June sah ihn mit ihren großen blauen Augen an. "Warum? Weil Lafitte ermordet wurde? Es muss nicht zwingend ein Zusammenhang, bestehen, Bount!"
"Ich weiß, June."
Die ganze Angelegenheit schien immer verworrener zu werden. Aber irgendwo musste es doch einen Anfang geben, an dem man beginnen konnte, das ganzer Knäuel zu entwirren. Tierney, Leonard, Lafitte...
Ein Detektiv, ein Killer und der Investment-Chef einer großen Bank...
Eine merkwürdige Reihe!, dachte Bount.
Und dann fiel ihm ein, dass er um ein Haar selbst dazugezählt hätte, wenn ihn nicht Instinkt und Geistesgegenwart in letzter Sekunde gerettet hätten. Es musste einen gemeinsamen Nenner geben.
"Vorausgesetzt, wir bewegen uns wirklich im richtigen Milieu", überlegte Bount. "Welcher Schweinerei könnte Tierney da auf die Spur gekommen sein?"
June zuckte die Achseln.
"Da gibt es doch unendlich viel... Designerdrogen zum Beispiel. Es ist doch bekannt, dass die in Wall Street kursieren... Oder einer der hohen Herren ist schwul und jemand hat das herausgefunden und versucht, dieses Wissen zu Geld zu machen."
"Tierney?"
"Warum nicht, Bount?"
"Heute muss man das doch nicht mehr verbergen, June!"
"Konzernbosse sind oft sehr konservativ und denken da nicht so liberal."
Aber Bount schüttelte den Kopf. "Nein, es muss etwas Größeres sein. Etwas, das organisiert betrieben wird. Preisabsprachen zum Beispiel, unerlaubte Kartelle... Steuerhinterziehung in Millionenhöhe oder so etwas. Auf jeden Fall glaube ich, dass wir es mit einer Organisation zu tun haben..."
"Wie wär's mit Insider-Geschäften?", meinte June. "Jedenfalls wäre das erste, was mir bei Wall Street und Kriminalität einfallen würde. Außerdem ist - war - Lafitte Investment-Chef..."
"Wie funktionieren denn diese Insider-Geschäfte?"
"Noch nie davon gehört?", neckte June. "Es handelt sich um illegale Absprachen zwischen Börsenmaklern, Firmenmanagern und Bankern. Ein Firmenmanager könnte durch die Veröffentlichung einer nach unten manipulierten Gewinnerwartung den Aktienkurs einer Firma in den Keller gehen lassen. Die Anleger geraten in Panik und bekommen von der Bank den Rat, möglichst alles zu verkaufen, um den Verlust in Grenzen zu halten, während die in den Deal Eingeweihten genau das Gegenteil tun. Sie kaufen. Wenn der Kurs tief genug gesunken ist, treibt man ihn künstlich nach oben, zum Beispiel durch sogenannte Übernahmegerüchte, und kann dabei einen riesigen Reibach machen. Die anderen Anleger sind die Dummen und müssen die Zeche zahlen."
Bount zuckte die Achseln.
"Ist das nicht das normale Spekulationsrisiko, das man tragen muss?"
"Natürlich, normalerweise schon. Aber wenn die Sache abgekartet ist, ist es etwas anderes. Dann ist es die mehr oder weniger eleganteste Form des Straßenraubs und im übrigen auch illegal."
"Wahrscheinlich aber schwer nachzuweisen?"
"Fast nie."
"Gab es nicht vor kurzem in Japan einen Skandal, bei dem es um diese Dinge ging? Ich habe das nur am Rande registriert!"
"Ganz recht. Und anschließend hat es einen kräftigen Kursrückgang gegeben." Sie lächelte kokett und zeigte dabei ihre strahlend weißen Zähne. "Schön zu wissen, dass es noch Dinge gibt, die der große Privatdetektiv nicht weiß", lachte sie schelmisch.
"Man lernt eben nie aus!"
"Richtig."
Bount blickte kurz zu ihr hinüber. "Wie viel hast du eigentlich angelegt?"
"10.000 Dollar. Mühsam zusammengespart von dem kärglichen Gehalt, das du mir zahlst!"
"Soll das ein diskreter Hinweis sein?"
"Nun, Tatsache ist, dass ich in Wirtschaftsangelegenheiten sicher noch viel versierter wäre, wenn ich ein paar Dollar mehr zum Spielen hätte! Oder meinst du nicht auch?"
"Darüber reden wir besser ein anderes Mal...", meinte Bount.
24
Es war eine Straße der Ruinen. Verlassene Häuser, die zum Abriss freigegeben worden waren, um ein paar Bürotürmen Platz zu machen. Zwei Gebäude hatte es schon erwischt. Von ihnen war nur ein riesiger Schutthaufen geblieben, der noch abgetragen werden musste. Die anderen würden noch folgen und auf einem großen Plakat konnte man sehen, wie sich die Immobiliengesellschaft, der die Grundstücke hier gehörten, das Endergebnis vorstellte.
Bount stellte den 500 SL am Straßenrand ab und blickte auf die Uhr. Der Mann, mit dem er sich treffen wollte, musste jeden Moment eintreffen. Vielleicht wartete er auch schon auf Bount.
Der Detektiv stieg aus und schlug die Wagentür hinter sich zu. Die Dämmerung hatte sich schon grau über die Stadt gelegt. Um diese Zeit war hier keine Menschenseele. Und genau deshalb hatte sein Informant diesen Ort als Treffpunkt vorgeschlagen.
Während Bount sich eine Zigarette anzündete und den Rauch ausstieß, sah er eine streunende Katze von einem Gebäude zum anderen huschen.
Dann hörte Reiniger ein Geräusch und drehte sich herum. Aus einem der baufälligen Häuser trat hochgewachsener, breitschultriger Kerl, der Bount noch um einiges überragte.
Er hieß Tyner.
Seine Haut war so schwarz wie Ebenholz und die Zähne, die er beim Lächeln entblößte, so regelmäßig und weiß, dass es sich eigentlich nur um ein Gebiss handeln konnte. Die Originale hatte man ihm wohl bei irgendeiner Gelegenheit herausgeschlagen. Er war nämlich Leibwächter, Rausschmeißer und Gorilla und hatte schon für verschiedene Unterweltgrößen die Knochen hingehalten. Im Augenblick war er arbeitslos. Seinen letzten Boß, einen puertoricanischen Schutzgelderpresser, hatte die Konkurrenz vor kurzem erschossen.
Tyner kam auf Bount zu und reichte ihm die Hand.
Bount hatte Monate gebraucht, um einen wie ihn als Informanten zu gewinnen. Aber schließlich hatte es geklappt, was damit zusammenhing, dass der Kerl nicht mit Geld umgehen konnte und deshalb immer dringend etwas brauchte.
"Machen wir es kurz, Reiniger", meinte der Schwarze. "Was wollen Sie wissen?"
"Wenn jemand einen Killer braucht, zu wem geht man da im Moment?"
Tyner sah Bount erstaunt an. Dann sagte er: "Sie suchen einen Makler des Todes? Einen, der so etwas vermittelt? Davon gibt es Dutzende." Er grinste. "Ich dachte immer, Sie arbeiten nur mit sauberen Mitteln! Wen wollen Sie denn umbringen?"
Bount verzog das Gesicht. "Ich? Niemanden. Aber ich bin in folgender Lage: Ich habe einen Killer, der aber seinerseits umgelegt wurde und nicht mehr verraten kann, wer ihn beauftragt hat."
Tyner begriff jetzt. "Und Sie wollen den Auftraggeber wissen?"
"Ja. Oder den Vermittler. Ich gehe davon aus, dass es einen gibt. Jedenfalls ist es sehr wahrscheinlich, weil die Auftraggeber vermutlich Leute sind, die ansonsten eine völlig weiße Weste haben... Keine Mafiosi oder Drogenbarone, die sich ihre eigenen Laufburschen halten,