, um dann zu den schwierigen weiterzuschreiten. Die vierte, nichts beim Abschreiten der Dinge, deren Teile man untersucht, zu vergessen.«

      Descartes war später unendlich enttäuscht darüber, dass seine neue Philosophie von den Jesuiten abgelehnt wurde und sie ihn heftig kritisierten. Kein Wunder, verdankte er doch die Grundlage seiner Philosophie dem Collège in La Flèche.

      Als Descartes nach achteinhalb Jahren Schulzeit im Jahre 1612 das Collège verließ, war der sechzehnjährige Jüngling noch weit davon entfernt, ein Philosoph zu sein, auch für ein weltliches Amt sei er noch zu jung, glaubte der Vater. Er schickte seinen Sohn also nach Paris, damit er die große Welt sähe und seine ersten Schritte in der Gesellschaft tun konnte. Nur mit einem Diener ging Descartes nach Paris und verfiel schnell dem Glanz und dem Glamour der Großstadt (damals eine Stadt mit 600 000 Einwohnern). Er verlor sich im Glücksspiel, fand falsche Freunde, besuchte regelmäßig mit ihnen die Bordelle der Stadt und übergab sich jeder möglichen Ausschweifung. Irgendwann zu dieser Zeit lernte er die zwei Freunde kennen, die die wichtigsten Bekanntschaften in seinem Leben werden sollten: der eine war Claude Mydorge (1585–1647), elf Jahre älter als Descartes und einer der führenden Mathematiker seiner Zeit. Der andere war Marin Mersenne (1588–1648), ebenfalls Mathematiker, Übersetzer der Werke von Galileo Galilei und Kopf einer Gelehrtenvereinigung, mit dem Ziel, die Wissenschaft und die Mathematik zu neuen Höhen zu treiben.

      Mydorge gelang es, Descartes aus seinem Lotterleben zu befreien und ihn zur Vertiefung seiner mathematischen Kenntnisse, besonders der Geometrie, zu bewegen. Descartes wusste wohl, dass es nicht einfach wäre, sich von seinem alten Lebenswandel zu befreien. Er zog sich deswegen geheim in den Pariser Vorort Saint-Germain zurück, ohne einem einzigen seiner Freunde (außer Mydorge) zu sagen, wo er sich aufhalte. Dort betrieb Descartes wissenschaftliche Studien, bei denen er sich hauptsächlich der Mathematik widmete. Zwei Jahre verbrachte er dort abgeschieden, bis ihm ein unglückliches Versehen passierte: Er traf bei einem seiner Spaziergänge einen seiner alten Freunde auf der Straße. Dieser zwang ihn dazu, seinen Aufenthaltsort zu verraten, und eh er sich versah, war er wieder in der Gesellschaft, die er eigentlich vermeiden wollte.

      Die nächsten Jahre liegen zum großen Teil im Dunkeln. Sicher ist, dass Descartes Jurisprudenz in Poitiers studierte und 1616 ein juristisches Examen ablegte. Zu dieser Zeit scheint er auch in Paris eine Akademie zur Erlernung von gutem Benimm, Fechten, Reiten und Tanzen besucht und erfolgreich hinter sich gebracht zu haben.

      Wie viele junge Adlige seiner Zeit entschloss sich der einundzwanzigjährige Descartes in ebendiesem Jahr, 1616, Kriegsdienst zu leisten. Militärische Auseinandersetzungen fand man in Europa damals genug: Zwischen 1562–1598 gab es in Frankreich allein neun Kriege, deren trauriger Tiefpunkt die Bartholomäusnacht von 1572 war, in der 30 000 Hugenotten ihr Leben verloren. Im benachbarten Holland, auf das Spanien Machtansprüche geltend machte (im sogenannten Achtzigjährigen Krieg von 1568–1648), bewegten sich ebenfalls französische Truppen und halfen den Holländern bei ihren Bemühungen, die Unabhängigkeit zu erkämpfen. Im Jahre 1618 folgte dann der Dreißigjährige Krieg (1618–1648), der eigentlich nur das sichtbar werden ließ, was schon lange zwischen den europäischen Ländern der Fall war: ein Kampf jeder gegen jeden. Vordergründig ging es um religiöse Streitigkeiten, Konfessionen und Glaubensbekenntnisse, aber eigentlich ging es um Politik, Macht und die Verteilung von Reichtümern.

      Die militärische Ausbildung gehörte zur Erziehung eines Adligen. Später gab Descartes an, nur deswegen in den Dienst getreten zu sein, um mit dem Heer die Welt zu bereisen. 1617 schloss er sich dem berühmten Feldherrn Moritz von Oranien in Brabant an (der gerade mit seinen Truppen gegen die religiöse Sekte der Arminianer vorging, die in Teilen Hollands einen Aufstand provoziert hatten). Um als Soldat zu gelten, musste Descartes wenigstens einmal Sold empfangen; diesen behielt er bis an sein Lebensende und zeigte die Münzen, als Zeichen seiner Tapferkeit, jedem, der sie sehen wollte. Ansonsten verzichtete er ganz auf die Einkünfte aus dem Kriegshandwerk.

      In dieser Zeit lernte Descartes einen weiteren wichtigen Mentor für sein späteres Schaffen kennen. Als sich Descartes in einer Straße in Breda bemühte, einen holländischen Anschlag zu lesen, trat ein Mann auf ihn zu und half ihm zu übersetzen. Es war Isaac Beeckman (1588–1637). Beeckman war Mathematiker und Naturwissenschaftler (er richtete beispielsweise die erste Wetterstation in Europa ein), vor allen Dingen war er ein Gegner der aristotelischen Philosophie, die zu Descartes Zeiten als Schulphilosophie überall gelehrt wurde. Descartes lebenslanges Thema, die Überwindung der (scholastisch geprägten) aristotelischen Philosophie durch seine neue Philosophie, hat in Beeckman einen geistigen Vater. Unter seinem Einfluss begann der angehende Philosoph über verschiedene Themen zu schreiben, unter anderem eine Schrift über Musik (»Musicae compendium«; 1618), die im Gegensatz zu vielen seiner frühen Jugendschriften erhalten geblieben ist.

      Als Adligem standen Descartes während seiner Militärzeit viel mehr Freiheiten zur Verfügung als einem einfachen Fußsoldaten. Er konnte seine Zeit recht ungebunden gestalten und musste die zahlreichen Truppenübungen nicht mitmachen. So konnte er sogar auf eigenen Wunsch im Jahre 1618 die Truppen wieder verlassen, um sich zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges dem katholischen kaiserlichen Heer von Ferdinand II. (1578–1637) in Bayern anzuschließen, der gegen die protestantischen Städte aus Böhmen vorrücken wollte.

      Mit den kaiserlichen Truppen kam Descartes 1619 nach Ulm. In dieser neutralen Stadt sollte ein letzter Versuch stattfinden, durch Verhandlungen eine größere kriegerische Auseinandersetzung zu vermeiden. Eigens waren französische Botschafter angereist, die sich als Vermittler zwischen den Kriegsparteien anboten. Tatsächlich kam ein Vertrag zustande, und die politische Lage entspannte sich für eine kurze Zeit. Die Truppen, die um Ulm herum gelagert waren, wurden an anderen Orten stationiert oder ins Winterlager geschickt.

      Descartes nutzte seine Zeit in Ulm, um mit den wissenschaftlichen Größen der Stadt Bekanntschaft zu schließen. Besonders der Ingenieur Johannes Faulhaber (1580–1635), der zahlreiche Präzisionsmessgeräte und militärische Apparate erfunden hatte, stand im Ruf, ein vorzüglicher Mathematiker zu sein. Doch Faulhaber verhielt sich gegen den unbekannten französischen Soldaten abweisend, nannte ihn wegen seiner Behauptung, dass er mit den führenden Mathematikern Europas mithalten könne, einen Prahlhans und Aufschneider. Faulhaber legte Descartes einige von den schwierigsten mathematischen Fragen vor, die er kannte, um den jungen Mann zu blamieren. Descartes blieb aber keine Antwort schuldig, und es gelang ihm, den Ulmer Mathematiker für sich zu gewinnen.

      In dieser Zeit, also im Winter des Jahres 1619, während die Truppen im Winterlager waren und Descartes sich in der Nähe der Stadt Ulm aufhielt (wo genau ist unbekannt), begann er gründlich über die Möglichkeit einer neuen Philosophie nachzudenken, die nicht mehr auf dem Aristotelismus des Mittelalters fußte. Sie sollte auf