Risikoreiche und auch extreme Ereignisse werden mit der Zeit schnell vergessen.
Im Ereignisfalle müssen Entscheidungen auch schnell getroffen werden; durch Angst können Entscheidungen verzögert, nicht getroffen oder erst nach großer bürokratischer „Absicherung“ zu spät getroffen werden.
Große Ereignisse führen infolge der globalen Information zu Schockrisiken. So bleiben Ereignisse wie die Terroranschläge mit vier Flugzeugen beim World Trade Center in New York am 11. September 2001 mit 3000 Toten, die Terroranschläge am 13.11.2015 in Paris mit 130 Toten, in Kirkuk (Irak) am 09.03.2016 mit über 1500 Toten, die 79 Toten beim Grenfell-Hochhausbrand in London am 14.06.2017 oder die weltweit über 50 Mio. Infizierten und über 1,5 Mio. Toten durch das Coronavirus SARS-CoV2 (von Dezember 2019 bis Dezember 2020) lang anhaltend im Gedächtnis, während dies kaum zu Reaktionen führen würde, wenn die gleiche Anzahl von Menschen über einen längeren Zeitraum gestorben wäre.
2.4 Mehr Unsicherheit oder mehr Chancen nach der Coronakrise?
Der plötzliche Ausbruch und vor allem die rasante weltweite Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus wurde nicht vorausgesagt und lässt sich nur schwer mit statistischen Methoden nachvollziehen. Sehr wohl erkenntman im Vergleich mit der Spanischen Grippe, dass die Schwere der Auswirkungen bzw. ein mögliches Eindämmen von dieser Pandemie vom schnellen Agieren und vom Setzen von Maßnahmen abhängt (Abb. 2.2). Taleb [10] hat diese Epidemie nicht als Schwarzen Schwan bezeichnet.
Beispielsweise waren vor dem Ausbruch der Covid-19-Krise die möglichen Auswirkungen einer solchen Pandemie bereits bekannt. Als im November 2002 in der chinesischen Provinz Guangdong das schwere akute Atemwegssyndrom (SARS) ausbrach, starben mehr als 800 Menschen weltweit durch diese Vireninfektion. Im Frühjahr 2003 stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) SARS als weltweite Bedrohung ein. Die Phänomene, die Notwendigkeit von Maßnahmen und die mögliche Bedrohung durch eine solche Pandemie waren der Welt also bekannt. Nach zahlreichen Tests erklärte die WHO am 19.05.2004 das Ende der Pandemie.
Abb. 2.2 Vergleich: 250 Tote in Philadelphia nach 22 Tagen zwischen Bekanntwerden und ersten Maßnahmen sowie über 50 Tote (1/5) in St. Louis, da bereits nach zwei Tagen nach Bekanntwerden Maßnahmen gesetzt wurden.
Abb. 2.3 Coronatote - Exponentialfunktion der ersten 75 Tage und weltweite Entwicklung in den ersten 6 Monaten.
Die weltweite Entwicklung der Todesopferzahlen durch das SARS-CoV-2-Virus in den ersten 75 Tagen kann, soweit die offiziellen Zahlen stimmen, mit einer Exponentialfunktion abgebildet werden (Abb. 2.3):
(2.1)
mit
T Cov19 | Tote durch das SARS-CoV-2 Virus, |
t | Zeitangabe in Tagen seit Bekanntmachung der ersten Toten, |
y | 1,13. |
Die Machtlosigkeit des Menschen gegenüber diesem unbekannten Virus zeigt sich auch insofern, dass nach der weltweiten Ausbreitung trotz zahlreicher Maßnahmen ab April 2020 im Mittel täglich über 5000 Menschen starben [11].
Es zeigte sich, dass in Belgien mit 1,4 · 10−3, in Peru mit 1,1 · 10−3, in Spanien mit 9,5 · 10−4 und in Italien, UK, Argentinien, USA, Mexiko, Brasilien mit über 8 · 10−4 die höchste Anzahl an Todesopfern in Bezug auf die Bevölkerung auftrat.
Die Frage ist, warum wurden aufgrund der Erfahrungen mit SARS in den 15 Folgejahren nach 2004 nicht Phänomene identifiziert, Szenarien entwickelt, die man hätte beobachten können, und Maßnahmen getroffen? Warum wurden weltweitkeine Schlüsselindikatoren definiert, keine einheitlichen Regeln für Präventivmaßnahmen, Schutzanzüge, Schnelltests und auch Behandlungsmaßnahmen entworfen? All diese Fragen müsste man sich vorher und nicht nachher stellen.
Abb. 2.4 Verlauf der Infizierten mit verzögerten und mit sofortigen Maßnahmen.
In der Schweiz wurde 2015 ein auf einer Risikoanalyse aufgebautes strukturiertes Risikenmanagement (veröffentlicht 2015 vom Eidgenössischen Department für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport – VBS; Vorsteher: Ueli Maurer) im Falle einer Pandemie entwickelt. Das Kernstück ist ein Diagramm, das die Gefährlichkeit von Ereignissen nach deren Häufigkeit (P) und deren Schadenspotenzial (I) darstellt (R = P · I). Als höchstes Risiko wurde eine mehrwöchige Strommangellage und danach schon eine Pandemie gesehen, welche mit einer Wiederholperiode von 30 Jahren und einem Schadensausmaß von fast 100 Mrd. Euro geschätzt wurde. Die Schweiz hatte sich bereits 2005 mit den Szenarien einer Epidemie aufgrund der Erfahrungen mit der Lungenkrankheit SARS befasst und diese als Krisentyp der Zukunft eingeschätzt.
Das Krisenmanagement während der Covid-19-Zeit erfolgte in allen Staaten und Regionen der Welt unterschiedlich (Abb. 2.4). Waren es einzelne Präsidenten oder Parlamente, alle haben von Tag zu Tag unterstützt von Daten und Expertenmeinungen entschieden und „sind auf Sicht gefahren“. Dabei zeigte sich die Wichtigkeit einer auf Fachwissen unterstützen Verifikation der Risiken und der zu setzenden Maßnahmen.
In nahezu allen Staaten wurden Kontaktbeschränkungen zwischen den Menschen – gekoppelt mit Sicherheitsmaßnahmen – angeordnet, um ein Ausbreiten der Epidemie einzudämmen. In dieser Zeit zeigte sich auch die Gefahr eines politisch gesteuerten Krisenmanagements. So wurden lange Zeit die Gefahren des Covid-19-Virus in Brasilien, den USA und einigen anderen Ländern ignoriert sowie die Maßnahmen als Hysterie bezeichnet.
Für die Zeit nach der Coronakrise wird es einen Lerneffekt geben, meinte der Wirtschaftstheoretiker Christian Rieck: “ Ziemlich sicher werden die Entscheider danach wieder stärker auf Resilienz achten.“ [12]. Die Unternehmen werden ihre Widerstandsfähigkeit gegen Störungen und unerwartete Schwierigkeiten stärken, neue Projekte mit größeren Risikovorsorgen und Reserven anlegen sowie die Fragilität von Produktions- und Lieferketten verbessern. Auch werden die regionalen Wirtschaftskreisläufe gestärkt und die starke Abhängigkeit von einzelnen Akteuren verändert werden. Hieraus können sich neue Chancen für die Entwicklung und den Vertrieb regionaler Produkte mit einem starken Bezug zu Ressourcen- und Energieeffizienz entwickeln. Vermehrt reagieren kleine Unternehmen mit klaren Entscheidungen und Handlungen, denn sie bekommen unmittelbar die Folgen wirtschaftlicher und sozialer Engpässe zu spüren. Die europäische Gemeinschaft und die weltumspannenden Organisationen reagieren aber wie Großprojekte. Viele Analysen mit statistisch hinterlegten Daten werden diskutiert, entschieden wird wenig und gehandelt wird kaum!