Propagandaschlacht ums Klima (Telepolis). Michael E. Mann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Michael E. Mann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Математика
Год издания: 0
isbn: 9783957882325
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Indizien in Zweifel zu ziehen und Gesetzgeber und Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Ergebnisse nicht zuverlässig genug waren, um darauf zu reagieren.« Bill weiter: »Wenn ihre Ansichten nicht mehr haltbar waren oder sich ihre eigenen Arbeiten als falsch erwiesen oder zur Veröffentlichung abgelehnt wurden, änderten diese konträren Wissenschaftler, Regierungsvertreter und Industriesprecher ihre Taktik, um den gesamten Peer-Review-Prozess (wissenschaftliche Begutachtung) zu verunglimpfen.« Unter diesen umstrittenen Wissenschaftlern war just jener S. Fred Singer, dem wir im Zusammenhang mit der Leugnung des sauren Regens bereits begegnet waren. Merken Sie sich diesen Namen – wir werden später auf ihn zurückkommen.

      Ungeachtet der Neinsager unterzeichneten 1987 insgesamt 46 Länder – darunter die Vereinigten Staaten unter Reagan – das Montrealer Protokoll, das die Herstellung von FCKW verbietet. Seither ist das Ozonloch auf das geringste Ausmaß seit Jahrzehnten geschrumpft. Umweltpolitik funktioniert also. Aber sowohl beim sauren Regen als auch beim Ozonabbau kamen politische Lösungen nur aufgrund des unerbittlichen Drucks zustande, den die Bürger auf die politischen Entscheidungsträger ausübten, in Verbindung mit anhaltender parteiübergreifender Unterstützung durch redliche Politiker, die sich für systemische Lösungen bei Umweltbedrohungen einsetzen. Dieser Art von Redlichkeit geriet mit der Trump-Regierung ins Hintertreffen. Trump berief nach seiner Wahl viele Personen in wichtige Positionen, die nicht nur die Realität und Bedrohung des Klimawandels leugneten, sondern bereits vor Jahrzehnten eine entscheidende Rolle bei den von der Industrie geführten Bemühungen gespielt hatten, sowohl den Ozonabbau als auch den sauren Regen zu leugnen. Sie könnten auch als Allzweckleugner bezeichnet werden, die man anheuern kann.20

      Man könnte sie auch als spirituelle Nachfolger des George-C.-Marshall-Instituts bezeichnen, jener wissenschaftsleugnenden Ideenschmiede von Frederick Seitz, die Ende der 1980er Jahre weitgehend auf Umweltfragen ausgerichtet war. Aber es war weder der saure Regen noch der Ozonabbau, die zur Gründung des Instituts geführt hatten. Es war vielmehr eine Bedrohung, die wissenschaftliche Erkenntnisse für eine ganz andere Interessengruppe, nämlich den militärisch-industriellen Komplex, darstellten. Während der Spätphase des Kalten Krieges profitierten führende Rüstungsunternehmen wie Lockheed-Martin und Northrop Grumman von dem eskalierenden Wettrüsten zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Sie profitierten insbesondere von Reagans Vorschlag einer strategischen Verteidigungsinitiative, auch bekannt als Star Wars, einem antiballistischen Raketenprogramm, das Atomraketen im Weltraum abschießen sollte. Ihnen stand jedoch ein Wissenschaftler im Weg.

      Wissenschaftler als Kämpfer

      Carl Sagan lehrte als Stiftungsprofessor für Astronomie und Weltraumwissenschaften und war Direktor des Laboratory for Planetary Studies an der renommierten Cornell University. Er war ein angesehener, kompetenter Forscher mit einer beeindruckenden Erfolgsbilanz in der Geo- und Planetenwissenschaft. Sagan leistete bahnbrechende Arbeit über das »Faint Young Sun Paradox« (Paradoxon der schwachen jungen Sonne), der überraschenden Tatsache, dass die Erde vor mehr als drei Milliarden Jahren bewohnbar war, obwohl die Sonne damals um 30 Prozent weniger leuchtete. Die Erklärung, so erkannte Sagan, muss ein stärkerer Treibhauseffekt gewesen sein. Diese Arbeit ist so grundlegend, dass sie das erste Kapitel des Lehrbuchs darstellt, mit dem ich Studierende im ersten Semester an der Penn State über Erdgeschichte unterrichtet habe.21

      Sagan war jedoch weit mehr als ein Wissenschaftler. Er war ein kulturelles Phänomen. Er hatte eine unübertroffene Fähigkeit, die Öffentlichkeit mit der Wissenschaft in Kontakt zu bringen. Er verstand es nicht nur, Normalbürgern Zusammenhänge zu erklären, er konnte Menschen auch dafür begeistern. Ich kann mich persönlich dazu äußern, denn es war Carl Sagan, der mich zu meiner wissenschaftlichen Karriere inspirierte.

      Ich hatte schon immer eine gewisse Begabung für Mathematik und Naturwissenschaften, aber es war sozusagen ein Weg des geringsten Widerstands, keine Leidenschaft. Dann feierte Sagans beliebte Fernsehserie Cosmos Premiere, gerade zu Beginn meines ersten Studienjahres an der High-School. Sagan zeigte mir die Magie der wissenschaftlichen Forschung. Er enthüllte einen Kosmos, der wundersamer war, als ich es mir hätte vorstellen können. Er zeigte die Kostbarkeit unseres Platzes in diesem Kosmos – als einfache Bewohner eines winzigen blauen Punktes, der von den äußeren Bereichen unseres Sonnensystems kaum wahrnehmbar ist. Und erst die Fragen! Wie hat sich Leben gebildet? Gibt es da draußen noch mehr davon? Gibt es andere intelligente Zivilisationen? Warum haben sie uns noch nicht kontaktiert? Ich dachte lange über diese und viele andere Fragen nach, die Sagan in der monumentalen dreizehnteiligen Serie aufgeworfen hatte. Sagan machte mir klar, dass es möglich ist, ein Leben lang seiner wissenschaftlichen Neugier nachzugehen, indem man solch fundamentale existentielle Fragen stellt und beantwortet.

      Leider hatte ich nie die Gelegenheit, meinen Helden persönlich kennenzulernen. Ich schloss mein Doktorat in Geologie und Geophysik 1996 ab, im selben Jahr, in dem Sagan verstarb. Da ich auf dem gleichen Gebiet wie Sagan tätig bin, hätte ich ihn mit ziemlicher Sicherheit auf Tagungen oder Konferenzen getroffen, wenn ich ein paar Jahre früher in den Beruf eingestiegen wäre. Aber ich hatte das Vergnügen, ihn durch seine Schriften kennen zu lernen, und durfte einige Menschen treffen, die ihn gut kannten. Dazu gehört auch seine Tochter Sasha, eine Schriftstellerin, die das Werk ihres Vaters fortsetzt, uns mit Gedanken über den Kosmos und unseren Platz im Kosmos zu inspi­rieren.22

      Sagan war eine so überzeugende und charismatische Persönlichkeit, dass er schnell zur Stimme der Wissenschaft für die Nation wurde. In Johnny Carsons Tonight Show (sehr erfolgreiche Late-Night-Show im US-Fernsehen) zog er Zuschauer in den gesamten Vereinigten Staaten mit seinen Beobachtungen, Einsichten und oft amüsanten Anekdoten in seinen Bann. Damit machte er Carsons früherem Wissenschafts­experten den Garaus – keinem geringeren als Astrophysiker Robert Jastrow, den bereits erwähnten GMI-Mitbegründer.23 Womit wir wieder beim Hauptanliegen unserer Geschichte angelangt sind.

      Carl Sagan wurde in den 1980er Jahren zunehmend politischer, als er die wachsende Bedrohung durch die atomare Aufrüstung erkannte. Er nutzte seine öffentliche Bekanntheit, seine Medienkompetenz und seine unübertroffene Kommunikationsfähigkeit, um das Bewusstsein für die existenzielle Bedrohung durch einen globalen thermonuklearen Krieg zu schärfen. Sagan erklärte der Öffentlichkeit, dass die Bedrohung weit über den unmittelbaren Tod und die Zerstörung oder die daraus resultierende nukleare Strahlung hinausging. Die Detonation nuklearer Sprengköpfe während eines solchen Krieges, argumentierten Sagan und seine Kollegen in der wissenschaftlichen Literatur, könnte genug Staub und Trümmer produzieren, um durch Blockierung des Sonnenlichts eine Abkühlung und folglich einen Zustand ewigen Winters oder, wie sie es nannten, »nuklearen Winters« herbeizuführen.24

      Oder anders ausgedrückt, die Menschheit könnte das gleiche Schicksal erleiden wie die Dinosaurier nach einem massiven Asteroideneinschlag: ein sonnenlichtblockierender Staubsturm, der ihre Vorherrschaft vor 65 Millionen Jahren beendete. Sagan trug durch seine verschiedenen Interviews und einem Artikel für die weit verbreitete Sonntagszeitungsbeilage Parade zum öffentlichen Verständnis dieses Szenarios bei.

      Sagan befürchtete, dass Reagans strategische Verteidigungsinitiative (SDI), die von vielen Falken des Kalten Krieges (Vertreter eines harten politischen Kurses gegen den sogenannten Ostblock) und Rüstungsunternehmen unterstützt wurde, zu einer Eskalation der Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion und zu einer gefährlichen Anhäufung von Atomwaffen führen würde, was wiederum auf das Szenario des nuklearen Winters hinauslaufen könnte, dass er so sehr fürchtete. Aber, wie Oreskes und Conway in Merchants of Doubt bereits anmerkten, sahen die Physiker des Kalten Krieges bei GMI diese legitimen Bedenken bezüglich der SDI als Panikmache von mit der Sowjetunion sympathisierenden Friedensaktivisten an.25 In ihren Augen war schon das bloße Gedankengut eines nuklearen Winters eine Bedrohung für unsere Sicherheit. In Zusammenarbeit mit konservativen Politikern und industriellen Einzelinteressen versuchte das GMI-Trio, die besorgniserregenden Argumente zu diskreditieren, indem es die zugrundeliegende Wissenschaft attackierte. Dabei schreckten sie auch nicht vor Versuchen zurück, Carl Sagan persönlich in Verruf zu bringen. Die Angriffe fanden im Rahmen von Briefings an den Kongress und in den etablierten Zeitungen statt, wo sie Artikel veröffentlichten, um die Ergebnisse von Sagan und seinen Kollegen zu untergraben. Diese Kampagne beinhaltete sogar die Einschüchterung öffentlicher Fernsehsender,