Als ich diese Träume verstand, hörten sie auf. Ihre Funktion war erfüllt, sobald sie den allmählichen Zerfall meiner »idyllischen Kindheit«-Illusion einleiteten.
Zu dieser Zeit studierte ich Psychologie, Soziologie und Anthropologie an der Universität. Meine Studien beschleunigten die Auflösung meiner Illusion von meiner »perfekten« Familie. Ich entdeckte eklatante Beweise dafür, dass westliche Erziehungspraktiken seit der Industriellen Revolution kontinuierlich weitergegeben wurden. Schließlich kam ich zu der Überzeugung, dass die meisten amerikanischen Familien das Ideal der perfekten Familie aus der beliebten Fernsehserie The Brady Bunch Lügen strafen.
Meine Ansicht, dass wir unter einer Erziehungskrise leiden, gründet auch auf den Erfahrungen der sechs Jahre, die ich mit oder in der Nähe von Menschen aus nicht industrialisierten Gesellschaften verbracht habe: drei Jahre in Afrika und Asien sowie drei Jahre in der Nähe eines Aborigines-Reservats im Norden Australiens.
Beim Vergleich der vor- und nachindustriellen elterlichen Erziehungspraktiken scheint es offensichtlich, dass westliche Eltern den Kontakt zu ihren emotional geprägten elterlichen Instinkten verloren haben. Allein dieser Faktor verursacht bei den meisten unserer Kinder eine Menge unnötiger und unbeabsichtigter Verletzungen und Entbehrungen. Diese Beobachtung zeigt sich deutlich in der Reaktion der kalifornischen Ureinwohner auf die ersten westlichen Siedler. Sie waren vom mangelnden Mitgefühl der Europäer ihren Kindern gegenüber so sehr betroffen, dass Sie sie verächtlich als »die Leute, die ihre Kinder schlagen« bezeichneten.
Unzählige Erlebnisse machten mich neidisch auf die Beziehungen der Eltern und Kinder in »primitiven« Kulturen. Eltern dieser Kulturen leiten ihre Kinder an und betreuen sie nach dem gesunden Menschenverstand, den wir schon lange aufgegeben haben, so wie viele unserer Gefühle und Instinkte. Alice Miller beschreibt den Erziehungsprozess, der uns unserer Gefühle beraubt, bevor wir uns ihrer bewusst sind und sie zu schätzen wissen:
… (Wir) haben alle die Kunst entwickelt, keine Gefühle zu empfinden, denn ein Kind kann seine Gefühle nur dann erleben, wenn es jemanden gibt, der es voll akzeptiert, versteht und unterstützt. Wenn das nicht gegeben ist und das Kind riskieren muss, die Liebe der Mutter oder ihres Stellvertreters zu verlieren, dann kann es diese Gefühle nicht heimlich »nur für sich selbst« empfinden, sondern überhaupt nicht.
Als ich eines Tages über die Betrachtung von Alice Miller nachdachte, kam mir dieses Gedicht in den Sinn:
Sie stumpfen meine Gefühle ab
Um die Blutung meiner Tränen zu stoppen
Und nun ertrinke ich allein in
Einem Pool, der seit Jahren verblutet ist.
Eltern in nichtindustrialisierten Gesellschaften lieben ihre Kinder auf eine Art und Weise, die jenseits der Fähigkeit der meisten westlichen Eltern liegt. So sehr wir uns auch aufrichtig bemühen, unsere Kinder zu lieben, wir scheitern gewöhnlich kläglich, weil wir von unserer emotionalen Natur getrennt sind. Ängstlich und beschämt über unsere Gefühle und unsere inneren Erfahrungen, haben wir keinen Zugang zu dem Teil unseres Selbst, wo liebevolle Gefühle entstehen.
Es gibt eine Geschichte der amerikanischen Ureinwohner, die den Mangel an Liebe in unserer Kultur hervorhebt. Ein westlicher Anthropologe, der bei den Hopi-Indianern lebte und sie studierte, bemerkte im Laufe der Zeit, dass die meisten Hopi-Lieder vom Wasser handelten. Eines Tages fragte er den Schamanen:
Wie kommt es, dass ihr so viel über Wasser singt? In meiner Kultur ist die Liebe das Thema, das am häufigsten in unseren Liedern zum Ausdruck kommt. Schätzt dein Volk die Liebe nicht?
Der Schamane dieser Wüstenkultur antwortete:
In meiner Kultur sind die Lieder häufig Gebete, und wir singen und beten für die wertvollen Dinge im Leben, von denen wir nicht genug haben. Liebe gehört nicht dazu.
Das Tao der Gefühe skizziert eine Reise zurück zu den Gefühlen und zurück zu authentischen, gefühlsbasierten Liebeserfahrungen. Wenn wir jemals wieder unsere natürliche Fähigkeit, unsere Kinder wirklich zu lieben, wiedererlangen wollen, müssen wir zuerst lernen, uns in all unseren emotionalen Zuständen selbst zu lieben. Wir beginnen damit, so absurd es auch erscheinen mag, indem wir uns selbst und anderen verzeihen, Gefühle zu haben! Wir erreichen dies, indem wir uns weigern, unseren Eltern nachzueifern – und zwar indem wir mit der von ihnen übernommenen Angewohnheit brechen, uns schuldig zu fühlen und uns für die meisten unserer Gefühle, mit denen wir dem Leben begegnen, zu schämen.
Ich hoffe, dass Ihnen dieses Buch helfen wird zu verstehen, dass Sie in der Kindheit schwere Verluste erlitten haben, falls auch Ihre Eltern sich an die Normen und Praktiken der modernen Erziehung gehalten und diese befolgt haben. Ich möchte Sie auf Anhang A hinweisen, der Ihnen helfen soll, eine sachkundigere Bewertung dieser Behauptung vorzunehmen.
Bei meinen Versuchen, mit meinen Emotionen zurechtzukommen, bin ich in vielen Sackgassen gelandet. Ich habe sie verdrängt, runtergeschluckt, in Alkohol ertränkt, bin abgehoben in Hanf-Schwaden, hungerte sie aus, begrub sie unter Nahrung, transzendierte sie in der Meditation, bin ihnen davongelaufen, überlistete sie durch Rationalisierung, exorzierte sie, übergab sie an höhere Wesen, verwandelte sie in etwas, das man nicht ernst zu nehmen hatte, und spürte sie sogar kurz, bevor ich sie in einer dramatischen Katharsis löschte, damit sie endgültig verschwanden.
Ich wurde bei meinen Bemühungen, dauerhafte Linderung von dem mich erdrückenden emotionalen Schmerz zu erreichen, durch eine Fülle von Selbsthilfebüchern, Workshops, praktischen Kuren, psychologischen Lehren und spirituellen Praktiken in die Irre geführt. Die meisten Sackgassen, die ich auf der Flucht vor meinen Gefühlen erforscht habe, hatten eine gemeinsame Eigenschaft: das Versprechen einer ewigen Transzendenz normaler emotionaler Zustände wie Wut, Trauer, und Angst.
Die schädlichsten waren jene, die versprachen, man könne dauerhaft »wünschenswerte« emotionale Zustände wie Glück, Liebe und Frieden erreichen. Ich erinnere mich lebhaft an die klägliche Enttäuschung, die ich erlebte, wenn die kurzlebigen positiven Wirkungen des einen oder anderen Ansatzes so hinfällig wurden, dass ich nicht mehr so tun konnte, als würde ich sie tatsächlich erleben. Immer wieder wurden Versprechungen von dauerhafter Zufriedenheit gebrochen, denn die negativen Emotionen, die eigentlich dauerhaft beseitigt werden sollten, kehrten unweigerlich zurück. Da es mir wieder einmal nicht gelungen war, mein Leiden zu überwinden (wie es anderen zu gelingen schien), begab ich mich – überwältigt von toxischer Scham –, unweigerlich auf eine weitere verzweifelte Suche nach einem neuen Allheilmittel für meine Gefühle.
Wie ungewöhnlich und überraschend, dass ich jetzt meine Gefühle nur noch akzeptieren muss! Manchmal kann ich kaum glauben, wie leicht es ist, sie einfach wahrzunehmen oder ihnen einen liebevollen Ausdruck zu verleihen. Bin ich wirklich die gleiche Person, die vor zwanzig Jahren zu diesen unzähligen Männern gehörte, die keine Ahnung von Gefühlen haben?
Ich möchte nicht behaupten, dass alle oben genannten Ansätze völlig wertlos sind. Einige davon sind nützliche Werkzeuge, sofern sie nicht dazu benutzt werden, Gefühle zu verbannen, und sie werden auch in mein vielschichtiges Konzept der emotionalen Genesung mit einbezogen.
Ich hoffe, dass Ihnen dieses Buch hilft, sich nicht zu schaden, wie ich es getan habe, indem ich mich naiv Lehren und Praktiken verschrieben habe, die dauerhaftes Glück garantierten. Es ist eine Sisyphusarbeit, wenn man auf diese Weise versucht »oben« zu bleiben, und man wird unweigerlich und unnötig unzufrieden mit sich selbst, egal, wie gut gemeint diese Ansätze sind oder wie hilfreich sie für den Moment sein mögen.
Thomas Moore bezeichnet in seinem Buch Der Seele Raum geben: Wie Leben gelingen kann das Streben nach dem Glück als »Erlösungsfantasie«. Sie ist ein verführerischer, nutzloser Umweg in unserer persönlichen Entwicklung. Sheldon Kopp betitelte sein Buch Triffst du Buddha unterwegs, um uns zu ermutigen, diesen Umweg zu vermeiden und uns vor der unnötigen Selbstsabotage des emotionalen Perfektionismus zu retten.
Die motivierenden, emotionalen Auswirkungen jeder Technik oder Lehre im Hinblick auf die persönliche Entwicklung, ganz gleich, wie gesund und gut