Welche Ursachen die Menschen damals für eine Erkrankung vermuteten, lässt sich auch heute noch an den alten Bezeichnungen ablesen.
Malaria: von italienisch »mala aria«, schlechte Luft
Influenza: von lateinisch »influentia«, der Einfluss (der Sterne oder des Mondes)
Syphilis: nach der Sage eines gotteslästerlichen Hirten namens »Syphilus«, der mit dieser Geschlechtskrankheit gestraft wurde – je nach Nachbarland auch französische, italienische, spanische, englische, schottische oder polnische Krankheit genannt
Das ist ja alles »Schnee von gestern«, mögen Sie jetzt sagen, aber trotz aller Fortschritte und Errungenschaften der modernen Medizin stehen wir auch heute noch mitunter ratlos vor einer neuen Bedrohung – denken Sie nur einmal an die neue SARS-Coronavirusinfektion (COVID-19), gegen die es erst seit Ende 2020 eine Impfung gibt. Vor der Entwicklung der ersten Impfstoffe halfen auch bei COVID-19 neben dem Schutz durch Atemmasken zunächst nur die Methoden, die die Menschen bereits im Altertum verwendet haben: Abstand halten, Kontakt zu erkrankten Personen vermeiden und sorgfältige Händehygienemaßnahmen.
Distanz haltenWenn möglich hält man sich von erkrankten oder ansteckenden Personen fern. Dazu muss aber erkennbar sein, wer mich anstecken kann, und das ist leider nur bei den wenigsten Infektionserkrankungen ersichtlich. Die Masern sind zum Beispiel schon einige Tage vor dem typischen Ausschlag und Fieber ansteckend, und auch Pneumokokken verursachen meist keine erkennbaren Probleme. Für viele hoch ansteckende Krankheiten zeigt die Geschichte, dass ohne Impfung eine Infektion im Normalfall sehr früh im Leben, also als Kind, erfolgt.
Kontakt vermeiden (Isolation und Quarantäne)Als Abwandlung des Distanzhaltens wurde die Quarantäne seit dem Mittelalter als Schutzmaßnahme vor Weiterverbreitung, vor allem der Pest, aber auch von Gelbfieber eingesetzt. Von dieser eigentlich willkürlich auf 40 Tage festgesetzten Zeitspanne stammt die Bezeichnung »quaranta giorni« (italienisch für »40 Tage«), denn so lange mussten Schiffe damals vor einem Landgang der Seeleute im Hafen liegen, wenn sie aus pestverseuchten Gebieten kamen. Hinweise, Infektionskranke sieben Tage zu isolieren, um eine Krankheitsausbreitung zu verhindern, finden sich aber bereits im dritten Buch der Torah und im Alten Testament.
Leider haben diese einfachen Maßnahmen ihre Grenzen, denn um Infektionsketten unterbrechen zu können, muss erst einmal erkennbar sein, wie sich der Erreger überhaupt in der Bevölkerung verbreitet. Bei vielen Infektionserkrankungen ist eine Weitergabe der Erreger auch ohne Symptome oder vor dem Auftreten der ersten Krankheitsanzeichen möglich. Bei einigen Erkrankungen wie zum Beispiel der Tuberkulose oder bei Hepatitis B sind auch permanente, chronische Infektionen möglich, bei denen der Überträger über Monate und Jahre infektiös sein kann, ohne dass er offensichtlich erkrankt ist – und da wird es richtig schwierig, sich zu schützen!
Ein klassischer Fall, der in die Geschichte einging, ist »Typhus-Mary«. Mary Mallon, eine aus Irland nach New York eingewanderte Köchin, war Dauerausscheiderin von Typhus-Bakterien und steckte Anfang des 20. Jahrhunderts während ihrer umfangreichen Tätigkeit in verschiedenen Haushalten vermutlich weit über einhundert Menschen mit Typhus-Bakterien, einer gefährlichen Unterart der Salmonellen, an – und das meistens mit ihrem Lieblingsnachtisch, Pfirsich und Eiscreme. Dass sie die Erkrankten alle hingebungsvoll pflegte, half dann auch nicht mehr viel, denn etliche überlebten diese schwere bakterielle Infektion nicht und verstarben an den Folgen eines Darmdurchbruchs.Die Quarantäne vor oder nach einer Reise dauert heute zwar keine 40 Tage mehr wie im Mittelalter, ist aber noch immer mit unbequemen Einschränkungen und finanziellen Einbußen verbunden. Impfungen zur Vorbeugung von Krankheiten zahlen sich daher auch gesamtwirtschaftlich aus.
In Westeuropa zählten Infektionserkrankungen wie Durchfall, Lungenentzündung, die Pocken oder Diphtherie noch vor 100 Jahren zu den häufigsten Todesursachen im Kindesalter. Das hat sich seitdem zum Glück deutlich geändert. Medizinische Erkenntnisse und technische Neuentwicklungen haben dazu beigetragen, dass wir relativ unbesorgt leben können. Starb im Jahr 1870 noch einer von vier Säuglingen in Deutschland vor dem ersten Geburtstag, liegt dieser Wert heute bei einem von 300 Lebendgeborenen.
Was die genauen Ursachen zur Verbesserung der Gesundheit waren, ist nicht ganz leicht zu beantworten, denn viele Faktoren haben dazu beigetragen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt folgende Errungenschaften als wesentlich ein:
Sauberes Trinkwasser, Abfall- und Abwasserentsorgung: Insbesondere bei Durchfallerkrankungen und speziell Cholera, Typhus oder Ruhr haben sicherlich die verbesserte Wasserversorgung und die Lebensmittelsicherheit den Hauptteil der Todesfälle verhindert. Viele Erreger werden im Kot ausgeschieden und landen wegen schlechter beziehungsweise fehlender Abwasserentsorgung oder Händehygiene im Mund eines Mitmenschen. Das Szenario leuchtet ein: Wenn ein Cholerainfizierter seinen Durchfall direkt in die öffentliche Trinkwasserversorgung entlässt, verbreitet er den Erreger auf dem schnellsten Weg an alle Nachbarn, die dieses Wasser trinken. Und wenn infizierte Eltern mit ungewaschenen Händen ihr Kind versorgen, wird dieses womöglich auch an Cholera erkranken. Der Großteil der so übertragenen Krankheiten stellt in Europa heute kein Problem mehr da. Bei Reisen in Regionen mit schlechterer Infrastruktur und höherer Infektionsgefahr sind aber zusätzliche Schutzmaßnahmen wie nach Möglichkeit eine Impfung empfehlenswert.
Verbesserte Wohn- und Arbeitsverhältnisse: Das ist sehr offensichtlich – wenn Menschen mit Infekten sich aufgrund der beengten Lebens- oder Arbeitssituation gar nicht aus dem Weg gehen können, ist es fast unmöglich, Infektionsketten zu unterbrechen. Das wurde auch in der COVID-19-Pandemie sehr offensichtlich, bei der sich Leiharbeiter aus Osteuropa, die bei einigen Betrieben in beengten Wohncontainern untergebracht waren, praktisch durchgehend infiziert hatten.Weltweit das wichtigste Beispiel ist die Tuberkulose, eine Lungenerkrankung (übrigens auch eine Zoonose, die von Tieren auf den Menschen übertragen werden kann), die in sozial schwächeren Schichten der Bevölkerung auch heute noch einen hohen gesundheitlichen Tribut verlangt und zahlreiche Todesfälle verursacht.
Ausreichende und ausgewogene Ernährung: Glücklicherweise müssen heutzutage nur sehr wenige Kinder in Europa Hunger leiden. Eine Unterernährung schwächt die Entwicklung des gesamten Organismus und macht bei vielen Infektionserkrankungen einen schweren Verlauf wahrscheinlicher. Auf der anderen Seite gibt es Hinweise, dass ein deutliches Übergewicht das Immunsystem negativ beeinflusst, dieser Effekt ist aber sicherlich nicht so deutlich ausgeprägt wie beim Nahrungsmangel. Bei einer durchschnittlichen Ernährung ist dagegen ein Vitaminmangel in Europa sehr selten geworden. Wichtige vorbeugende Maßnahmen sind die Verabreichung von Vitamin-K-Tropfen bei der Geburt des Kindes und mitunter eine regelmäßige Vitamin-D-Gabe vor allem im ersten Lebensjahr. Erste Ansprechperson zu einer solchen Nahrungsergänzungstherapie sollte immer Ihr Kinderarzt oder Ihre Kinderärztin sein.
Impfungen: Nicht bei allen Erkrankungen helfen Hygiene- und andere Maßnahmen! So war zum Beispiel bei Poliomyelitis – kurz Polio oder Kinderlähmung genannt – ein Rückgang der Fallzahlen in verschiedensten Ländern immer erst nach Einführung der Impfung zu beobachten. Wenn Sie nach 1955 in Deutschland geboren wurden, sind Sie ziemlich sicher bereits als Kind geimpft worden, denn das war eine der ersten Erkrankungen, bei denen eine flächendeckende Immunisierung der Bevölkerung angestrebt wurde.
Wer war's? Der »Steckbrief« der Täter
Erst durch das Mikroskop, das etwa um das Jahr 1600 erfunden wurde, konnte man kleine Lebewesen erkennen, die uns unter Umständen schwerer zusetzen können als so mancher Säbelzahntiger: die Mikroorganismen. (Viren wurden übrigens erst 300 Jahre später entdeckt!) Seitdem hat die Wissenschaft der Mikrobiologie immer mehr über sie