Der schottische Bankier von Surabaya. Ian Hamilton. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Ian Hamilton
Издательство: Bookwire
Серия: Ein Ava-Lee-Roman
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783959172141
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übernehme keine freien Aufträge.«

      »Heißt das, dass du mich heute früher zum Casino fährst?«

      »Ja, ich fahre dich früher zum Casino.«

      »Danke. Und wirst du dir die Zeit nehmen, mit Theresa zu sprechen?«

      »Ja, ich werde mit der Frau sprechen, aber das ist auch alles. Du hast weiter keine Versprechungen gemacht, hoffe ich.«

      »Nein.«

      »Gut. Also: Wie groß ist das Problem, das diese Baccara-Dealerin hat?«

      »Zwischen drei und dreißig Millionen Dollar.«

      »Was?!«

      »Wie gesagt, sie hält sich bedeckt, was die Details angeht.«

      2

      DER PARKPLATZ DES CASINOS füllte sich bereits, und spätestens um sechs Uhr würde er über das lange Wochenende übervoll sein.

      »Fahr weiter um die Ecke. Ich habe Theresa gesagt, wir würden sie da treffen, wo die Busse alle ankommen.«

      Dort war keine Parklücke zu sehen, und die Autos kreisten umher wie die Geier. Ava fädelte sich in den Reigen ein; sie begann sich über die Vagheit ihrer Mutter zu ärgern. »Noch fünf Minuten – dann setze ich dich ab und verschwinde«, sagte sie.

      Jennie Lee hielt ihre Aufmerksamkeit auf den Casino-Eingang gerichtet und ignorierte die Bemerkung ihrer Tochter.

      »Hast du mich gehört?«

      »Da ist sie«, sagte sie dann. »Die kleine Frau in Jeans und der roten Bluse.«

      Ava fuhr so nah wie möglich an den Eingang des Casinos heran und hielt. Jennie öffnete die Tür und lief zu Theresa hinüber. Sie sprachen kurz miteinander; Jennie schien ins Casino hineingehen zu wollen, aber Theresa schüttelte den Kopf. Dann kamen die beiden Frauen auf den Wagen zu. Jennie stieg vorn ein, Theresa hinten.

      »Theresa sagt, sie kann nicht im Casino mit uns sprechen. Angestellten ist es nicht erlaubt, mit Gästen Umgang zu haben«, erklärte Jennie. »Auf dem Highway 14 gibt es kurz vor der Rama Road einen Tim Hortons Coffee-Shop. Warum fahren wir nicht dort hin?«

      Ava versuchte an sich zu halten. Wenn Theresa doch wusste, dass sie im Casino nicht miteinander sprechen konnten, warum bat sie dann darum, sich hier mit ihr zu treffen? Warum nicht direkt bei Tim Hortons? Abgesehen davon wusste ihre Mutter, dass Ava Tim Hortons nicht leiden konnte; mit ihrem Vorschlag zahlte sie Ava heim, dass sie bei der Parkplatzsuche so grantig gewesen war.

      »Es tut mir so leid, Ihnen diese Umstände zu bereiten«, sagte Theresa Ng.

      Ava schaute im Rückspiegel in Theresas rundes Gesicht: blasse Lippen, kein Make-up; das Haar zu einem strengen Zopf zurückgebunden, so dass ihre nervös und verschüchtert blickenden Augen noch betont wurden. Die Frau lächelte, zeigte wunderschöne weiße Zähne, und ihre rechte Hand zupfte den Saum ihrer roten Seidenbluse zurecht.

      »Kein Problem«, sagte Ava.

      Tim Hortons war so typisch kanadisch wie Curling und das Tragen von Shorts, kaum dass die Frühlingstemperatur zehn Grad Celsius erreichte. Das Land liebte diese Kette, das wurde einmal mehr deutlich, als Ava sich mit ihrem Audi A6 auf dem Highway 12 dem Lokal näherte. Vor dem Drive-Through-Schalter hatte sich eine Schlange gebildet, die fast bis zur Hauptstraße reichte, und das war keineswegs ungewöhnlich – so sah es vermutlich in diesem Moment bei jedem Tim Hortons in ganz Kanada aus.

      Ava fand eine Lücke auf dem vollen Parkplatz. Sie stieg aus und ging schnellen Schrittes zu dem Coffee-Shop hinüber; ihre Mutter und Theresa folgten ihr, ins Gespräch vertieft. Ava hörte, wie Theresa sich bei Jennie dafür entschuldigte, ihr so viel Mühe bereitet zu haben. Die Entschuldigung ist an die Falsche gerichtet, dachte Ava, aber sie schien aufrichtig gemeint, und die Frau machte einen sympathischen Eindruck.

      Theresa bestand darauf, für Avas Flasche Wasser und Jennies Tee zu bezahlen. Sie fanden einen Tisch hinten im Lokal und wischten die Donut-Krümel und Kaffeeflecken mit einer Serviette fort.

      »Theresa ist halb Vietnamesin, halb Chinesin«, erklärte Jennie noch einmal. »Ihre Mutter stammt ursprünglich aus Shanghai. Sie sind in den siebziger Jahren hierhergekommen, als die Kommunisten auch den Süden übernahmen. Sie und ihre Mutter und ihre drei Schwestern.«

      »Meine beiden Brüder sind später nachgekommen«, fügte Theresa hinzu.

      »Sie sind alle katholisch – so wie wir«, ergänzte Jennie.

      Katholisch und teils aus Shanghai stammend. Kein Wunder, dass meine Mutter helfen will, dachte Ava.

      »Wir wohnen alle in Mississauga, in derselben Straße«, fuhr Theresa fort. »Anfangs haben wir alle zusammen in einem Haus gelebt – meine Schwestern, meine Mutter und ich. Wir sind alle arbeiten gegangen, haben das Haus abbezahlt und dann ein weiteres gekauft, in das meine älteste Schwester nach ihrer Heirat mit ihrem Mann gezogen ist. Als wir auch das abbezahlt hatten, haben wir ein weiteres Haus gekauft und so weiter. Heute besitzen wir sechs Häuser in der Straße. Alle wohnen nah beieinander – es ist perfekt.«

      »Sie haben es weit gebracht.«

      Theresa senkte den Kopf, und um ihre Mundwinkel erschienen Sorgenfalten. »Wir hatten es zu noch weit mehr gebracht.«

      Ava wartete darauf, dass sie fortfuhr. Als das nicht geschah, tätschelte Jennie Theresas Hand. »Sie müssen sich nicht schämen.«

      »Erzählen Sie mir, was passiert ist, und lassen Sie sich ruhig Zeit«, sagte Ava.

      Theresa blickte auf. Zorn blitzte durch die aufsteigenden Tränen. »Meine Familie hat Geld in einen Fonds investiert, der von einem Mann verwaltet wurde, der der Freund eines Freundes meines ältesten Bruders ist. Angeblich war es eine sichere Geldanlage, mit einer Rendite von ungefähr zehn Prozent im Jahr.«

      Der Name Ponzi schoss Ava durch den Kopf. Der Mann hatte mit seiner Betrugsmasche in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zahlreiche Anleger in den USA um ein beträchtliches Vermögen gebracht.

      »In den ersten zwei Jahren trafen die Schecks mit der Ausschüttung jeden Monat pünktlich wie ein Uhrwerk bei uns ein, also haben wir mehr und mehr Geld investiert«, fuhr Theresa fort. »Dann begannen die Probleme, und es ging alles sehr schnell. Eines Tages kam der Scheck zu spät – vielleicht zwei Wochen später –, und die Leute wurden schon nervös. Aber dann kam die Zahlung, zusammen mit einem Schreiben, in dem es hieß, bei der Bank habe es ein kleines technisches Problem gegeben. Doch im darauffolgenden Monat ließ die Zahlung wieder auf sich warten. Mein Bruder ist zum Büro des Anlageberaters gegangen und stand vor verschlossenen Türen. Das war’s dann. Ende. Aus.«

      »Wie hieß der Finanzdienstleister?«

      »Emerald Lion.«

      Ava ging ihr Gedächtnis durch, wurde aber nicht fündig. »Ich erinnere mich nicht, von denen je gelesen oder gehört zu haben.«

      »Sie wurden in Sing Tao und den anderen chinesischen Zeitungen erwähnt«, sagte Jennie.

      »Und in den vietnamesischen«, fügte Theresa hinzu.

      »Wann?«

      »Vor etwa sechs Monaten.«

      »Und was hatten die Zeitungen zu sagen?«

      »Wie meinen Sie das?«

      »Wie wurde darüber berichtet? Wurde davor gewarnt?«

      »Zwischen den Zeilen. Aber sie waren sehr vorsichtig, weil niemand von ihnen mit Lam Van Dinh gesprochen hatte.«

      »Er hat den Fonds verwaltet?«

      »Ja.«

      »Und was haben die zuständigen Behörden gesagt?«

      Theresas Gesicht wurde ausdruckslos.

      Ava fragte weiter: »Der Fonds war