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FLIEGENGITTER UND KONDOME
25. JULI, ANN ARBOR, MICHIGAN
Torsten | Jetzt sind wir in den USA! Die Landung war perfekt, und auch bei der Passkontrolle gab es keine Probleme. Man hört ja immer, dass mit den amerikanischen Grenzbeamten nicht zu scherzen sei. Die Frau am Schalter wollte zwar genau wissen, wo ich hinwill und wie lange ich in den USA bleibe, war aber insgesamt gar nicht unfreundlich. Auch Susanne kam am Nachbarschalter ohne Probleme durch. Am Ausgang warteten Mark und Sarah auf uns. Sie waren braun gebrannt und frohgemut. Sarah war im achten Monat schwanger und kugelrund. Wir freuten uns alle riesig über das Wiedersehen.
Um zu ihrem Auto zu gelangen, führten Mark und Sarah uns durch ein Labyrinth aus Rolltreppen und Fahrstühlen in dem sehr modern aussehenden Flughafen. Die Wanderung endete jedoch in einem extrem schlecht beleuchteten Parkhaus, dem zu entkommen dann wegen der verwirrenden Ausschilderung auch gar nicht so einfach war. Mark fuhr erst einmal einige Runden im Kreis, ohne den Weg zum Ausgang zu finden. Aber schließlich ging es über verschiedene Rampen einige Stockwerke hoch zur Kasse und nach dem Bezahlen wieder hinab und durch einen Tunnel unter den Landebahnen hindurch, bis wir das Flughafengelände endlich verlassen konnten. Während unserer Irrfahrt spekulierten wir, ob der Architekt des Parkhauses Kafka-Fan war.
Draußen schien die Sonne, und wir sogen erst einmal die ersten Eindrücke von Amerika in uns auf. Alles war irgendwie größer: die Fahrspuren, die Autos und Laster sowie die Werbetafeln am Rand der Autobahn. Da sahen wir Werbung für eine Uni, ein Krankenhaus, ein Waffengeschäft und mehrere Anwaltskanzleien. Und von wegen in den USA wird langsam gefahren … Stimmt nicht! Auf der Autobahn rasen hier auch alle wie die Verrückten und überholen zudem rechts genauso wie links und ohne zu blinken. Auch die riesigen Brummis hielten sich nicht an die Geschwindigkeitsbegrenzung. Selbst einer dieser typisch amerikanischen Schulbusse war bei der Raserei auf der recht holprigen Fahrbahn dabei. Mark fluchte einmal lautstark, als er beinahe auf einen Langsamfahrer auffuhr, der sein Handy am Ohr hatte und ganz in ein Gespräch versunken war.
Dann ging’s plötzlich runter von der Autobahn und wir fuhren nach Ann Arbor hinein. Die Stadt gefiel uns auf den ersten Blick. Schöne Häuser und gepflegte Grünanlagen, wohin wir schauten. Im Stadtzentrum lag ein Restaurant neben dem anderen und die zahllosen Freisitze davor waren alle besetzt. Kellner balancierten mit gefüllten Biergläsern zwischen den Tischen hindurch. Die Leute schienen den Sommer in vollen Zügen zu genießen.
Mark und Sarah wohnten in einem sorgfältig restaurierten alten Holzhaus in der Nähe vom Stadtzentrum. Beim Betreten des Hauses wurden wir von einem Schäferhund namens Max stürmisch begrüßt. Der Hund war erst ein Jahr alt und deshalb immer noch sehr verspielt. Nachdem er sich etwas beruhigt hatte, führten uns Mark und Sarah durch das Haus. Es war ihnen anzumerken, dass sie sehr stolz darauf waren. Sie hatten es erst letztes Jahr gekauft und dann mehrere Monate lang renoviert.
Die riesige Küche sah aus wie aus dem Ikea-Katalog, und als ich dies erwähnte, lachte Sarah und sagte, dass es hier in der Gegend tatsächlich ein ei-kie-a-Kaufhaus gäbe und dass sie die Kücheneinrichtung dort gekauft hätten. Susanne meinte, sie hätte auch gerne so eine Küche – nur kleiner natürlich, denn alle Geräte sind hier viel größer als bei uns. Besonders der Kühlschrank, der gute zwei Meter hoch und beinahe genauso breit war und zwei gleich große Türen hatte: links für den Gefrierschrank und rechts für die normalen Lebensmittel. An der Gefrierschranktür gab es eine Vorrichtung, die Eiswürfel ausspuckte. Mark hatte damit unmittelbar nach unserer Ankunft bereits einige Gläser gefüllt und uns dann Cola eingegossen. Mir gefiel das, aber Susanne fand die Cola viel zu kalt und wollte am liebsten die Eiswürfel herausfischen. Irgendwie schmeckte die Cola auch anders als zu Hause.
Der Kühlschrank war mit einem Speisevorrat gefüllt, der sicher ein halbes Jahr reichen würde. Dass er so gigantisch ist, liegt sicher auch daran, dass die Verpackungen hier ebenfalls wesentlich größer sind als bei uns. Die Milch kommt hier z. B. in riesigen Plastikbehältern mit Griff. One gallon steht auf dem Etikett. Das sind beinahe vier Liter! Auf der Milch, auf den Eiern und auf den Äpfeln waren Sticker mit dem Wort organic aufgeklebt. Als ich fragte, was das bedeutet, erklärte Sarah, dass es sich dabei um Bioprodukte handelt und dass sie jetzt, da sie schwanger sei, auf gesunde Ernährung besonderen Wert legt. »Aber manchmal sündige ich auch.« Mit diesen Worten öffnete sie den Gefrierschrank und deutete auf einen kleinen Eimer, der sich bei näherer Betrachtung als eine riesige Packung Schoko-Eis herausstellte.
KENNZEICHNUNG VON (BIO-)OBST UND GEMÜSE
Obst aus Bio-Anbau kann man außer an der Kennzeichnung organic an einer aufgeklebten Nummer, dem sogenannten PLU code erkennen. Er hat eine fünfstellige Nummer, die mit einer neun beginnt, z. B. 94011. Normales Obst und Gemüse hat dagegen eine vierstellige Nummer, z. B. 4011. Aber Vorsicht: Der PLU code für genmanipuliertes Obst und Gemüse hat ebenfalls fünf Stellen, beginnt jedoch mit einer acht, also z. B. 84011.
Als wir in den Raum neben der Küche traten, dachte ich wegen des riesigen Flachbildschirms an der Wand zuerst an ein Kino, aber es war dann natürlich doch nur das Wohnzimmer. Ein kleiner Flur führte zu Sarahs Arbeitszimmer, das überquellende Bücherregale an allen Wänden hatte. Daneben war ein Klo mit Duschkabine. Auf der zweiten Etage befand sich ein riesiges Schlafzimmer, an das eine Kleiderkammer und ein eigenes Badezimmer angeschlossen waren. Das zukünftige Kinderzimmer, in dem wir schlafen, liegt gleich daneben. Es ist himmelblau gestrichen, denn die beiden erwarten einen Jungen.
Bei unserem Rundgang fielen mir einige Besonderheiten auf: In diesem Haus gibt es keine Türklinken, sondern nur Drehknöpfe. Die Fenster werden nicht aufgeklappt, sondern hochgeschoben und sind alle mit Fliegengittern versehen. Und die Toilettenspülkästen sind mit schätzungsweise fünf Litern Wasser gefüllt, die jedes Mal komplett weggespült werden. Eine Zweistufenregelung wie bei uns scheint es hier nicht zu geben.
Nachdem wir drinnen alles gesehen hatten, begaben wir uns auf die aus Holz gebaute Veranda hinter dem Haus, die Mark und Sarah »deck« nannten. Dort stand ein gigantischer, mit Propangas betriebener Grill, der so groß war, dass man mit ihm mühelos einen ganzen Fußballverein auf einmal mit Bratwürsten versorgen könnte. Die tennisplatzgroße Rasenfläche, die den gesamten Garten bedeckte, war kurzgeschnitten und sah absolut perfekt aus, ebenso wie der Rasen vor dem Haus. Bei den Nachbarn war auch alles makellos.
Rings um den Rasen steckten kleine Fähnchen im Boden. Sie trugen alle die Aufschrift invisible fence. Wo der Deutsche einen massiven Zaun hat, um sein Grundstück abzugrenzen, reichen hier offenbar ein paar Fähnchen. Aber nachdem ich mich diesbezüglich lobend geäußert hatte, lachte Mark und sagte: »Schau mal!«
Er hielt Max einen Tennisball vor die Nase und warf ihn dann in Richtung Nachbargrundstück. Der Hund rannte zuerst blitzschnell hinterher, blieb dann aber wie angewurzelt stehen, als der Ball an einem der Fähnchen vorbei rollte. Er bellte in Richtung Ball, ging aber nicht weiter. Mark rief Max zu uns und wies mich auf eine kleine Schachtel an seinem Halsband hin.
»Hier ist ein Funkempfänger drin. Die Fähnchen markieren Sensoren, die ein Signal senden, wenn Max zu nahe kommt.«
»Verstehe ich nicht.«
»Max bekommt jedes Mal einen leichten Stromschlag versetzt, wenn er dem unsichtbaren Zaun zu nahe kommt. Er hat so ganz schnell gelernt, wo die Grundstücksgrenze verläuft.«
Als ich das hörte, musste ich unwillkürlich an die Selbstschussanlagen an der ehemaligen innerdeutschen Grenze denken. Den Machthabern in der DDR hätte die Technologie des unsichtbaren Zaunes sicher gefallen. Ich stellte mir in Gedanken vor, wie die Menschen im Osten alle eine