Body-Bilder. Jörg Scheller. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jörg Scheller
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783803143105
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der auch einen der Hauptgründe für die Attraktivität des Trainings im Gym darstellt: die im Vergleich zu anderen sportlichen Betätigungen hohe positive Verstärkung (Positive reinforcement) des individuellen Tuns. Aus verhaltensbiologischer und -psychologischer Sicht ermöglicht es das Training im Gym, Stolz auf eine genuine Eigenleistung zu entwickeln. Im Gym lassen sich erbrachte Leistungen personalisieren: Ich habe diese Hantel gehoben, dadurch ist mein Bizeps gewachsen. Darin unterscheidet sich die Gym-Kultur nicht nur von der arbeitsteiligen Erwerbswelt, sondern auch von der Welt des Teamsports, in welcher Erfolg und Misserfolg vom Zusammenspiel aller Beteiligten abhängen.

      #2 Fitness-Influencerin Nicole von Schwiler (rechts) im Gym, 2016

      Aus dem mit der Eigenleistung einhergehenden positiven Empfinden des Stolzes, kombiniert mit gleichzeitigem Defizitbewusstsein (the sky is the limit), erwächst ein Anreiz, immer intensiver zu trainieren. Kommt das Smartphone als Bildproduktions- und Distributionsmaschine, die wiederum individuell bedient wird, im Verbund mit den Sozialen Netzwerken hinzu, so wird die intrinsische Motivation der Trainierenden, das sogenannte Seeking System, zusätzlich stimuliert. Likes, Retweets und Kommentare erhöhen die Spannung, versprechen einen nie versiegenden Strom von Neuem und Zufälligem, der den berechenbaren, repetitiv-rituellen Charakter des Individualtrainings im Gym dialektisch ergänzt: »In den Sozialen Medien jagen Nutzer dem Dopamin-Kick hinterher, den sie verspüren, wenn jemand ihre Äußerungen ›liket‹, und diese ›Likes‹ verstärken dieses expressive Verhalten, das zum Teufelskreis des Weitermachens [engagement] führt.«14 Die Folge ist ein immer schneller getaktetes Wechselspiel von Körper- und Bildproduktion sowie (Körper-)Bildkommunikation bis hin zur annähernden Gleichzeitigkeit im Extrem-, also Suchtfall. Pumpen, Posieren, Posten, Pumpen, Posieren, Posten, Pumpen, Posieren, Posten …

      Smartphones, aber auch handliche Digitalkameras oder GoPro-Kameras mit Bluetooth-Schnittstelle kitten den zeitlichen Riss zwischen Körperproduktion und Bildproduktion, wie in der Medizin oder im Enhancement Implantate den räumlichen Riss zwischen Fleisch und Technologie kitten. Darüber hinaus kombinieren die digitalen Bildmaschinen die Flüchtigkeit des Spiegelbildes – die Frontkamera kann zur Selbstbetrachtung genutzt werden, Live-Streaming-Apps ›spiegeln‹ das Geschehen annähernd zeitgleich in andere Räume – durch ihre Speicherfunktion mit dem traditionellen So-ist-es-gewesen des fotografischen Bildes. Wie eingangs erwähnt, sind Spiegel Standardelemente aller Gym-Architekturen. Sie wirken dahingehend kongenial mit dem »Leben«, dessen Kräfte im Gym gesteigert werden sollen, als Spiegelbilder zum einen an die physische Präsenz des Körpers gebunden sind, zum anderen als Nachfahren natürlicher, vom »Leben selbst« produzierter Bilder gelten können; man denke etwa an Spiegelungen auf Wasseroberflächen: »Der Spiegel ist ein statisches Objekt, in dem sich dennoch die Bewegung der Welt abbildet.«15

      Spiegelbilder haben aus Sicht der Trainierenden jedoch klare Defizite. Sie sind so flüchtig wie das Leben selbst. Und das Flüchtige, so die platonisch gefärbte Annahme, ist nicht wahr. Als ich im September 2019 den dreimaligen Mr.-Olympia-Gewinner Frank Zane in seinem Haus in La Mesa bei San Diego besuchte, betonte der Bodybuilder die herausragende Rolle fotografischer Bilder für die Entwicklung seiner legendären Körperästhetik (# 3). Dabei argumentierte der 78-Jährige, wohl unwissentlich, wie Henry Fox Talbot. Für Talbot war die Fotografie ein verlässlicher »Pencil of Nature«. Der Blick in den Spiegel hingegen sei trügerisch, ebenso die Einschätzungen der Mitmenschen, sagte Zane. Erst durch Fotografien seiner selbst habe er einen unbestechlichen Blick auf sein Körper-Bild werfen, dieses mit zeitlichem Abstand kontrollieren und optimieren können. Für Zane objektiviert die Fotografie das fotografierte Subjekt und macht die Körper-Bilder kommensurabel.

      Die digital generierten Bilder der Smartphone-Kamera oder der GoPro knüpfen zwar an diese Wirkung der Analogfotografie an. Im Privaten dienen sie als Tools objektivierender Dokumentation des Wirklichen, der Kontrolle, der Observanz, des Vergleichs. Das alte Wahrheitsversprechen der Fotografie wird tendenziell erfüllt. Doch in der Medienöffentlichkeit, im Verbund mit Software, tragen diese Bilder auch zum Misstrauen gegenüber dem Wahrheitsgehalt der Digitalfotografie bei: War es wirklich so gewesen? Oder handelt es sich um ein Deep Fake, wurde mit Photoshop nachgeholfen, kamen Instagram-Filter zum Einsatz? Claus Pias hat recht, wenn er sagt: »Das digitale Bild gibt es nicht.«16 Es gibt nur analoge Aufführungen digitaler Daten, deren Manipulation weniger aufwändig ist als die eines Negativs in der Analogfotografie.

      #3 Der Autor mit Frank Zane in dessen Heimstudio, La Mesa, San Diego County, 2019

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