Als er mit ruhiger Stimme antwortete, sah er Lady Genevieve nicht an.
»Es ist kein Versehen!«
Einen Moment lang schien es ihr die Sprache zu verschlagen.
Dann fragte sie in ungläubigem Tonfall: »Wollen Sie damit sagen, daß ich keine Einladung bekommen werde?«
»Ja! Die Queen hat deinen Namen bei der Vorlage der Gästeliste gestrichen.«
»Das ist unmöglich! Das glaube ich nicht!« brach es unbeherrscht aus Lady Genevieve hervor. »Wie kann sie wagen . . . wie kann sie annehmen, daß ich mir das bieten . . .«
Sie verstummte, und Lord Melbourne ließ einen leisen Seufzer hören.
»Sie sind ein wenig unvorsichtig gewesen, meine Liebe.«
»Sie meinen . . . mit Osric Helstone?«
»Unter anderem. Aber vielleicht hat die Liaison mit ihm und die Art und Weise, wie darüber geredet wurde, die Dinge auf die Spitze getrieben.«
»Sie meinen damit diese gehässigen alten Weiber, die es nicht ertragen können, daß er mir den Vorzug gibt. Seit Jahren versuchen sie vergeblich, ihm ihre triefäugigen Töchter anzudrehen. Und nun sind sie entschlossen, ihn mir wieder abzujagen. Wenn sie ihn schon nicht ergattern können, soll niemand ihn haben, wie?«
Lady Genevieve bebte vor Wut und Empörung, und ihre Augen funkelten wie die einer Wildkatze.
»Damit magst du nicht unrecht haben, meine Liebe«, gab Lord Melbourne zu. »Aber gleichzeitig muß ich dich daran erinnern, daß ich dich noch vor kurzem sehr eindringlich gewarnt habe. Die Zeiten haben sich geändert. Was unter der Herrschaft des lebenslustigen George IV. erlaubt war, ist nun aufs Äußerste verpönt!«
Ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen, als erinnere er sich voller Wehmut an die Ungebundenheit und Freizügigkeit jener vergangenen Tage, in denen sich die Ladys beinahe genauso hemmungslos hatten geben können wie die Herren.
»König William und Königin Adelaide«, fuhr er fort, »taten, wie du weißt, ihr Bestes, um Sitte und Moral wieder zur Geltung zu bringen.«
Lady Genevieve lachte verächtlich.
»Der König war wohl kaum zum Sittenrichter bestimmt. Denken Sie an seine zehn Bastarde, die Mrs. Jordans ihm schenkte!« rief sie heftig.
»Nichtsdestoweniger«, entgegnete Lord Melbourne, »er setzte neue Maßstäbe, und die meisten Leute richten sich inzwischen danach.«
Er sah Lady Genevieve verständnisvoll an, während er sprach. Und sie zwang sich zu einem Lächeln.
»Ich bin nie eine Mitläuferin gewesen.«
»Das weiß ich«, antwortete er, »aber du mußt bedenken, daß die Queen noch sehr jung, sehr unschuldig und sehr eifrig ist.«
Lady Genevieve setzte schon zu einer abfälligen Antwort an, als sie sich daran erinnerte, daß alle Welt glaubte, Lord Melbourne und die Queen seien ineinander verliebt.
Ob dies der Wahrheit entsprach, wußte sie nicht. Es stand jedoch fest, daß die junge Monarchin ihn verehrte und ihm schwärmerisch zugetan war. Und es gab auch keinen Zweifel daran, daß Lord Melbourne, der zweimal als Mitbeklagter in einem Scheidungsprozess verwickelt war und wie durch ein Wunder unbeschadet daraus hervorging, nun seinen Skeptizismus und Zynismus mäßigte. Bei allem, was er sagte und tat, nahm er ganz offensichtlich Rücksicht auf das unschuldige Gemüt der Queen.
Seinen Freunden erschien es unglaublich, daß er es fertigbrachte, alle seine Abende mit ihr zu verbringen, um Halma und Mühle mit ihr zu spielen.
Lady Genevieve hatte sogar gehört, daß sich die Augen des Premierministers mit Tränen der Rührung füllten, wenn er von Königin Viktoria sprach.
Sie entschloß sich also zur Vorsicht, und anstatt wie beabsichtigt sich in scharfen Worten über die junge Queen auszulassen, sagte sie diplomatisch: »Vielleicht können Sie Ihre Majestät davon überzeugen, daß es ein nicht wiedergutzumachender Fehler wäre, auf den alle Mitglieder meiner Familie sehr empfindlich reagieren würden, wenn sie mich von der Teilnahme an der Krönungszeremonie ausschließt.«
Lady Genevieve hatte, noch während sie sprach, das Gefühl, daß dieser Einwand nicht besonders überzeugend war.
Ihr Vater war tot. Ihre Mutter lebte im hintersten Dorset und ließ sich niemals bei Hofe sehen. Ihre anderen Verwandten und die waren zahlreich hatte sie durch ihren Lebenswandel derart vor den Kopf gestoßen, daß sie ihr diese Blamage und Zurücksetzung durch die Königin durchaus von Herzen gönnten.
Sie stellte fest, daß Lord Melbourne von ihrem Argument tatsächlich nicht beeindruckt war, und deshalb fügte sie rasch hinzu: »Überdies habe ich noch einen anderen und viel wichtigeren Grund gegen die Entscheidung Ihrer Majestät ins Feld zu führen. Ich werde mich mit Lord Helstone vermählen.«
Erstaunt und zugleich ungläubig sah Lord Melbourne sie an.
»Mit dem ehescheuen Earl?« fragte er. »Bist du da ganz sicher?«
»Ganz sicher.«
»Das ändert natürlich alles«, sagte er. »Doch um genau zu sein: Hat Helstone ausdrücklich und offiziell um deine Hand angehalten?«
Lady Genevieve vermochte nicht, ihm in die Augen zu schauen.
»Nicht in der üblichen Form«; räumte sie zögernd ein. »Aber das wird er noch tun.«
»Ich wünschte um deinetwillen, ich könnte dessen sicher sein«, versetzte Lord Melbourne ruhig.
Er erhob sich vom Sofa und ging zur Feuerstelle hinüber.
In einer unnachahmlich eleganten Pose lehnte er sich, die Arme ineinander verschränkt, mit dem Rücken gegen das Kaminsims.
Nach einem Augenblick des Nachdenkens meinte er: »Genevieve, ich kenne dich, seit du als Baby in der Wiege lagst. Dein Vater war mein bester Freund, und deine Mutter war sehr verständnisvoll und hilfsbereit mir gegenüber in einer Zeit, in der es mir sehr schlecht erging.«
Lady Genevieve wußte, daß er die Zeit meinte, als er gegen den Willen seiner Familie die schöne, exzentrische und eigenwillige Lady Caroline Ponsonby heiratete. Sie war die einzige Tochter des Earl von Bessborough gewesen und hatte durch ihre Liebe zu Lord Byron einen öffentlichen Skandal heraufbeschworen.
1828, vor zehn Jahren, war sie gestorben. Lady Genevieves Mutter hatte oft davon erzählt, welche Geduld, welches Verständnis und welche Nachsicht Lord Melbourne seiner Frau entgegenbrachte, bis sie an einem schweren Nervenleiden unheilbar erkrankte und schließlich starb.
Es muß eine schlimme Zeit für ihn gewesen sein, denn das einzige Kind aus seiner Ehe mit Lady Caroline, ein Sohn namens Augustus, war schwachsinnig zur Welt gekommen und starb ein Jahr nach seiner Mutter.
»Papa und Mama haben Sie stets sehr geliebt«, sagte Lady Genevieve. »Genauso wie ich es tue.«
»Ich weiß«, antwortete Lord Melbourne, »aber umso mehr wünschte ich, du hättest manchmal etwas bereitwilliger auf meine Warnungen gehört.«
Lady Genevieve zuckte die Schultern.
»Das Leben ist kurz, und ich habe keine Lust, zu versauern.«
»Du weißt, Frauen können sehr grausam und unnachsichtig sein gegenüber einer Geschlechtsgenossin, die schöner ist als sie selbst und es obendrein noch wagt, sich über die gesellschaftlichen Normen hinwegzusetzen.«
»Wir sprachen von Osric«, sagte Lady Genevieve.
»Ich weiß, ich hoffe, daß dir gelingt, was zahlreichen Frauen vor dir nicht gelungen ist. Ich glaube nur, daß du eines übersiehst.«
»Was?« fragte sie fast feindselig.
»Ein Mann sucht sein Vergnügen und wer könnte ihm das verübeln? Das gilt erst recht für einen so attraktiven und anziehenden Mann wie Helstone, auf den die Frauen buchstäblich