Kleine Geschichte des Hörspiels. Hans-Jürgen Krug. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hans-Jürgen Krug
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783744520041
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außerhalb der öffentlich-rechtlichen Anstalten entstandene Hörspiele.

      1994Das Live-Hörspiel Apocalypse Live (BR, Bayerisches Staatsschauspiel, Marstall) von Andreas Ammer und FM Einheit wird auf der Münchner Marstall-Bühne uraufgeführt. Das Live-Spiel wird mit dem ›Hörspielpreis der Kriegsblinden‹ und dem Prix Futura ausgezeichnet.

      1995Der Hörverlag wird gegründet. Er veröffentlicht gezielt (auch) öffentlich-rechtliche Hörspiele auf Kassette.

      1995Der Hessische Rundfunk produziert zum Kriegsende den 16-stündigen Radiotag Der Krieg geht zu Ende von Walter Kempowski. HR, BR, NDR und SWF strahlen den Radiotag aus.

      1995Fraulein Smillas Gespür für Schnee von Peter Hoeg wird als erster erfolgreicher Roman zeitgleich als Buch und als Hörspiel (SWF) veröffentlicht.

      1996Der Bayerische Rundfunk nennt seine Hörspielabteilung in ›Hörspiel und Medienkunst‹ um.

      1996Das erste interaktive Hörspiel wird ausgestrahlt: Hartmut Geerkens no point (BR 1996) wird live im Münchner Marstall aufgeführt und über Radio und Internet übertragen. Hörer können sich per E-Mail am Bühnengeschehen beteiligen.

      1996Der Hörverlag bietet nun auch Hörbücher auf CD an.

      1997Der WDR produziert das Hörspiel Rocky Dutschke ’68 (WDR 1997) von Christoph Schlingensief.

      1999Mephisto (BR, MDR 1999), eine Hörspieladaption von Klaus Manns lange verbotenem Roman, wird zuerst als Hörbuch veröffentlicht – und dann erst als Hörspiel im Radioprogramm gesendet. Ein Paradigmenwechsel.

      1999Das Projekt ›Intermedium 1‹ in der Berliner Akademie der Künste diskutiert die Rolle des Hörspiels und der Radiokunst in der digitalen Gesellschaft.

      1999Der Hessische Rundfunk sendet den 16-stündigen Originalton-Radiotag Unter dem Gras darüber. Erinnerungen an 100 Jahre Deutschland von Jürgen Geers und Inge Kurtz (HR 1999). Die Produktion wird mit dem ›Hörspielpreis der Kriegsblinden‹ ausgezeichnet.

      2000Thomas Manns Der Zauberberg wird als Hörspiel eingerichtet. Die 10-stündige Adaption, ein Kooperationsprojekt von BR und Hörverlag, gilt als die größte literarische Produktion in der Geschichte des Bayerischen Rundfunks.

      2001WDR 3 und Eins Live gehen ein Joint Venture ein und senden dasselbe Hörspiel (fast) zeitgleich für die Zielgruppen ›Kultur‹ und ›Jugend‹.

      2003In Köln wird der Deutsche Hörbuchpreis gegründet.

      2003Der Universitätsverlag Konstanz (UVK) veröffentlicht die Kleine Geschichte des Hörspiels.

      2003Der Mitteldeutsche Rundfunk experimentiert mit Hörspielen im 5.1-Surround-Sound. Erstes Beispiel, zunächst auf DVD, aber noch nicht im Radio hörbar, ist eine Adaption von Jules Vernes Roman 20.000 Meilen unter den Meeren.

      2004WDR 3 publiziert Ätherdramen. Eine kleine Hörspielgeschichte von Hans-Jürgen Krug als Hörbuch. Das Hörspiel ist nun 80 Jahre alt.

      2005Roland Schimmelpfennigs Für eine bessere Welt (HR 2004) wird ›Hörspiel des Jahres‹.

      2007In Leipzig wird der erste Günter-Eich-Preis an Alfred Behrens vergeben. Der Eich-Preis prämiert das Lebenswerk eines Hörspielautors.

      2007Das erste privat produzierte und zunächst nur als CD erwerbbare Hörspiel entsteht: Peter Kurzecks fast fünfstündige Erzählung Ein Sommer, der bleibt (Supposé).

      2008Der erste ARD-Radiotatort wird ausgestrahlt: Der Emir von Peter Meisenberg (WDR).

      2008Der Bayerische Rundfunk eröffnet seinen Audiopodcast ›Hörspiel-Pool‹ mit Raoul Schrotts Die Erfindung der Poesie (BR, HR, ORF 1997). Hörspiele werden hier erstmals gebündelt zum kostenfreien Hören und Downloaden dauerhafter angeboten.

      2012Der Südwestdeutsche Rundfunk strahlt, von Twitter-Kommentaren begleitet, einen Tag lang die Adaption von James Joyces Roman Ulysses aus. Die CD-Ausgabe wird 2013 zum ›Hörbuch des Jahres‹ gekürt.

      2017Am 8. März wird das längste Hörspiel aller Zeiten freigeschaltet. Tausende haben jeweils eine Seite aus David Forster Wallace’ Roman Unendliches Spiel ins Mikrofon gelesen. Andreas Ammer hat ihre Stimmen zu Unendliches Spiel, unendlicher Spaß zusammengefügt. Das Web-Hörspiel von 90 Stunden Länge ist (fast) nur als Podcast oder auf CD hörbar.

      2018Ursendung von Christoph Buggerts Hörspiel Ein Nachmittag im Museum der unvergessenen Geräusche (SR, MDR 2018).

      2018Der Rundfunk Berlin-Brandenburg bietet als erster Sender einen Podcast für Serien an. Als erstes Hörspiel wird – Podcast first – Juli Zehs Unterleuten (RBB 2018) angeboten.

      2018Parallel zur Fernsehserie Berlin Babylon (Sky, ARD) entsteht die Hörspielserie Der nasse Fisch, das Hörspiel zu Berlin Babylon (RB, WDR, RBB).

      2020Podcast first: Zuerst in der ARD-Mediathek wird eine akustische Realisation von Thomas Pynchons legendärem Roman Die Enden der Parabel (SWR, DLR 2020) veröffentlicht.

       1.EINFÜHRUNG

      Das Radio gehört noch immer zu den meistgenutzten Medien in Deutschland. 209 Minuten täglich schaltete im Jahre 2000 ein durchschnittlicher Hörer sein Gerät an, 2007 waren es 186 (Fernsehen: 192) und 2015 173 Minuten. Das Radio ist inzwischen vor allem ein Tagesbegleitmedium (KRUG 2019: 156) geworden. Das Nebenbeihören hat das bewusste Einschalten einzelner Sendungen weitgehend verdrängt, und auch der Status der seit den Anfängen im Jahr 1924 weitgehend öffentlich-rechtlichen Einschaltkunst ›Hörspiel‹ hat sich verändert. Die einst gefeierte ›Krönung des Funks‹ (KOLB 1932) besitzt nicht mehr die große Liebe des breiten Radiopublikums und auch nicht den kulturellen Stellenwert, den sie in den 1950er-Jahren in Deutschland erlangt hatte. Und es fehlt ihr die theoretische Anerkennung, die sie in den 1960er-Jahren erlangte. Doch das Hörspiel ist noch immer erkennbar im Programm. 2004 etwa wurden an rund 2.200 Sendeterminen noch immer außerordentlich viele Hörspiele gesendet. Die Zahl der Neuproduktionen freilich ist rückläufig: Das ABC der ARD zählte 1999 »rund 750 Neuproduktionen« (ARD 1999: 74), 2002 waren es noch »rund 640« (ARD 2002: 86) – auch 2019 werden in der Internetausgabe des ABCs noch »derzeit rund 640 Neuproduktionen« angegeben. Andere Quellen gehen davon aus, dass in der ARD jährlich »über 500 Hörspiele« (KAPFER 2003: 67) neu produziert werden. »Doch d i e Zahlen«, so berichtete Uwe Kammann 2013 auf dem Festival ›Radio Zukunft. Tage der Audiokunst in Berlin‹, »die gibt es nicht, weil jeder Sender anders zählt und rechnet. Und damit auch jede Hörspielabteilung« (KAMMANN 2013).

      RADIO, KULTURRADIO, HÖRSPIEL

      Das Hörspiel ist die Kunstform des Rundfunks, und sie war nur hier – als Teil eines laufenden Programms – möglich. Heute ist diese Radiokunst aus den populären und hörerreichen Radioprogrammen nahezu vollständig verschwunden. Sie ist fast ausschließlich auf den öffentlich-rechtlichen Kultur-, Klassik- oder Infowellen zu finden: Bayern 2 (Bayerischer Rundfunk), hr2 kultur (Hessischer Rundfunk), MDR Kultur (Mitteldeutscher Rundfunk), NDR Kultur, NDR Info (Norddeutscher Rundfunk), Bremen 2 (Radio Bremen), rbbKultur (Rundfunk Berlin-Brandenburg), SR 2 KulturRadio (Saarländischer Rundfunk), SWR2 (Südwestrundfunk), WDR 3, WDR 5 (Westdeutscher Rundfunk), Deutschlandfunk Kultur (DLFK) und Deutschlandfunk (DLF).

      Die ›gehobenen Wortwellen‹ befinden sich seit den 1990er-Jahren in stetigen Veränderungsprozessen. Sie haben ihre Namen, ihre Programmstrukturen und ihren Sound immer wieder ›optimiert‹; sie haben sich ›Flottenstrategien‹ unterworfen, ihre Tagesprogramme formatiert und so versucht neue Zielgruppen anzusprechen. Nicht selten wurden diese ›Optimierungen‹ von heftigen Auseinandersetzungen begleitet.

      Heute nutzen etwa zwei bis drei Prozent der Radiohörer diese Kulturprogramme, und auch sie nutzen sie inzwischen weitgehend nebenbei. Einschaltangebote wie das Hörspiel gibt es nur noch